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Konkret

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Der Witz ist es im Emst und doch als Spaß verkannt, und die Dichtung ist etwas anderes, als eine gernwitzige, errechnete Konstruktion von Silben und Konsonanten. Die konkrete Poesie ist lediger Spaß oder verkleidete, mit philosophischen Phrasen drapierte Atomistik; ein Verfahren, das sich vermittels einer bloßen Ansammlung oder Streuung von Worten, ohne Syntax und Sinnrichtung, ohne Liebe und Kampf, das heißt ohne stoffliche und geistige Verantwortung, an der absichtsvollen Darbietung eines Wortstumpf- und Silbenmaterials genügen läßt. Und das soll etwas heißen!

Montiert und konstellationiert ist sie eigentlich bloß arrogiert und affektiert, nämlich neopräziös; mechanische „Umwertung” der Neoromantik und ihrer verzierten, dekorativen Sünden; und des weiteren die Kehrseite der faschistischen Medaille; kritizistische Farce auf eine wissenschaftlich-technische Verkehrswelt, deren kostspieligste Luftfracht der alte Kitsch ist.

Die konkrete Poesie reduziert das Gedicht, den „Text”, auf das Wort ohne Satzgefüge, eigentlich auf die Vokabel, auf die Silbe, auf ein graphisches, typographisches Zeichen, das auch eine Ziffer sein kann, ein Ziffernmuster, ein dogmatischer Blaudruck; der Satzspiegel ein Feld von 1600 Nullen mit einem Einser in der Mitte, oder mit einem i in so viel o, und umgekehrt.

Der konkrete poetische Texter geht von der umstürzenden Erkenntnis aus, daß im Satzbau, und in der Interpunktion, zuviel Tradition — Gedankenschablone, Gefühlsschlamperei, Ideologie und mörderische Autorität — enthalten sei, Gußform und Stempel eines Systems der Notzucht und der Prostitution. Das alles gibt es tatsächlich — routinierten Satzbau und Versbau und Reimgeklingel — und es ist nicht zu leugnen: Sprachgestaltung, adressiertes Schreiben, mit Ausschluß des Häck selschneidens und des Tart pur Tart, bedeutet Kampf gegen das Ornament, energische Reduzierung und Konzentrierung auf das Wesentliche — vorausgesetzt, daß ein Mensch zuvor ein Raub der Flammen war, immer das Formellose vorausgesetzt. Die Freiheit der Forschung und des Experiments sind anerkannt. Die Erfahrung, daß aus nichts nichts wird, verliert ihre Schrecken. Die „Wiener Dichtergruppe” ist, soweit die „deutschsprachige” Zunge reicht, führend in der Produktion von

„visuellen” und „akustischen” Gedichten, Vokabularien, Textbildern, Ideogrammen — und was dergleichen mehr experimentelle Mystifikationen und konstruktivistische Alfanzereien sind. Ihre logistischen, ironischen, sarkastischen, travestierenden, satirischen, parodierenden und — alles in allem — marodierenden Texte sind das wiederholte Geratter der großen barocken Dreschmaschine. Intellektueller, potenzierter Kitsch, der ausschließlich mit dem Fremden, Besonderen, Ausgesuchten, Pointierten, Sensationellen, Verzerrten, Schockierenden, Absurden arbeitet — auf die gesuchteste

Art, die zugleich vielfach die banalste ist: durch Reihung, Wiederholung, Abwandlung, Stumpfung und Streuung. Analytisch, anatomisch, mechanisch — der Effekt ist primitiv ästhetisch, soll aber die vor- ausgegagenen logischen Deduktionen rechtfertigen.

Der weitgehenden Negation des Traditionellen, Historischen und Sozialen entspricht das tägliche Konstruieren einer neuen Basis; es ist purer Subjektivismus, wie er auch für die Kitschphantasie maßgebend ist. In diesem Zusammenhang ist auch die Planstelle des beliebten neuen Dialektgedichts einzusehen. Wie vieles andere vor allem Instrument der Ironie, mit der Bestimmung, Säure zu sein, negierend, entlarvend und anderweitig aufklärend zu wirken, also wenn nicht Nonsens, dann politisches Gedicht, immer aber vor allem Farce und etwas zum „Schmunzeln” für die Enzyklopädisten des 1. Bezirks. Es ist nicht retardierend wie das vordem landesübliche, und es ist selbstverständ-

lieh, wie die ganze Richtung, nicht konservativ — das wäre ja zum Lachen! — nein, es ist reaktionär: total exotisch, gemacht-töricht, spekulativ-trottelhaft.

Konkrete Poesie — nehmt alles in allem — ist formalistischer Humbug, literarischer Unfug. Sie ist dummdumm. Inhumanität sprachlicher Mittel. Systematisches, methodisches Grinsen und Zwinkern und Gestikulieren hinter dem Rücken der Schafe. Blasierter Zeitvertreib im Rücken der Menschenschänder und Menschenschlächter. Supergeblödel, in diesem Tale, das von Jammer schallt.

Image heißt englisch Bild. Als Fremdwort ist es seit etwa zwei Jahrzehnten bei uns eingedrungen, genauer gesagt, seitdem das Fernsehen von Amerika und England her auf den europäischen Kontinent Übergriff. Das Image ist nicht einfach ein Porträt, sondern die Darstellung einer Persönlichkeit, für die Öffentlichkeit zurechtgerückt. Durch raffinierte Belichtung kann man einen Menschen herausstreichen oder in den Schatten stellen. Die Lieblinge des Publikums verstehen es, in die Kamera hineinzulächeln, und bemühen sich, elegant und gefällig auszusehen. Die Salondame und der Bonvivant finden mehr Anklang als die tragischen Helden, und die Leitbilder für viele Zeitgenossen springen aus dem Unterhaltungs-Programm hervor.

Wer in der Öffentlichkeit glänzen will, baut sich für die anderen ein wirkungsvolles Image auf, er zeigt sich stets von seiner besten Seite. Wenn es ihm gelingt, sich durch Charme und Beweglichkeit bei den Zuschauern einzuschmeicheln, hat er gewonnenes Spiel, und es wird sich bald in barer Münze auswirken. Das Image hat im Schaugeschäft seinen bestimmten Kurswert.

Es ist nicht damit getan, daß einer möglichst oft auf dem Bildschirm erscheint. Führende Politiker auf dem Wege zu irgendeiner Verhandlung, die, wenn sie eben aus dem Flugzeug gestiegen sind, Brüderküsse empfangen und austeilen. Ehrenkompagnie- en abschreiten und sonstwie offiziell hervortreten, gewinnen dadurch nicht immer an Popularität. Große Männer, die zu häufig präsentiert werden, können dadurch sogar ins Alltägliche hinabgemindert und kleiner werden, zumal, wenn inzwischen sattsam bekannt ist, wie sie sich an die Nase greifen oder am Kinn kratzen. Ein einziger unbeherrschter Augenblick kann so entlarvend sein, daß das in Jahren sorgsam aufgebaute Image sich verzerrt und nun nicht mehr der Hildalgo, sondern seine Karikatur durch die Luft fuchtelt.

Ein Porträt stellt einen Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt seines Lebens dar, sein unverwechselbarer

Charakter steht klar erfaßbar vor uns, und er wird in der Erinnerung bleiben, wie er war. Das Image ist der Widerschein einer flüchtigen Sekunde: heute der Mächtigste, und wenn er auf den Tisch haut, zittert die Menschenwelt, morgen ein Pensionär. der die Enten im Stadtpark füttert und an seinen Memoiren bastelt.

Ein dauerhaftes Image wäre nur möglich, wenn ein Künstler sich in seinen Werken gleichbleibt. Pianisten und Dirigenten können bis ins hohe Alter ihre Kunst sogar noch steigern. Die Sänger müssen zurücktreten, wenn ihre Stimme nachläßt. Aber einzelne Schauspieler werden im Greisenalter immer überzeugender, und die Strahlung, die von ihrer Vergeistigung ausgeht, reicht an die Bezirke letzter Weisheit heran.

Die Eitelkeit stachelt manche Fans an, auch einmal im Lichte der Öffentlichkeit glänzen zu wollen. Aber ins Publikum grinsen und ihm zu- zwinkem und sich wie ein Eisbär hin- und herwiegen, das kann heute vielleicht noch belächelnswert sein, doch morgen wird es, wenn nicht mehr dahintersteckt, langweilen. Solange ein Gesicht jung ist, erscheint es meist auch hübsch. Aber was wird daraus, wenn sich die ersten Runzeln einschneiden?

Am wirkungsvollsten ist das Image von Menschen, die gar nicht darum bemüht waren, sich eins zu schaffen. Ein Hirt, der seine Schafe hütet, hat wahrscheinlich das Wort photogen nie gehört, aber er ist es, weil er mit seiner Umgebung völlig übereinstimmt. Ein Fischer, der mit dem Boot hinausfährt und die Netze einzieht, ist mit seiner ganzen Aufmerksamkeit bei der Arbeit und sieht nicht rechts noch links. Ein Schielen nach dem angestrebten Erfolg gibt dem Image etwas Fragwürdiges und Bedenkliches, und das Gefühl, daß sich da einer selbst anpreisen oder anbiedern will, hat etwas Peinliches. Welch reizende Perük- ken, wie liebenswürdig geschminkt, von welchem erstklassigen Schneider angezogen, — und doch nur ein Puppenspiel, zu nichts verpflichtend.

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