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Entspannung in Bessarabien

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Im Schatten des spektakulären Exodus der rumänischen Delegation auf der Budapester KP-Tagung fand die Redse einer sowjetischen Kultur- delegatjon nach Bukarest zu einem Erfahrungsaustausch nicht diie gebührende Aufmerksamkeit.

Etwa zehn Tage hatte sich eine Abordnung des Unterrichtsministeriums der Sož. Sowj. Republik „Moldau”, also der früheren rumänischen Provinz Bessarabien, vorgenommen, „allgemeinbildende Schulen” sowie Gymnasien in Bukarest und drei anderen Städten zu besichtigen. Daß an der Spitze der Delegation der stellvertretende Unterrichtsminister der moldauischen Republik Tschornyi stand, ein Russe, der kein Moldauisch, das heißt kein Rumänisch spricht, dürfte nicht zufällig gewesen sein. Den Schülern sollte vielleicht auf eine sehr eindrucksvolle Weise die Lage Bessarabiens im Verband der Sowjetunion veranschaulicht werden.

Eine Zeitbombe?

Man erinnert sich noch: Vor drei Jahren, im Dezember 1964, hatte ein rumänischer Historiker bis dahin unbekannte Manuskripte von Marx veröffentlicht. Ihre Herausgabe gerade in Rumänien wurde als sensationell empfunden, da sich der Vater des Kommunismus Tatsachen und Meinungen aus einem Geschichtsbuch notiert hatte — vermutlich für ein antizaristisches Werk — welche die Berechtigung der Annexion Bessarabiens durch das Zarenreich im Jahre 1812 bestritten. Da ungefähr zur gleichen Zeit Schützenhilfe auch von Peking kam, als Mao Tse-tung die „imperialistischen Annexionen” Rußlands nicht nur der ehemaligen chinesischen Gebiete, sondern auch Bessarabiens anprangerte, erschien die Veröffentlichung der Marxschen Manuskripte als eine Art von Zeitbombe für das Verhältnis zwischen Bukarest und Moskau, als die versteckte Ankündigung eines Anspruchs auf Rückgabe dieser rumänischen Provinz.

Zwar hätte man das wiederholte Bekenntnis des rumänischen Partei.

chefs Ceausescu zur Unverletzlichkeit der aus dem zweiten Weltkrieg hervorgegangenen Grenzen als eine Art von Dementi solcher Auslegungen ansehen können. Die westlichen Beobachter blieben jedoch auf der Lauer nach Anzeichen der unausbleiblichen Spannungen. Ate der rumänische Parteichef auf einer Inspektionsreise iim Nordosten des Landes die Erinnerung an einem früheren Herrscher des Fürstentums Moldau wachrief, wurde dies als ein Gebietsanspmch ausgelegt, denn auch Bessarabien hatte damals zur Moldau gehört. Ähnlich, als die sowjetischen Parteiführer nationalistische Erscheinungen bei der Bevölkerung Bessarabiens abkanzelten, wurde eine Polemik mit Bukarest und eine Zurückweisung seiner Gebietsansprüche herausgelesen.

Ob Spannungen wegen Bessarabien wirklich bestanden haben oder nicht, mag dahingestellt bleiben. Auch während dieser Zeit bestanden zahlreiche direkte Verbindungen zwischen der SR Rumänien und der SSR Moldau, von einer Art, wie sie gewöhnlich nur bei normalen Beziehungen gepflegt werden. Aber auch wenn es zwischen Moskau und Bukarest Spannungen wegen Bessarabien gegeben halben sollte, so bemühte man sich doch, das Klima zu verbessern. Gleich am Anfang dieses Jahres konnte die offizielle Nachrichtenagentur der SSR Moldau ATEM mit Stolz darauf hinweisen, daß sich die Zahl der Besucher aus Rumänien 196,7 verdreifachen konnte im Vergleich zum Vorjahr und daß

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