Diagnose "co-abhängig“: Wie Opfer zu Tätern werden

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Wie sieht die typische Partnerin eines Alkoholkranken aus? Thelma Whalen hat anno 1953, basierend auf ihren Erfahrungen bei der Beratung betroffener Frauen, relativ konkrete Vorstellungen - und versieht diese mit klingenden Namen: Da gibt es etwa "Suffering Susan“, die einen alkoholkranken Mann aufgrund ihres Bedürfnisses heiratet, sich selbst zu bestrafen; dann "Controlling Catherine“, die sich einen schwachen Mann sucht, um alles kontrollieren zu können; weiters "Wavering Winnifred“, die unsicher ist und deshalb Männer bevorzugt, die von ihrer Fürsorge abhängig sind; und schließlich "Punitive Polly“, die in einer Partnerschaft mit einem schwachen Mann ein Ventil für ihre aggressiven Impulse findet.

So unterschiedlich der innere Antrieb dieser vier Frauentypen nach Whalens Überzeugung ist - sie alle sind letztlich keine Opfer eines krank machenden Systems, sondern von vornherein kranke Täterinnen oder zumindest Komplizinnen, die die Sucht ihrer Männer noch verstärken.

Im Begriff der "Co-Abhängigkeit“ findet sich diese paradoxe Umkehrung der Opfer-Täter-Rolle bis heute: Ursprünglich von US-Selbsthilfegruppen formuliert, um Strategien gegen die Ohnmacht zu entwickeln und die Aufmerksamkeit auf die systemischen Aspekte der Sucht zu richten, wurde den Angehörigen immer mehr Verantwortung zugeschoben. Heute sind nach gängiger Sprachregelung Freunde und Kollegen ebenso potenziell "co-abhängig“, also suchtfördernd, wie Therapeuten oder der Staat, der aus dem Alkoholkonsum Steuern lukriert.

"Durch den Begriff der Co-Abhängigkeit kann der Patient, aber auch der Therapeut, die Schuld leicht auf die Angehörigen schieben“, weiß Alfred Uhl, Koordinator für Suchtpräventionsforschung und -dokumentation am Wiener Anton-Proksch-Institut. Dass Partnerinnen und Partner einen großen Einfluss auf Suchtkranke haben können und oftmals selbst Hilfe benötigen, stehe dennoch außer Zweifel. Doch wie sollten sie sich verhalten? "Dazu gibt es leider keine Patentrezepte“, antwortet Uhl im FURCHE-Gespräch. "Manchmal kann es hilfreich sein, radikal und kategorisch aufzutreten, ein andermal führt das nur zu gegenseitiger Verhärtung“, erklärt er. Ständiges Nörgeln sei in jedem Fall kontraproduktiv. Bei der Angehörigen-Beratung des Anton-Proksch-Instituts finden Betroffene jedenfalls ein offenes Ohr (Informationen unter www.api.or.at).

Indes rücken auch die Kinder von Alkoholkranken vermehrt in den Fokus. Der Wiener Verein "Fluffi“ (Maskottchen siehe links) will Vier- bis Zehnjährigen ab 6. November die Möglichkeit geben, im Rahmen von Freizeitaktivitäten über ihre Gefühle zu reden und neue Ressourcen für die Alltagsbewältigung zu entwickeln. "Uns ist besonders wichtig, die Eltern einzubeziehen, damit die Kinder in keinen Loyalitätskonflikt geraten“, erklärt die Psychologin und Vereinsleiterin Hanna Grubhofer. Kein leichtes, doch ein wichtiges Unterfangen: Geschätzte zehn Prozent aller Kinder leben schließlich mit einem alkoholbelasteten (Stief-)Elternteil zusammen, rund ein Drittel davon schlittert später vermutlich selbst in die Sucht.

Nähere Informationen: www.fluffi.at

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