Die "Granny-Kids" von Lainz

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Bewohner von Alten- und Pflegeheimen haben meist keine Chance mehr, mit Kindern zusammen zu sein. Im Geriatriezentrum am Wienerwald versuchen Alt und Jung ein neues Miteinander.

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Bewohner von Alten- und Pflegeheimen haben meist keine Chance mehr, mit Kindern zusammen zu sein. Im Geriatriezentrum am Wienerwald versuchen Alt und Jung ein neues Miteinander.

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Eine Gruppe von Kindergartenkindern geht über eine Wiese, auf einen schattigen Baum zu. Das Ungewöhnliche daran: die Kleinen schieben und ziehen Rollstühle. Ein seltenes, ein rührendes Bild.

Für die "Granny Kids" sind diese gemeinsamen Ausflüge mit den Patienten des "Geriatriezentrums am Wienerwald" - wie das Geriatriezentrum Lainz jetzt heißt - lieb gewordene Gewohnheit.

Das beeindruckende Projekt ist vor vier Jahren eigentlich durch Zufall entstanden: das Kind einer Krankenschwester im Geriatriezentrum Lainz mußte länger als gewöhnlich auf seine Mutter warten. Stationsschwester Ingrid Krispel bemerkte, wieviel Freude und Leben dieses Kind den alten Menschen innerhalb von kurzer Zeit schenkte: "Ich war sehr erstaunt, welche Aktivitäten da plötzlich vor sich gegangen sind, wie sich die Patienten plötzlich aufgesetzt haben, nach den Kindern gegriffen haben, ihnen die Hand gegeben haben, mit ihnen gesprochen haben, wie ihre Augen geleuchtet haben und sie einfach ganz anders waren. Da habe ich mir gedacht: man muss etwas tun."

Schwester Ingrid Krispel ist die Initiatorin und der Motor der "Granny Kids". Für sie bedeutet dieses Engagement natürlich eine große Portion "Mehr" an Arbeit - aber sie schöpft auch viel Freude aus diesem Projekt.

So entstand die Idee, die Kinder des Betriebskindergartens regelmäßig mit den Geriatriepatienten zusammenzubringen. Anfangs war es eine Gruppe von Vorschulkindern, die sich regelmäßig mit Patienten des Pavillons X traf, im Lauf der Zeit ist das Projekt beträchtlich gewachsen: heute gibt es bereits vier "Granny Kids"- Gruppen im Betriebskindergarten und Gruppen aus zwei externen Kindergärten in der Nähe, die sich regelmäßig ein Mal pro Woche mit Geriatriepatienten aus verschiedenen Pavillons treffen.

Langsam und vorsichtig schieben die Kinder die Rollstühle der "Grannies" (ein liebevoller amerikanischer Ausdruck für die meist weiblichen Patienten im großmütterlichen Alter) mit Hilfe der Pfleger und Krankenschwestern über die holprige Wiese und in den Schatten eines Baumes. Dort setzen sich die Kinder rund um ihre Kindergartentante ins Gras. "Sollen wir etwas singen?" fragen sie in Richtung der Rollstühle. Und als sie dann - unterstützt von der Kindergärtnerin und ihrer mitgebrachten Gitarre - "Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad" anstimmen, macht sich in den zerfurchten Gesichtern der alten Menschen ein zuerst erstauntes, dann strahlendes Lächeln breit.

Zivildiener helfen Die Wiese gehört zum "Lindwurm", einem alleinstehenden Gasthaus im Wienerwald, nicht weit vom Geriatriezentrum entfernt. Ein herrliches Ausflugsziel für die fröhliche Gruppe von Kindern mit ihren roten Käppis und die alten Menschen aus dem Geriatriezentrum, deren Altersunterschied oft 80 Jahre und mehr beträgt. (Rollstuhlgerechte) Kleinbusse haben die 25 Kinder und 20 "Grannies" hierhergebracht, betreut werden sie von Kindergärtnerinnen, Pflegern, Krankenschwestern und - solange noch vorhanden - auch von Zivildienern. Darüber hinaus ist ein Arzt immer dabei. Auch Pater Franz Lachinger, der Krankenhausseelsorger, ist - sooft er kann - bei den Ausflügen dabei und genießt "diese Einheit zwischen den Generationen und den Anblick der strahlenden Gesichter".

Strahlende Gesichter gibt es dann auch bei der Jause im "Lindwurm". Draußen auf der schattigen Terrasse lassen sich Jung und Alt Säfte, belegte Brote und Mehlspeisen gut schmecken. Einige der Patienten trinken genüsslich ein Glas Bier oder einen "G'spritzten".

Werner Jakober ist Stationspfleger im Pavillon X und einer der "Gründerväter" der "Granny Kids". Er liebt den zusätzlichen Wirbel und versucht, seine eigentliche Arbeit auf der Station und das Engagement für die "Granny Kids" zeitlich bestmöglich in den Griff zu bekommen. "Es geht schon auch viel Freizeit drauf", sagt er mit einem lächelnden Seitenblick auf Schwester Ingrid, "anders würde es gar nicht funktionieren." Als Pfleger freut er sich über die positiven Auswirkungen, die das Projekt auf seine Patienten hat: "Sie werden viel aktiver, freuen sich schon auf das nächste Treffen. Ältere Menschen, die lange nur Nachthemd und Pyjama getragen haben, ziehen sich wieder ihre Privatkleidung an, weil sie ja etwas vorhaben und sich für ,ihre' Kinder schön machen wollen. Sogar der Friseur ist vor jedem Treffen verstärkt im Einsatz! Dritte Zähne - bisher tief ins Kukident-Glas versenkt - werden für die Kinder herausgeholt und geputzt. Unsere Patienten werden durch die Vorfreude und die Aktivitäten selbst fröhlicher und aktiver - und das ist natürlich auch für uns Pfleger eine große Freude."

Und auch für die Kinder ist das Zusammensein mit den älteren Menschen durchwegs positiv: "Die Kinder haben anfangs Fragen gestellt: Wieso hast du so viele Falten? Und wieso kannst du nicht mehr gehen? Und wir haben das alles beantwortet, und auch die Patienten selber haben geantwortet, und dadurch war das für sie ganz normal geworden", erzählt Susanne Kügler, Erzieherin im Betriebskindergarten Lainz. "Am Anfang war so ein bisschen Abstand, ein Kennenlernen und Beschnuppern und Aussagen wie: die können nicht gut reden und sehen und hören nicht so gut". Jetzt freuen sich die Kinder auf jedes Treffen mit den "Grannies".

Woche für Woche überlegen sich Ingrid Krispel und Werner Jakober gemeinsam mit den Kindergärtnerinnen des Betriebskindergartens ein neues Programm. "Diese Regelmäßigkeit ist wichtig", sagt Schwester Ingrid. "Große Aktionen sind schön und bleiben lange im Gedächtnis, wichtig sind aber auch die kleinen Aktivitäten und gemeinsam verbrachten Nachmittage."

Unvergessliche Tage Meist besuchen die Kinder die "Grannies" (die sowohl männlich als weiblich sein können) in ihrem Pavillon. Dort spielen sie im frisch adaptierten Tagraum gemeinsam Gesellschaftsspiele und Karten, basteln und singen. Den "Grannies" wird so der oft beschwerliche Weg zum beim Haupteingang des Geriatriezentrums gelegenen Kindergarten erspart. Aber bei schönem Wetter, im Frühling und im Herbst, nehmen die Patienten gerne diesen Spaziergang auf sich oder werden von den Pflegern in Rollwägen in den Garten des Kindergartens gefahren, um dort gemeinsam mit den Knirpsen ein paar Stunden zu verbringen.

Darüber hinaus gibt es größere Aktionen wie gemeinsame Ausflüge - wie der zum "Lindwurm" - in den Tiergarten und den Schlosspark von Schönbrunn, in den Prater oder auch einmal zu einem Biogärtner in die Lobau. Auch an die gemeinsamen Muttertags- und Nikolofeiern sowie an die von Pater Franz zelebrierten Messen zu Ostern, Erntedank und Weihnachten erinnern sich alle gerne und reden noch lange davon.

Die größte gemeinsame Aktion im Rahmen der "Granny Kids" aber waren die gemeinsamen Urlaube in Rust am Neusiedlersee. Maria Gösche ist 98 Jahre alt und erzählt oft und gern von Rust. Da es ihr Gesundheitszustand jetzt nicht mehr erlaubt, bei den Treffen mit den "Granny Kids" dabeizusein, besuchen sie die Kinder in ihrem Zimmer. Dann leuchten die Augen der alten Dame: "Es strengt mich schon an, aber es ist herrlich, mit den Kindern zusammenzusein!"

Anerkennung und volle Unterstützung für das Projekt "Granny Kids" gibt es sowohl von der Direktion des Geriatriezentrums am Wienerwald wie auch von den Kinderfreunden, die den Betriebskindergarten führen.

Das Projekt ist so erfolgreich, dass es bereits die ersten Nachahmer gefunden hat: in Salzburg und auch in München werden regelmäßig ähnliche "generationsübergreifende Begegnungen" zwischen Kindergartenkindern und Geriatriepatienten organisiert. Besonders stolz ist Ingrid Krispel auf den 2. Platz bei einem vom KAV, dem Krankenanstalten-Verbund, ausgeschriebenen Preis.

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