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Druckgrafiken von Henri Toulouse-Lautrec im Wiener Leopoldmuseum.

In Zeiten des fotografischen Blicks legt sich die Vermutung nahe, dass der Bleistift als bevorzugtes Medium der Dokumentation antiquiert wirkt. Natürlich gilt die Kamera als jenes Werkzeug, mit dem man der Wirklichkeit der Ereignisse am nächsten kommt und die größte Fülle an bildnerischen Protokollen anlegen kann. Wer käme da schon auf die Idee, sich auf den Bleistift zu reduzieren und dann auch noch anzunehmen, damit sogar die bessere Wahl getroffen zu haben? Es gibt einige Künstlerpersönlichkeiten, die diesen Weg in ihren Arbeiten beschritten haben, mit derartiger Konsequenz und handwerklicher Meisterschaft über das Gesamtwerk verteilt wie bei Henri de Toulouse-Lautrec besitzt diese Schwerpunktsetzung allerdings einen einzigartigen Charakter.

Henri de Toulouse-Lautrec entstammt einem der ältesten südfranzösischen Adelsgeschlechter, die als Reichsgrafen von Toulouse und als Vicomtes von Lautrec als erfolgreiche Heerführer, Kreuzfahrer und Anführer der Albigenserbewegung bisher in der Geschichte aufgetreten waren und nun in Henri ihren letzten männlichen Nachkommen fanden. Genetisch mit einer Knochenkrankheit geschlagen, verheilten einige Brüche nicht mehr richtig, so dass Henri kleinwüchsig und damit ein Außenseiter blieb. Er akzeptierte diesen Schicksalsschlag mehr oder minder und ging seinen Weg konsequent weiter, als er sich, ungewöhnlich für ein Mitglied des französischen Hochadels, dazu entschloss, Maler zu werden. "Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, wahr zu sein und nicht idealistisch", notierte er 1881 als sein malerisches Programm, an das er sich auch zeitlebens halten sollte. Er unterschrieb mit "ein vielversprechender Maler", ein Anspruch, den er in den folgenden Jahren einlösen sollte.

Den Bleistift laufen lassen

Hauptsächlich erfüllte er seine eigene Vorgabe in seinen grafischen Arbeiten, die ihm wie von selbst von der Hand zu gehen schienen: "Wenn sich mein Bleistift einmal bewegt, muss ich ihn laufen lassen, oder pardauz! dann ist es vorbei", gesteht er ein. Vom großen Vorbild Edgar Degas ignoriert, blieb ihm der Zugang zur vorherrschenden Kunstszene versperrt, so pflegte er den Umgang mit anderen Außenseitern der Gesellschaft, den Tänzerinnen, Prostituierten und von allerlei Drogen Abhängigen, wie sie sich damals am Mont Martre, dem Berg der Märtyrer, versammelten. In dieser Umgebung fand er Anerkennung, wurde er akzeptiert wie er war, und als Dankeschön schickte er sich an, der großartigste zeichnerische Protokollant dieser von der Bourgeoisie verpönten Welt zu werden. "Ich mache keine Bildnisse, ob Hunde oder Menschen, ich male meine Freunde", setzt er sich sowohl von der bürgerlichen Vorgabe, wie Kunst auszusehen habe, als auch von der bürgerlichen Ausbeutung jener Gesellschaftsschicht ab, der er sich nun - als Angehöriger des Hochadels - zugehörig fühlte.

Gewagte Tänze

So verbringt Henri de Toulouse-Lautrec seine Zeit in den damaligen Amüsiertempeln, in denen ständig neue, noch gewagtere Tänze und bissige Kabarettprogramme für Unterhaltung sorgen und dokumentiert wie ein Sammler Augenblickseindrücke. Ansätze ins Karikaturhafte gewährleisten dabei die zeichnerische Prägnanz und Konzentration auf das Wesentliche, schließlich ist "nichts leichter, als Bilder in einem äußeren Sinn fertig zu malen, man lügt nie geschickter als dann". Ohne in einer vordergründigen Gesellschaftskritik stecken zu bleiben oder gar diese eigentümliche Welt in ein Idealbild zu verpacken, arbeitet er mit einer selbstverständlichen Menschlichkeit und entreißt die Protagonisten ihrer Anonymität. Er scheut auch nicht davor zurück, die Trauer, die er allenthalben antrifft, mit aufs Papier zu bringen, ohne deswegen sentimental zu werden. Und interessanterweise lassen ihn alle diese Ingredienzien zum erfolgreichsten Plakatgestalter seiner Zeit werden. Er verkürzt dabei Räume auf drastische Weise, Vordergrund und Hintergrund rücken hart aneinander, seine Perspektive bringt die trotz räumlicher Nähe weit von einander getrennten Menschengruppen wieder zusammen. Genauso wie er es sich für seine beiden Welten - die seiner Vergangenheit und die seiner Gegenwart - gewünscht hat.

Toulouse-Lautrec

Das gesamte grafische Werk

Sammlung Gerstenberg

Leopold Museum Bis 31. 8

Museumsplatz 1, 1010 Wien

www.leopoldmuseum.org.

Mi-Mo 10-19, Fr bis 21 Uhr

Mo u. Mi 10.30-12 Uhr Ferienprogramm für Kinder, Fr 19 Uhr Sonderführung, Sa 17 Uhr Film

Katalog: Götz Adriani (Hg.), Toulouse-Lautrec. Das gesamte grafische Werk, Sammlung Gerstenberg, Dumont-Verlag Köln 2002, 435 Seiten, e 17,30

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