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Festspiel in Einsiedeln

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Ende September fanden die letzten Vorstellungen der diesjährigen großen Festspielzeit in Einsiedeln (Sdrweiz) statt.

Die tieftönenden Glockenstimmen der beiden Kuppeltürme des hochbarocken Benediktinerdomes von Einsicdeln dröhnen schwer und dumpf in den dunkelnden Spätsommerabend weit hinaus. Dreitausend Zuschauer füllen die Tribünen, wie jedesmal, wenn das dramatische Sakramentspiel Calderons „Das Große Welttheater“ auf diesem unvergleichlich schönen Klosterplatz in diesem Sommer wieder mit seiner berückenden Fülle von Schönheit und Wohllaut aufgeführt wurde.

Eine hohe Meisterleistung des ideenreichen Regisseurs Oskar Eberle, der als ein berufener Erneuerer des Volksschauspieles gilt, ist es, wie er die gegebenen Galerien, Rampenanlagen, die gegliederten Treppen, die Terrassierung des allmählich ansteigenden Geländes und die im Halbkreis umschließenden architektonischen Arkaden für die bewegten Massen, die Gruppenaufzüge, das Gewühl der maskentragenden Dämonen bildnerisch klar ordnend und sinngemäß organisch ausnützte, wie er Gänge und Gebärden der einzelnen mit Musik, Gesang und Wort, wie er die von hundert Scheinwerfern bestrahlten, symbolisch bunt ornamentierten Gewänder und die allegorisch stilisierten stolzen Fahnenparaden zu einer monumentalen, mystischen, überzeitlichen Einheit stimmungsvoll zusammenführt, wie er darein, bewußt akzentuierend, hunderte flackernde Flammenfackeln, transparente Sternfigurationen herbeitragen und immer wieder die Kirchen!enster von innen zu magischer Wirkung aufleuchten läßt... Das ist schon eine großartige, innerlich beseelte moderne Geistestat der Inszenierung, um diu man die Schweiz beneiden muß, dem wohl kein derzeitiges Schauspiel kann sich solcher vorwärtsweisenden, fesselnden und künstlerischen Spielleitung rühmen!

Was unser heutiges Theater immer wieder mit mehr qdsr minder geeigneten Mitteln zu formen versucht, wofür neue Dramatiker (wie Saitre, Williams, Miller, Wilder) in ihren Bühnenwerken immer wieder experimentierend sich einsetzten, hier ist es aktuell zur Erfüllung, zum Ereignis und erschütternden Erlebnis geworden: Raum und Zeit sind in der übertheatralisch geiührten Handlung zu einer kausalen Gleichzeitigkeit, zu ganzheitlichen Vorgängen ineinander eng verschmolzen: Frau Welt, in ihrem Maya-mantel, Gott-Meister in seinem Prunkpurpur gekleidet, stehen während des ganzen Spieles, oft in den Ablauf der Vorgänge einfallend, auf und an der Szene.

Das überwältigende bleibt die berauschende Schlußapotheose von Licht-und Farbensymphonien, Musikakkorden, von trunkenen Rufen, von brausenden Orgeltönen, und wenn die andächtigen, staunenden Zuschauer, Gläubige wie Ungläubige, sich spontan aus innerem Impuls von den Sitzen erheben und die Ergriffenen den angestimmten Bläserchoral „Großer Gott, dich loben wir“ tausendstimmig mitsingen — ist das die überwältigende, überschwängliche Erfüllung des angestrebten Zieles des Zusammenfassens der Zuschauer mit den Darstellern, die Einbeziehung des Besuchers in die Vorführung des dramatischen Geschehens!

Dies ist das wichtige, fruchtbare Fazit dieses erbaulichen, , echten Freilichtfestspieles, das hier künstlerisch, kultisch und regietechnisch die Forderung einer dramatischen, durch Jahrhunderte verlorengegangenen Simultanität der Vorgänge in einem ununterbrochenen, einheitlichen Ablauf des phantastischen Bühnengeschehens im letztmöglichen Dienst am Spiel zusammenbindet, das so eindringlich überzeugend, harmonisch und wirkungsreich kaum irgendwo heutzutage geglückt ist wie dort in der vorbildlich festlichen und erbauenden, schöpferischen Durchgestaltung von Calderons „Großem Welttheater“ in Einsiedeln, das damit einen Welterfolg errang.

Soeben ist im Verlag Waldstatt in Einsiedeln ein reich bebildertes Buch über „Das Große Welttheater Einsiedeln“ erschienen. Es behandelt diese Aufführungen und ihre Geschichte von der Barockzeit bis zu den Inszenierungen der letzten zwei Jahrzehnte.

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