6758980-1968_06_14.jpg
Digital In Arbeit

ZWISCHEN NORD UND SÜD

Werbung
Werbung
Werbung

Italien und insbesondere Rom, begehen den 300. Todestag des großen Barockarchitekten Francesco Borromini mit einer Reihe von Veranstaltungen, die das umfangreiche Werk dieses großen Genius des 17. Jahrhunderts würdigen. Mehr als 20 Bauwerke hat Borromini allein in der Ewigen Stadt hinterlassen oder durch seine Kunst geprägt. Sie stellen das großartigste lebendige Denkmal dieses Schöpfergeistes dar, Denkmäler einer Kunst, die nicht nur die Architektur seiner Zeit revolutionierte, sondern in der ganzen Welt für Jahrhunderte entscheidend beeinflußte.

Die römischen Bauwerke werden durch Ausstellungen ergänzt und erläutert, die von der Accademia Nazionale di San Luca, dem römischen Staatsarchiv und vom Vatikan eingerichtet wurden. In einem Studienkongreß behandelten namhafte Vertreter der internationalen Kunstwissenschaft das Wirken und die Einflüsse Borrominis auf den Stil der Baukunst in aller Welt.

Neben den historisch-kritischen Ausstellungen, um die sich ganz besonders der Borromini-Forscher Prof. Paolo Porto- ghesi verdient gemacht hat, fesselt vor allem die Schau von fast 100 Handzeichnungen des Meisters im Palazzo Carpegna, die vom Direktor dier Graphischen Sammlung Albertina in Wien, Dr. Walter Koschatzky, von Wien nach Rom gebracht wurde. Mehr als die anderen Borromini-Gedächtnisstätten nimmt diese kostbare Sammlung den Betrachter gefangen, weil die Handzeichnungen und die darauf befindlichen Anmerkungen unmittelbarer als alles andere das Wesen und Schaffen dieses Künstlers zum Ausdruck bringen. Hier offenbart sich der schöpferische Akt eines Genies. Die feinen Linien der Zeichnungen und Konstruktionen sind nichts anderes als die zur Form gewordenen Gedanken Borrominis, ehe sie zur materiell gebundenen Wirklichkeit geworden sind.

Aus dem Bestand von fast 600 Handzeichnungen hatte Direktor Dr. Koschatzky eine Auswahl von 80 Stücken zusammengestellt, die den Werdegang des Künstlers und seine vielseitigen Fähigkeiten anschaulich machen. Wie kam diese kostbare Sammlung der Borromini-Zeichnungen nach Wien? Ihre Geschichte ist von ungeklärten, geradezu geheimnisvollen Ereignissen umgeben. Die Zeichnungen befanden sich im Besitz des leidenschaftlichen Kunstsammlers und Schöngeistes Philipp von Stosch, zu dessen Freundeskreis der Kunst- und Altertumsforscher Johann Joachim Winckel- mann gehörte. Dieser war von Stosch beauftragt worden, die Sammlungen zu bearbeiten. Als Freiherr von Stosch 1757 in Florenz starb, hinterließ er Kunstschätze im Wert von etwa 100.000 Dukaten. Etwa 10 Jahre später bemühte sich die Akademie der bildenden Künste in Wien, Winckelmann nach der Kaiserstadt zu berufen. Auf der Rückfahrt von einer Reise nach Wien wurde er 1768 in Triest ermordet. Nun ist der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, daß diese Bluttat irgendwie mit dem Nachlaß des Stoschschen Kunstbesitzes in Zusammenhang zu bringen ist. Winckelmanns Hinterlassenschaft, in welcher sich auch die Borromini-Zeichnungen befanden, wurden auf Veranlassung seiner Erben in Hamburg versteigert und gelangten von dort nach London, wo sie mit vielen anderen Architekturzeichnungen von Kaiserin Maria Theresia in scharfem Wettbewerb mit Katharina II. von Rußland für die Wiener Hofbibliothek angekauft wurden. Dadurch gehören die Borromini-Zeichnungen heute zum kostbarsten Bestand der Albertina.

Borrominis Kunst ist lange Zeit verkannt und angefeindet worden. Sie wurde weder von seinen Zeitgenossen noch von seinen Nachfahren verstanden. So beschäftigte sich auch die Kunstwissenschaft nicht mit ihm, und noch zu Beginn unseres Jahrhunderts gab es so gut wie keine Literatur über den Meister. Erst der jüngsten Zeit blieb es Vorbehalten, daß

Kunstwissenschaftler wie Paolo Portoghesl und Heinrich Thelen sich eingehend mit Borromini beschäftigten.

Dieser Künstler durchbrach das in der ältesten römischen Bautradition verwurzelte Prinzip des Lastens und Stützens, indem er durch geniale Diagonalkompositionen und eigenwillige Kurvenlinien seinen Bauwerken Schwingungen von bis dahin unvorstellbarer Kühnheit verlieh. Er ist damit bahnbrechend für die weitere Entwicklung des Barockstils geworden, der sich vor allem in Österreich und Süddeutschland zu höchster Blüte entwickelte. Borrominis Kunst fand in diesen Ländern einen weit günstigeren Boden vor als in Rom selbst. Sein Geist entsprach weit mehr dem Phantasie-

reichtum und dem emotionellen Schwung der Menschen jenseits der Alpen als dem nüchternen Rationalismus der Römer.

Die Albertina in Wien und Prof. Hermann Fillitz, der bisherige Direktor des österreichischen Kulturinstituts in Rom, haben nicht nur einen wertvollen Beitrag zur Borro- mini-Forschung geliefert. Die Teilnahme des bedeutenden Wiener Instituts an den Borromini-Feiern in Italien ist auch als kultureller Brückenschlag über die Grenzen hinweg zu werten, der nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, weil sich in Borromini zwei Kulturkreise aufs engste begegnen. Zur Förderung der gegenseitigen geistigen und künstlerischen Beziehungen zwischen den Nachbarländern wäre es sehr zu begrüßen, wenn die römischen Borromind-Ausstellungen zusammen mit einer von Prof. Portoghesi derzeit auch in Lugano veranstalteten Schau in einer großen Borromini- Gesamtausstellung in Wien vereinigt werden könnten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung