Begräbnis Emmett Till - © Foto: imago / zuma Wire

Die Rache ist schwarz: Percival Everetts Roman "Die Bäume"

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Der Roman „Die Bäume“ des US-amerikanischen Schriftstellers Percival Everett erinnert beeindruckend und drastisch an Gewalt, Mord und Lynchjustiz gegen Schwarze. Mit Humor und Ironie setzt sich der Autor gekonnt über alle Genres hinweg.

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Der Roman „Die Bäume“ des US-amerikanischen Schriftstellers Percival Everett erinnert beeindruckend und drastisch an Gewalt, Mord und Lynchjustiz gegen Schwarze. Mit Humor und Ironie setzt sich der Autor gekonnt über alle Genres hinweg.

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Obwohl der Amerikaner Percival Everett seit 1983 über zwanzig Romane veröffentlicht hat, dauerte es sehr lange, ihn im deutschsprachigen Raum bekannt zu machen. Übersetzungen in Kleinverlagen blieben ohne große Resonanz. Erst als der Hanser Verlag 2022 Everetts „Erschütterung“ herausbrachte, änderte sich das – und zeigte schlagartig, über welche herausragenden Qualitäten dieser an der University of Southern California lehrende Autor verfügt. Sein neuer Roman „Die Bäume“, der auf der Shortlist des Booker Prize stand, greift einen „wahren Fall“ aus dem Jahr 1955 auf, nämlich einen durch wissentliche Falschaussagen provozierten Lynchmord.

Emmett Till, ein schwarzer Junge aus Chicago, besucht 1955 als Vierzehnjähriger seinen Onkel in Mississippi. Von Carolyn Bryant, der Besitzerin eines Lebensmittelgeschäfts, zu Unrecht beschuldigt, wird er drei Tage später auf brutale Weise getötet. Ein ungesühnter Akt grausamer Lynchjustiz, der zu wütenden Protesten führte und zu einem der Initiationsmomente der schwarzen Bürgerrechtsbewegung wurde. Das Schicksal Tills wurde vielfach in Dokumentationen, Filmen, Romanen, Theaterstücken und Songs aufgegriffen, unter anderem in Bob Dylans „The Death of Emmett Till“ und Emmylou Harris’ „My Name is Emmett Till“.
Sein Fall ist ein Schandfleck geblieben, auch in juristischer Hinsicht: „Das Bild des Jungen im offenen Sarg hatte dem Land das Grauen der Lynchjustiz bewusstgemacht. Jedenfalls dem weißen Amerika. Für das schwarze Amerika war das Grauen der Lynchjustiz ständig präsent. Die Mörder, Roy Bryant und J. W. Milam, waren von einem nur aus Weißen bestehenden Geschworenengericht freigesprochen worden.“

„Das Archiv“ als Gedächtnis

Percival Everett greift dieses Beispiel eines unverhohlenen Rassismus auf und inszeniert in seinem Roman einen Rachefeldzug, der zu einem Zeitpunkt einsetzt, als sich nicht mehr viele an Emmett Tills Ermordung erinnern. Wir sind im Jahr 2018; Schauplatz ist das Städtchen Money im Staat Mississippi, genau jener Ort also, an dem Emmetts Leichnam seinerzeit wie Abfall beseitigt wurde. Die Zeit scheint hier stillzustehen. Die Bewohner, fast alle weiße Donald-Trump-Anhänger, die mit Schwarzen nichts zu tun haben wollen, wissen, dass man sie andernorts als Hinterwäldler verspottet, die „noch nicht mal im einundzwanzigsten Jahrhundert“ angekommen seien.

Das vor sich hindämmernde Leben in Money gerät jedoch völlig aus den Fugen, als man binnen kurzer Zeit zwei weiße Männer tot auffindet. Sie sind entsetzlich zugerichtet, und neben ihnen liegt in beiden Fällen ein nicht minder toter Schwarzer, der die abgeschnittenen Hoden seines Gegenübers in Händen hält.

Everett schildert diese an eine Hinrichtung erinnernden Szenen in ungeschminkter, blutiger Drastik. Der Sheriff von Money und seine Gehilfen zeigen sich umso mehr überfordert, als das Ganze mit einem Mal mysteriöse Züge annimmt. Denn die Leichen der Schwarzen verschwinden von heute auf morgen, ohne dass es dafür eine rationale Erklärung gäbe. Money und seine unfähige Polizei werden zum Gespött, und so eilen Ed Morgan und Jim Davis herbei, zwei schwarze Detectives vom MBI, dem Mississippi Bureau of Investigation.

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