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Inzest bei Hamlet?

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Das Wiener Volkstheater brachte vor einigen Monaten die „Hamlet“-Tragödie in der Textfassung der Quarto 1603. Da sie gegenüber der Quarto von 1604 und der Folio von 1623 nur den halben Umfang besitzt, drängen sich die Handlungsakzente allzusehr vor. Die Aufführung der stets gespielten längeren Fassung bei den Salzburger Festspielen im Landestheater wäre daher um des erheblicheren geistigen Gehalts willen zu begrüßen, käme nicht unter der Regie von Oskar Werner leider eine mehr als unterdurchschnittliche Wiedergabe zustande.

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Das Wiener Volkstheater brachte vor einigen Monaten die „Hamlet“-Tragödie in der Textfassung der Quarto 1603. Da sie gegenüber der Quarto von 1604 und der Folio von 1623 nur den halben Umfang besitzt, drängen sich die Handlungsakzente allzusehr vor. Die Aufführung der stets gespielten längeren Fassung bei den Salzburger Festspielen im Landestheater wäre daher um des erheblicheren geistigen Gehalts willen zu begrüßen, käme nicht unter der Regie von Oskar Werner leider eine mehr als unterdurchschnittliche Wiedergabe zustande.

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Dieser Schauspieler, bisher zweifellos Spitzenklasse, erweist da eklatant, daß er kein Regisseur ist. Es fehlt jedes geistige Konzept, er wählt falsche Besetzungen, führt die Darsteller schlecht, läßt sie unbeholfen herumstehen. Daß sich Hamlet — Szene im Zimmer der Königin — über seine auf einem Sofa liegende Mutter kniet, iSt ein unangebrachter Inzesteinfall. Dieser Gestalt den Ödipuskomplex aufzudrängen, wirkt als modernistischer Gag. Daß Hamlet in der Schlußszene zwar von den Kriegern des Fortin-bras weggetragen wird, der neue Herrscher aber nicht erscheint, verringert das Gewicht dieser Ehrung, entzieht dem Stück den politischen Hintergrund, den Blick auf eine gesundete Zukunft. Das einzige Bühnenbild für alle Szenen von Rolf Christiansen, abstrakt-expressionistische, geometrisiert-flächige Gebilde, wirkt vorgestrig. Oskar Werner war vor 14 Jahren, als „Hamlet“ im Theater in der Josefstadt gegeben wurde, die denkbar beste Besetzung für diese Rolle: Er bot die adlige Anmut, das früh Gereifte, das Seelenhafte, die Trauer, das Verhaftetsein mit tieferen Bereichen.. Nun fehlt jede Transparenz, er spielt die Rojle lediglich mit jenem darstellerischen Können, bei dem man die Mache spürt, und spricht so schlecht, daß man ihn oft nicht versteht. Der königliche Mörder Claudius wird durch Ewald Baiser zu einem liebenswürdig lächelnden, bieder-herzlichen alten Herrn, dem man die gelegentlich angeschminkte Abgefeimtheit nicht glaubt. Die sympathische Antje Wetsgerber ist der verdeckten Mannsgeilheit der Königin meilenfern, sie spricht den Bericht über den Tod der Ophelia mit sordiniertem Pathos an der Rampe ins Publikum. Arg, sehr arg. Christiane Schröder ist als Ophelia ein harmloses Gänschen, das Zerbrechliche fehlt. Fred Liewehr gibt der Rolle des Polonius Satz für Satz besonderen Nachdruck, die Ratschläge für den Sohn hat er — Regieeinfall! — in einem Notizbuch aufgeschrieben. Durch Achim Benning hält man den Horatio für einen farblosen Kanzleischreiber. Ernst Waldbrunn kommt als erster Totengräber über den bei ihm gewohnten kauzigen Kleinbürger nicht hinaus. Schade um diese Szene. Einigermaßen berechtigtes Pathos setzt Gert Westphal als erster Schauspieler ein, Matthias Fuchs hat als Laertes immerhin Frische. Die Kostüme von Erni Kniepert beeindrucken keineswegs in gleichem Maß wie so oft sonst, sie ordnet sie unberechtigt verschiedenen Zeiten zu. Die Musik von W. Keller bietet geeignete klangliche Akzente. Das Ganze ist keine festspielwürdige Aufführung.

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