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REVOLUTION

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Er nagelt an einem Damenschuh den Absatz wieder an. Und es macht ihm sichtlich Spaß. Übermütig kickt er den Schnee hinweg. Wie ein Kind freut er sich über eine neue Krawatte. Er scherzt auch darüber, daß er bei der Aussprache des „R“ Schwierigkeiten hat. Doch plötzlich ist er ernst, streng, von einer unerwarteten Härte. So ungewohnt, auch für das einheimische Publikum überraschend erscheint Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, in dem sowjetischen Lichtspiel „Auf demselben Planeten“, dargestellt von Inno-kenti SmoktunowsM.

Der erwähnte Film ist eines von vielen Werken, mit denen der Sowjetfilm eines Ereignisses gedenkt, dessen fünfzigjährige Wiederkehr Kommunisten in aller Welt 1967 feiern: der sozialistischen Revolution von 1917.

Bei der Bedeutung Lenins versteht es sich von selbst, daß ein Großteil der Jubiläumsfilme ihm gewidmet ist. An ihnen arbeiteten angesehene Künstler, von Dsiga Wertow und Grigorj Alexandrow bis zu dem auch bei uns bekannten Sergej Jutkewitsch, der das bereits in Cannes gezeigte Lichtspiel „Lenin in Polen“ fertigte, und Ilja Olschwanger, von dem der einleitend genannte Streifen „Auf demselben Planeten“ stammt, der übrigens nur 24 Stunden aus dem Leben des Geehrten behandelt. Für das deutsche Publikum am interessantesten dürfte wohl „Der 6. Juli“ sein, worin es um den Frieden von Brest-Litowak geht.

Auch eine Vielzahl anderer Figuren erscheint im lebenden Bild. In dramatischer Form gibt es zum Beispiel Porträts der Mathematikerin und Revolutionärin Sofja Perowskaja (der renommierte Iwan Pyrjew hat es nachgezeichnet), von Alexandra Kollontai, der ersten Sowjetdiplomatin, dem berühmten, in Fernost kommandierenden Marschall Blücher und weiteren, die „ihr Leben in den Dienst der Revolution stellten“. Jede Republik weist da einige auf — von Estland, das den Proletarierführer Viktor Kingissepp präsentiert, bis Kasakstan, wo jenem Alibie Dschangildin ein Denkmal in Zelluloid errichtet wurde, der 1918 einen kühnen Wüstenrdtt unternahm, um Waffen an die Front zu schaffen.

Im Bereich romanhafter Stoffe werden Ereignisse geschildert, wie etwa die ersten Tage der weißrussischen Revolution („Radio für alle“ von Wladimir Karsch-Sablin, ebenfalls einem Filmpionier), der turkmenische Bauernaufstand („Ein entscheidender Schritt“ von Alty Karlijew), die Errichtung der Sowjetmacht in der Altairegion („Die ersten Russen“ von Alexander Iwanow), der Kampf um die bedeutendste kaspische Erdölstadt (Adschar Ibrahimows „26 Kommissare von Baku“) usw.

Einer der spektakulärsten Beiträge zum Jubiläumsjahr ist das Lichtspiel „Die Salve der .Aurora'“. Man erinnere sich der Geschichte vom Beginn der Oktoberrevolution, das heißt der Erzählung, die darüber verbreitet wird: Rotgardisten schließen den Ring um das Leningrader Winterpalais, der letzten Bastion der Regierung Kerenski. Zur Attacke benötigen sie nur ein Signal, ein Fanal. Es kommt. Auf der Newa wendet der Kreuzer „Aurora“ und richtet das vordere Sechszollgeschütz auf das historische Gebäude. Ein Blitz durchzuckt die Nacht. Kanonendonner rollt über die Stadt. Arbeiter und Soldaten beginnen den Angriff.

Das hört sich' sehr schön an. Aber es stimmt nicht. Nicht böse Kapitalisten haben diese Legende zerstört, sondern die Sowjets selbst, nämlich Literaturkritiker in der Zeitschrift „Nowy Mir“ („Neue Welt“). Dort stellten sie klipp und klar fest: Die „Salve der .Aurora'“ war keine. Sie bestand aus einem einzigen Schuß. Und der war ein Blindgänger...

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