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FRAUEN UND KLEIDER
Man sollte Frauen, die behaupten, Kleidern gegenüber gleichgültig zu sein, ebensowenig trauen wie Männern, die behaupten, daß es ihnen einerlei sei, was sie äßen: Da stimmt etwas nicht. Und Männer, die über das weibliche, leidenschaftliche Interesse für Kleider spotten, sollten in die Wälder verbannt werden. Was mich betrifft, so freue ich mich an Frauen, wenn sie sich ins Beratungsgetue über neue Kleider stürzen. Sie scheinen da am meisten sie selbst zu sein und am entferntesten von meinem Geschlecht. Sie leben zu solchen Zeiten völlig in ihrer eigenen Welt. Sie sind halb Kinder, halb Hexen. Man beachte nur einmal ihre Haltung bei diesen Kleiderberatungen. Etwa ihren absolut hellsichtigen Realismus hinsichtlich ihrer selbst. Wir Männer beurteilen uns selbst immer durch einen Dunst des Wohlwollens. Wir glauben’ nie, daß wir so beleibt oder so hager und knochig sind, wie es andere von Uns behaupten. Damen sind frei von derartigen Illusionen. Man beachte die direkten, unumwundenen Blicke, mit denen sie sich bei solchen Gelegenheiten gegenseitig mustern. Deshalb gibt es bei ihrer Kleiderkonferenz im Gegensatz zu männlichen Konferenzen kein Aufeinanderprallen verschiedener Illusionen. Alle von ihnen treffen sich auf dem festen Boden der Tatsachen. Und allem, was erkannt worden ist, wird Rechnung getragen; Käthes linke Schulter ist höher als ihre rechte; Mausi ist sehr breit in den Hüften; Anita hat zu kurze Beine. Die Richtlinie der Konferenz — und das ist überaus vernünftig — ist, daß wir alle unvollkommene Geschöpfe sind — wie können wir uns also von unserer besten Seite zeigen? (Wenn Politiker und ihre höheren Beamten sich bemühen würden, bei internationalen Konferenzen der gleichen Richtlinie zu folgen, könnten sie die Welt innerhalb einer Woche ändern.) Aber das ganze Kleidergetue ist nicht bloß unerbittlicher Realismus. Es gibt eine große Illusion, die sie alle gemeinsam haben und an der keine je im Traum rütteln würde. Es ist der Glaube, daß aus diesen Kleidern mit den nötigen Vertuschungen und Bemäntelungen Schönheit und Zauberkraft emporsteigen können, daß hier irgendwo ein wunderbares Leben beginnt. Und ich persönlich finde das samt und sonders höchst erfreulich.
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