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Chaos in Rumänien?

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FURCHE: Was empfanden Sie, als Sie nach Jahren jetzt erstmals wieder Rumänien betraten?

ATTILA ARA-KOVACS: Ich fand mich in einem fremden Land wieder. Ich hielt es nicht für möglich, was sich in der Zwischenzeit auf schreckliche Weise verändert hatte, wie die Bevölkerung auf brutalste Weise von der europäischen Entwicklung abgeschnitten und durch das unmenschliche Regime jede bürgerliche Zivilcourage abgetötet wurde.

FURCHE: Wie erklären Sie sich als Menschenrechtsaktivist diese jahrelange Friedhofsruhe?

ARA-KOVACS: Rumänien gehört nicht zu Mitteleuropa. Die Bevölkerung kennt keine Tradition revolutionärer Umgestaltung. In der rumänischen Geschichte ereigneten sich keine Revolutionen, nur Rebellionen, spontane Aufstände ohne politische Programmvorstellungen. Ich glaube, erstmals in seiner Geschichte erlebt Rumänien jetzt eine Revolution, wendet sich möglicherweise hin zu Europa.

FURCHE: War es eine Revolution oder eine Rebellion?

ARA-KOVACS: Anfangs war ich überzeugt, es wäre eine Revolution. Denn erstmals zeigte sich ein politisches Konzept. Bei genauerem Hinsehen bemerkt man, daß die Reformvorschläge der provisorischen Regierung von Berlin, Prag oder Budapest abgespickt sind, es fehlt die rumänische Pointe. In Rumänien waren es außerdem Teile der Armee, die die Tyrannenherrschaft beendeten. Anderswo war es aber der Mut der Bevölkerung, der schließlich die Herrschenden in die Knie zwang. Und selbst als die Revolution in Rumänien bereits voll im Gange war, weigerte sich die Armee noch immer, die Bevölkerung zu bewaffnen. Das ist für mich ein Zeichen, daß die jetzige Regierimg nicht in angemessenem Ausmaß mit der Bevölkerung kooperiert. Und darin sehe ich ein ernstes Problem für die nächsten Monate. Militär und Kommunisten stehen weiterhin in allen Schlüsselpositionen der Macht. Ob sie diese bei freien Wahlen preisgeben, ist für mich mehr als fraglich.

FURCHE: Wie bewerten Sie die Hinrichtung des Tyrannenehepaares Ceausescu?

ARA-KOVACS: Das war ein unverzeihlicher Fehler. Es hätte wie einst in Nürnberg ein Kriegsverbrecher-Prozeß geführt werden müssen. Doch der wäre für viele der neuen Führer imbequem geworden, die in der Vergangenheit doch loyal hinter Ceausescu standen. Für sie kam die sofortige Hinrichtung gelegen - nicht jedoch für die Demokratisierung des Landes.

FURCHE: Stimmt es, daß sich die Armee auf die Seite des Volkes schlug und die Securitate alleinverantwortlich ist für die Massaker?

ARA-KOVACS: Das ist ein Mythos der neuen Machthaber. Die ersten Blutbäder in Temesvär und Arad ließ sich die Armee zu Schulden kommen, nicht die Securitate. Die Securitate war auch nie so von der Armee getrennt, wie dies nun die neue Führung hinzustellen versucht. Ein altbekanntes Spiel: Es muß ein Feind gefunden werden. Bis jetzt galten die nationalen Minderheiten - die Juden, Deutschen, Ungarn - als die natürlichen Feinde der Rumänen. So lehrte es Ceausescu. In diesen Tagen verbrüdern sich erstmals die Rumänen mit den Minderheiten, ich selbst konnte es spüren. Doch man möchte nicht wahrhaben, daß Rumänen auf Rumänen schössen, so schafft man einen neuen Mythos: Die Securitate, von Arabern unterwandert, ist der alleinige Bösewicht. Es gab möglicherweise ein Dutzend Araber, die auf der Seite der Ceauses-cu-Treuen standen, ehemalige PLO-Terroristen, die in Rumänien Asyl gefunden hatten. Aber falls dem wirklich so sein sollte, dann sind dies Ausnahmen. Man muß sich das so vorstellen: Die Securitate war die Gestapo, die auf Einzelpersonen angesetzt war, die Armee die Waffen-SS - und beide gehörten wie ein Augenpaar zusammen.

FURCHE: Im April soll es freie Wahlen geben. Ist das möglich?

ARA-KOVACS: Kaum. Diese Wahlen hätten nur einen Sinn, wenn es Alternativen gäbe. Aber es fehlt an Menschen mit demokratischen Erfahrungen. Vorerst wird es bei despotischen Herrschaftsformen bleiben - natürlich viel liberaleren Zuschnitts als unter Ceausescu, aber doch weit entfernt von westeuropäischen Demokratievorstellungen. Ich halte ein ähnliches Chaos wie im jugoslawischen Serbien unter Milosevic für denkbar.

FURCHE: Ihr Freund Ldszlö Tökes ist in Rumänien jetzt der große Volksheld. Er ist ungarischer Nationalität. Werden sich jetzt die Beziehungenzwischen Ungarn und Rumänien verbessern?

ARA-KOVACS: Noch ist mein alter Mitstreiter Tökes der große Held. Aber für wie lange? In Blitzeseile gründen sich zur Zeit erneut die Vorkriegsparteien; alles Gruppierungen, die nicht gerade in demokratischen Traditionen standen, mit einer kräftigen Prise rumänischen Chauvinismus.

Solange in Rumänien nicht moderne Parteien Einfluß gewinnen, solange wird auch im neuen Rumänien die Entwicklung weit hinter den Nachbarländern herhinken, eine wirklich demokratische Gesellschaft mit allgemeinen Menschenrechten und Minderheitenrechten ausbleiben.

Mit dem Philosophen Attila Ara-Kovacs (36), Leitfigur der Siebenbürgener Oppositionsszene, bis 1983 Herausgeber der ersten Samisdat-Zei-tung Nachkriegsrumäniens „EHenpontok", enger Freund von Läszlö Tökes, nach Ungarn abgeschoben, wenige Stunden nach dem Sturz Ceausescus erstmals wieder in seiner alten Heimat, sprach Roland Hofwiler.

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