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Chinin und Diamanten

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Der insbesondere vcm der allerjüng-sten Schriftstellergeneration verkündeten Parole: „Schluß mit dem Erzählen!” dürfte zwar wahrscheinlich nicht der geborene, immerhin aber das Gros der berufenen Erzähler bereits gefolgt sein. Wie wäre es sonst zu erklären, daß Verleger in ihrer Verlegenheit, wie sie ihrer nach wie vor auf Erzählungen erpichten Leserschaft dienen soUen, Rückgriffe auf Romane von der Art dieses „Sie” vom Ende des vorigen Jahrhunderts machen? Sein 1856 geborener Verfasser, obschon Altersgenosse Shaws und Wildes, hatte beim Schreiben gewiß den viktorianischen Teenager im Auge, dessen Naivität er teilt und den zu unterhalten und gleichzeitig zu belehren er sich vorgenommen. Eine gewisse, bescheiden in Anmerkungen eines fingierten Herausgebers gepreßte Gelehrsamkeit entbehrt nicht ganz unfreiwilliger Ko-

mik, die sich auch dort entfaltet, wo der Autor sich bewußt ist, zu Engländern und nichts als Engländern zu sprechen. Im übrigen wird fleißig Chinin eingenommen, und so ist man auch medizinisch auf der Höhe der Zeit. Es läßt sich viel aus dem Buch lernen. Nur das Gruseln nicht, um dessen Willen man nach ihm gegriffen hat. Das mag daran liegen, daß der Autor immer wieder bedauert, nicht schildern zu können, was ihm zu schiüdem oblag, weil es in seiner Ungeheuerlichkeit siich jeder Schilderung widersetze. Pech. — Doch was soll’s? Angesichts so berühmter Bewunderer wie Stevenson, Kipling und Henry Miller, deren Namen den Klappentext zieren, wagt man nicht mehr zu gestehen, daß einem das Leben sauer wird. Glücklicherweise fällt einem ein, daß es dieser Haggard war, der dem einst so berühmten PUmschinken „König

Salomons Diamanten” seine geistige Grundlage verschaffte. Sitzen nicht einige bei Operetten, andere wieder bei Opern teilnahmslos? Der deutsche Leser kann sein Versagen immerhin der Übersetzung anlasten, der es nicht gelungen sein könnte, die „magische Einbildungskraft” und „bizarre Welt” dieses Autors kongenial wiederzugeben.

SIE. Abenteuerroman von Henry Haggard. Deutsch von Helmut Degner. Sammlung klassischer Abenteuer. Diogenes-Verlag, Zürich, 1970. 384 Seiten, Leinen, DM 19.—.

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