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Die Geschäftsmoral wird dialektisch aufbereitet

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Aus allen Rohren schießt die DDR, um die brüchig gewordene „kapitalistische Moral“ endgültig am Boden zu zerstören. Jede westliche Pleite wird begierig aufgegriffen, jede Sumpfblüte wirtschaftlicher und kultureller Halb- und Unterwelt wird als typisches Gewächs des Westens dargeboten, jeder im Westen freimütig aufgedeckte Skandal genießerisch herumgereicht. Von den 99 Prozent „normal“ lebender Menschen dagegen schweigt man. Und man schweigt auch von den eigenen Spezialitäten.

Zu diesem gehört zweifellos der Umgang mit fremdem Eigentum. Allein im Jahre 1975 - die letzte offizielle Zahl des Bundespostministeriums zu diesem Thema - verschwanden über

30.000 Pakete und Päckchen, die aus der Bundesrepublik und Westberlin in die DDR gesandt worden waren. Ein privater Helferkreis in Cham (Oberpfalz) schickte zu Weihnachten 1975 nahezu zweitausend Geschenkpakete in die DDR - 400 davon kamen niemals an.

Dafür melden die „Exquisit- Geschäfte der DDR, über einhundert an der Zahl, ständig steigende Um sätze.

Im Schaufenster werden die Waren, fast ausnahmslos für kostbare Devisen importiert, ohne Preisauszeichnung angeboten. Eine Aura von Heimlichkeit und schlechtem Gewissen umgibt die Verkaufsszene im Laden. „UWU- BUS“ (Abkürzung für: Ulbrichts Wucher-Buden) nannte und nennt diese Geschäfte noch heute der Volksmund. Zu Recht: Kleidung, alkoholische Getränke, Rauchwaren - alles kostet hier drei- bis viermal soviel wie in der Bundesrepublik. Offiziell sanktioniert die DDR mit diesen Preisen den Realwert ihrer Währung, der noch immer nur 30 Prozent D-Mark beträgt. Millionenbeträge kassiert der Staat aus den Folgen des Grundvertrages mit der Bundesrepublik in Form von Tagessätzen der Besucher, Benutzungsgebühren für die - miserablen - Autobahnen, Visa- erteilungen für Ausländer und Dienstleistungen von Bahn und Post. Der Appetit auf Devisen wächst mit dem Essen, ohne jedoch das Handelsdefizit abbauen zu können. Weit entfernt davon, die eigene Binnenwährung gegenüber westlichen transferierbar zu machen, muß die DDR auch Importe aus der UdSSR zu Weltmarktpreisen bezahlen. Munter aber wirft man weiter mit Steinen aus seinem Glashaus.

Oder auch dies: Die Bundesrepublik versucht bis zur Stunde, in peinlich genauen Prozessen die Tatschuldigen der Hitlerzeit zu überführen und zu bestrafen. Die Dokumente der NS- Prozesse sind jedermann zugänglich, Zeugen aus den hintersten Winkeln Polens werden großzügig eingeflogen.

Man könnte lange fortfahren, ostdeutsche Spezialitäten aufzutischen. Ihnen allen ist eines gemeinsam: die Wahrheit wird manipuliert, dialektisch aufbereitet und schließlich als Zwecklüge der Ideologie einverleibt, um dann erneut in den Rang einer Wahrheit erhoben zu v/erden. Nach dieser Roßkur, ist sie dann sakrosankt und jeder Verstoß wird unnachsichtig geahndet. Wen wundert es da, daß immer mehr Menschen, legal oder illegal, diesem Dunstkreis entfliehen und dorthin ziehen wollen,-wo man sich - von unverbesserlichen Schwärmern abgesehen - im privaten und öffentlichen Leben nicht auf verschiedene Varianten der Moral beruft?

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