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Die göttlichen Manager

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Zwischen den Extremen der konventionellen Kunstgeschichte und des historischen Materialismus gibt es eine Fülle möglicher Blickpunkte auf ein Phänomen wie Angkpr •— offenbar liegen derWahldös Standpunktes um so stärkere soziale, am Verhalten der Gruppe, der man sich zugehörig fühlt, orientierte Motive zugrunde, je extremer die eingenommene Position ist. In den Entschuldigungen, die Jan Myrdal, der Sohn des großen Gunnar, glaubt vorbringen zu müssen, weil er sich mit der Kunst von Ängkor beschäftigte, während die Amerikaner Vietnam bombardierten, gewinnen die intellektuellen Solidarisierungstänze, die Gruppenzugehörigkeitsrituale,., humoristische Qualitäten.

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Zwischen den Extremen der konventionellen Kunstgeschichte und des historischen Materialismus gibt es eine Fülle möglicher Blickpunkte auf ein Phänomen wie Angkpr •— offenbar liegen derWahldös Standpunktes um so stärkere soziale, am Verhalten der Gruppe, der man sich zugehörig fühlt, orientierte Motive zugrunde, je extremer die eingenommene Position ist. In den Entschuldigungen, die Jan Myrdal, der Sohn des großen Gunnar, glaubt vorbringen zu müssen, weil er sich mit der Kunst von Ängkor beschäftigte, während die Amerikaner Vietnam bombardierten, gewinnen die intellektuellen Solidarisierungstänze, die Gruppenzugehörigkeitsrituale,., humoristische Qualitäten.

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So zum Beispiel, wenn er, was kleinbürgerliche Intellektuelle ja so gerne tun, gleich am Anfang aus dem Tagebuch seiner Angetrauten zitiert („3. März 1967. Mein Namenstag. Brachen um 7 Uhr zum Banteay Srei auf. Wagen steckengeblieben. Wurden im Jeep mitgenommen.“) und fortfährt: „Dies kann als Äußerung des Normalverhaltens kleinbürgerlicher Intellektueller gedeutet werden. In einer Zeit, da Dörfer niederbren-

nen und Menschen um ihr Leben kämpfen, schlendern die Intellektuellen von einem Baudenkmal zum nächsten und ergeben sich in Gesprächen über die Ornamentik des neunten Jahrhunderts, die Bautechniken des zehnten und jenen Niedergang, der sich vor acht Jahrhunderten ergeben hat.“

Leider verzichtet der Verfasser des Buches „Kunst und Imperialismus am Beispiel Angkor“ (das aus dem Schwedischen ins Amerikanische und aus dem Amerikanischen, welche Sprache immer das auch sein soll, ins Deutsche übersetzt wurde und nun in der Nymphenburger Verlagsbuchhandlung erschien) darauf, mit der Schärfe seines analytischen Intellekts bis zu jenem Punkt vorzudringen, an dem erkennbar würde, daß er sich auch dafür entschuldigen muß, daß er ißt, trinkt und schläft, während anderswo Dörfer brennen, und daß es ja eigentlich in diesem Zusammenhang gleichgültig ist, was man — außer Aktionen für die Bewohner der brennenden Dörfer — sonst noch den ganzen Tag tut. Er begnügt sich also damit, klarzustellen, daß er sich das Recht, nach Angkor zu fahren und mit seiner photo-graphierenden Frau Gun von einem Baudenkmal zum nächsten zu schlendern, auf die einzige in Frage kommende Weise erworben hat: „Gun und ich haben — wie andere schwedische Intellektuelle — bezüglich des Kriegs eindeutig Stellung genommen. Kurz bevor wir nach Angkor und Kambodscha aufbrachen, hatten

wir demonstriert, Artikel geschrieben, Reden gehalten. Wenige Monate nach unserer Rückkehr w^rde ich anläßlich der großen Demonstration in Stockholm von der Polizei verprügelt und verhaftet.“

Soweit das Alibi, aber der junge Myrdal geht noch einen Schritt weiter, bis sichtbar wird: Auch wenn man, wie übrigens nicht nur schwedische Intellektuelle, brav demonstriert und Artikel geschrieben hat,

darf man nur dann von Baudenkmal zu Baudenkmal schlendern und über Angkor schreiben, wenn „ein solches Gespräch über die Ornamente des neunten Jahrhunderts... Teil des notwendigen Kampfes gegen den Imperialismus“ ist.

Unter dem krampfhaften Bemühen, dieser Forderung auf jeder Seite gerecht zu werden, leidet das ganze, im übrigen ausgezeichnet geschriebene, gedankenreiche Buch, und darunter leidet, paradoxerweise, auch und gerade die strenge Analyse des Phänomens Angkor mit dem Instrumentarium des historischen Materiadismus. Angkor wäre klassischer Fall für eine solche Analyse, die aber bei Myrdal nur in schwachen Ansätzen sichtbar wird. Viel mehr Raum und Mühe wendet er auf ebenso berechtigte wie pointierte Analysen des Kolonialismus und des Herrenmenschentums weißer Kolonialisten, man hätte lieber mehr über Angkor und ein zweites Buch über nordische Hühner, die wahre Bedeutung der Tropenkleidung für Weiße und ähnliche Dinge gelesen. In der vorliegenden Form gehen die historischen Erläuterungen kaum über das hinaus, was in „Henri Par-mentiers Guide to Angkor“ steht, den dort jeder Tourist unter dem Arm trägt, und damit wird der Kern des Themas verfehlt.

Denn selbstverständlich hat Myrdal völlig recht, wenn er im Gottkönigtum von Angkor ein Ausbeutungssystem erblickt — von einem marxistisch geschulten Denker hätte

man erwartet, etwas mehr über die Bedingungen zu erfahren, die dazu führten, daß das Phänomen der Khmer-Kultur gerade dort und gerade in dieser Form entstand. So anregend sich seine Betrachtungen über die Vernachlässigung und Verdrängung des Kulturaustausches zwischen Ost und West im europäischen Geschichtsbild lesen — was soll's ausgerechnet angesichts einer Kultur, zu deren Entstehungsbedingungen die Abschließung auch von ihren unmittelbaren Nachbarn gehörte. Angkor empfängt, in Form indischer „Missionare“, eine Initialzündung, doch die Kultur der Khmer reifte und blühte in weitgehender Isolation von den großen Entwicklungsströmen, zurückgezogen vom mittlerweile von den mohammedanischen Eroberern beherrschten Meer. Indochinas Geographie bot den Khmer die einmalige Chance, sich in einem riesigen, fruchtbaren Gebiet mit allen Voraussetzungen für die

Produktion eines kuilturfördernden Nahrungsüberschusses einige Jahrhunderte lang fast nach Belieben auszudehnen, ohne auf gefährliche Feinde zu stoßen: Die Thai saßen in den Hochländern von Shan • und Laos, die Cham auf der anderen Seite der annamitischen Kordillere waren eher nach dem Meer hin orientiert, und es gab auch keine Nomaden, „diese aufstörende Landplage, die allenthalben periodisch über die seßhaften Völker hereinbricht und ihre Geschichte aus dem Gleichgewicht wirft“.

Die Konfrontation mit den späteren Erbfeinden in Ost und West, den Thai und den Vietnamesen, ereignete sich erst zu einer Zeit, als die Khmer-Kultur ihre entscheidenden Prägungen bereits erhalten hatte. Der Anstoß zum Untergang kam von den Feinden, doch der Todeskeim der Kultur von Angkor saß in ihr selbst und wuchs mit ihr.

Angkor ist der Prototyp einer Wasserbauerkultur, wie man sie in so typischer Ausprägung sonst nur in Mesopotamien kennt. Ein ursprünglich wahrscheinlich bescheidener Nahrungsüberschuß ermöglichte es, Bauprojekte in Angriff zu nehmen, welche die Nahrungsmittelproduktion immer weiter vergrößerten. Immer gewaltigere Wasserbauten führten zu drei Reisernten jährlich und zur Konzentration immer größerer Bevölkerungsmassen auf einem relativ kleinen Gebiet um Angkor. Diese enorme Gemeinschaftsleistung war aber nur möglich dank einer

straffen Organisation, und die Notwendigkeit einer solchen Organisation ermöglichte es den Dynastien von Angkor, sich über die Vielzahl kleiner, lokaler Königtümer zu erheben. Möglicherweise gab es, bevor die Könige von Angkor Gottkönige wurden, im Khmer-Reich eine Art Hochkönige — Unterlagen darüber, wie überhaupt Unterlagen über die Geschichte Angkors, fehlen, die Staatsarchive der Khmer wurden Ende des 16. Jahrhunderts von den (wieder einmal, diesmal mit portugiesischer Hilfe) eindringenden Thai verbrannt.

Die Koordinationsfunktion der Khmer-Könige, heute würde man sagen, ihre Notwendigkeit als Manager, ermöglichte deren Aufstieg zur totalen Macht und schließlich zur Selbstvergottung — wie überhaupt in Kulturen, die dank großer Wasserbauten dem primitiven Bauerndasein entwuchsen. Dabei erlebte das Volk der Khmer Jahrhunderte einer

außerordentlichen Prosperität, und es gibt keinen Anhaltspunkt für die Richtigkeit der Myrdalschen Behauptung, die Erhöhung der Ernteerträge hätte „die herrschende Klasse reicher und mächtiger und das Volk ärmer denn je werden lassen“. Das kann für die Endphase unter Jayavarman VII. gelten, nicht aber für die Blütezeit der Khmer-Kultur. Jan Myrdal begeht einfach eine intellektuelle Ungehörigkeit, wenn er die Verelendungstheorie des Marxismus, nachdem sie sich in ihrer klassischen Form als unanwendbar auf die Bedingungen der modernen kapitalistischen Industriegesellschaft erwiesen hat, an der räumlich und zeitlich entlegenen Kultur der Khmer zu verifizieren vorgibt. Auch hier standen Oberflächlichkeit und Flüchtigkeit Pate, wäre er etwas mehr in die Tiefe gegangen, hätte er unschwer erkennen können, daß sich die Verelendungstheorie in ihrer vom neuzeitlichen Marxismus adaptierten Form durchaus auch auf Angkor anwenden ließe. Wir haben zwar Listen von Waren, die kambodschanische Dörfer den Klöstern abliefern mußten, wissen aber nichts über den Lebensstandard der Bauern. Es ist durchaus möglich, daß es den Bauern ähnlich wie der Masse der Arbeitnehmer in der modernen Industriegesellschaft, zeitweise immer besser ging, während sie immer mehr ausgebeutet wurden, weil einfach die Akkumulation der großen Reichtümer in der Hand der wenigen schneller voranschritt als die Hebung

des bescheidenen Wohlstandes der vielen.

Angkor als Kunstwerk ist ein Faszinosum, vor dem die Worte versagen — aber Angkor war ein hochempfindliches, im Krieg äußerst verwundbares Reichszentrum, und zuletzt führten die Khmer-Könige alle überschüssige, und in der Endphase sicher mehr als die überschüssige Kraft ihrem eigenen Nutzen, ihrer Vergottung, zu. Zehntausende Menschen in Tausenden von Dörfern ernährten die 5000 Insassen eines einzigen Heiligtums, berichtet der chinesische Gesandte Tschu Ta-kuan; zu jener Zeit war Angkor Vat, das Grabmal von König Suryavarman II., längst von den Thai verwüstet, aber auch unter Jayavarman VII., dem letzten der großen Könige, rafften die Khmer ihre ganze Kraft nicht etwa zu einer entscheidenden Verteidigungsanstrengung, sondern zu einem letzten Aufflammen hektischer Bautätigkeit zu Ehren eines Königs zusammen, dessen Bauwut nur mit der eines Ludwig von Bayern verglichen werden kann.

Sein Hauptwerk, sein Tempel, das Bayon in Angkor Thom: die schaurige und faszinierende, großartige, barock wuchernde letzte Blüte einer untergehenden Kultur. Wieweit die 216 Gottkönigsgesichter, die, in jeder Windrichtung eines, von den 54 Tur-

Photos: Butterweck

men des Bayon starrten, eine Machtdemonstration nach innen darstellten und Aufrührern Angst einflößen sollten, können wir nur ahnen.

Jan Myrdal schreibt: „Der Zusammenbruch der ertragssteigernden Bewässerungswirtschaft (somit des zentralistischen Staats) — war eine Befreiung. Nach dem Fall Angkors änderte die Bevölkerung nicht nur den Glauben, sondern auch die* Rechtsformen des Eigentums. Unter dem Gesetz, das in der Folgezeit herrschte, bis die Franzosen privaten Landbesitz einführten, erhielt der Bauer sein Land zum Lehen. Boden konnte nicht verkauft, er konnte nur bestellt werden. Das Ergebnis war eine extensivere Art des Anbaues. Die Bauern wurden freier, die ihnen auferlegten Abgaben leichter. Form und Inhalt des Sklaventums wandelten sich.“

Parallelen zur modernen Industriegesellschaft liegen nahe, Myrdal schließt sein Buch: „Nachts, als Gun schlief und der Ventilator quietschte, dachte ich an Manhattan. An Paris. Und an London. Wenn einer in tausend Jahren durch die Straßen geht: wieviel wird sich erhalten haben?“ Mag sein, daß mancher in einem Zusammenbruch von Manhattan, Paris und London eine Befreiung sieht. Mag sein, daß es tausend Jahre später so scheint. Doch müssen wir uns fragen, wie es die Menschen, die diesen Zusammenbruch er- und überlebten, und die, die ihnen unmittelbar folgten, empfunden haben. So auch in Angkor.

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