Werbung
Werbung
Werbung

Wer in den Süden der USA zieht, begegnet ganz anderen Glaubensfragen als in Mitteleuropa, vor allem natürlich christlichen. Mein Forschungs­aufenthalt in Tennessee hat mich in den Bible Belt geführt, den Bibelgürtel, den vor allem protestantische Glaubensrichtungen prägen. Auf dem Weg zum jüdischen Kindergarten passieren wir unzählige Kirchen – der Baptisten, Episkopalen, Presbyterianer und andere. Im Autoradio muss ich länger suchen, wenn ich nicht einen christlich-religiösen Sender oder Country-Musik hören will. Das alles kann sich nach einem Anschlag auf die säkularen Sensibilitäten anfühlen, die selbst viele religiöse Mitteleuropäer in sich tragen.

Wenn man es jedoch schafft, hinter dem spezifisch Christlichen eine grundsätzliche Bejahung von Transzendenz, Glauben und der Bedeutung von Religion zu erkennen, löst dies eine andere Reaktion aus: Wenn sich, anders als im säkularen Mittel- und Westeuropa, nicht der religiöse Mensch als verdächtige Ausnahme rechtfertigen muss, sondern derjenige, der mit Religion nichts anfangen kann oder sie ablehnt, kann dies auch befreiend wirken.

Die vereinfachte Erklärung für den gefühlten Unterschied steckt in der Geschichte: Die USA trennen seit ihrer Gründung Staat und Religion mit dem Ziel, beide Bereiche voneinander zu befreien. In Europa musste politische Freiheit gegen jahrhundertelang bestehende religiöse Autoritäten erkämpft werden. Liberalismus als Grundbestandteil moderner Gesellschaften kann daher in Amerika pro-religiös sein, während er in der Alten Welt auch anti-reli­giöse Affekte enthält. – Nicht nur bei Steckdosen und Temperaturangaben, sondern auch in Glaubensfragen enthält die vermeintlich alles nivellierende westliche Kultur und Lebenswelt Unterschiede, die spannender sind als die Gemeinsamkeiten.

Der Autor forscht zurzeit zu Jewish Studies an der Vanderbilt University, Nashville/USA.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung