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Im ÖVP-Sieg steckt auch ein Problem

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Es erging einem wie eine Woche vorher: Noch am Samstag vor dem Wahltag erzählten einem die Tiroler (und diesmal kundige Oberösterreicher) ganz genau, warum der Wallnö- fer (und der Ratzenböck) wohl ein, zwei Mandate verlieren würden…

Am jeweiligen Sonntag um 17.01 Uhr konnte man alle gesammelten Argumente, die den Mandatsverlust erklären sollten, beim Fenster hinausblasen. Der Landeshauptmann von Tirol konnte seine Zweidrittelmehrheit ausbauen, der von Oberösterreich erstmals in der Zweiten Republik eine absolute Mandatsmehrheit einbringen.

Daß Josef Ratzenböck, dessen Partei bei der Nationalratswahl um 65.000 Stimmen hinter der SPÖ lag, diese sechs Monate später um 75.000 Stimmen überrunden konnte, hat noch keiner vorgezeigt in Österreich. Daß man nicht einfach vom „Tau- benschlag”-Phänomen reden kann, bewiesen die Landtagswahlen in Wien, Salzburg und Niederösterreich, aber auch die Arbeiterkammerwahl, wo jeyveils den zweitstärksten Parteien die Tauben zuflogen.

Es muß also mehr als nur der berühmte Amtsbonus gewesen sein. Bei diesem Mehr freilich stockt man schon. Was Ratzenböck in diesem Wahlkampf versprochen hat, lag stark auf einer Linie, die man, hätte ein anderer sie verfolgt, landauf landab als „Linksüberholen” bezeichnen würde. Oberösterreichs Volkspartei verhieß kostenlose Kindergartenfahrten, zinsenfreie Wohnbaudarlehen oder wahlweise 20.000 S bar auf die Hand, eine Pendlerbeihilfe, kostendeckende Zuschüsse zu Altenheimtarifen und allerlei mehr, was die Steuerzahler viel Geld kosten wird. \

Für die ö VP-Reformdebatte ist der grandiose Ratzenböck-Sieg daher nicht unproblematisch. Bedeutet er, daß doch jene rechthaben, die meinen, ein paar „Blaue”, vor Wählernasen gehalten, machten jedes Grundsatzdefizit wett? Stellt er eine Absage an das Prinzip „Qualität statt Quantität” dar?

Wenn man nur ungern solche Schlüsse aus dem Wahlresultat zieht, wird man zunächst einmal anzumerken haben, daß Ratzenböck mit seinem Gespür für Stellen, wo das Volk der Schuh drückt, eben jene Problemgebiete getroffen hat, wo die „Neue Soziale Frage” besonders zutagetritt: kinderreiche Familien, Pendler (zwei von drei Arbeitnehmern Oberösterreich3-haben ihre Arbeitsstätte nicht an ihrem Wohnort!), Senioren.

Und noch etwas: Die obderennsi- sche Volkspartei hat nicht nur Geld unters Volk geworfen, sondern auch Töne gefunden, die rar geworden sind in der Politik: „Wir wollen mehr als nur sichere Arbeit, wir wollen Menschlichkeit am Arbeitsplatz”, hieß es da. Und: „Wir wollen kein sterbendes Oberösterreich. Den nur ein Kinderland ist ein Vaterland.”

Ihr „Modell Oberösterreich” hat politische Probleme in einer bisher kaum üblichen Sprache dar- und zur Diskussion gestellt: deutlich, deutsch, ohne Phrasen, aber nicht ohne jenes Maß an Mitgefühl, das viele Apparatschiks verloren haben, normale Menschen aber brauchen.

Also hat Ratzenböck wohl doch den Wahlsieg nicht nur „eingekauft”. Was dennoch nicht heißen soll, daß nicht über eine wirksame Förderung jener, die es wirklich nötig haben, an Stelle allumfassender Gnadenausgießung noch nachzudenken wäre.

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