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Klagen über Verschwendung

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Im Kongreßzentrum der Wiener Hofburg tagte vom 23. Mai bis zum 2. Juni 1972 die sechste Session des Rates für die industrielle Entwicklung (IDB), des Leitungsorganes der Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung (UNIDO) mit dem Sitz in Wien. Damit ist die österreichische Bundeshauptstadt für zwei Wochen Mittelpunkt von Initiativen und Beratungen auf einem spezifischen Gebiet von Entwicklungsfragen, und das Interesse und die Hoffnungen der Entwicklungsländer wandern damit von den Anden zur Donau, von Santiago de Chile, wo am Pfingst-wochenende die 3. Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung mehr stürmisch als erfolgreich zu Ende gegangen ist, nach Wien. Was können sich diese Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas von der UNIDO im allgemeinen und von der heurigen Ratstagung überhaupt erwarten?

Die UNIDO wurde 1966 von der UNO-Generalversammlung als ausführendes Organ für das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen ins Leben gerufen und hat die Förderung des Auf- und Ausbaues der Industrie in den Entwicklungsländern unter besonderer Berücksichtigung des Fertigwarensektors zum Ziel. Eine wirklich befriedigende Erfüllung ihrer Aufgaben ist der Organisation aber bisher ob mehrfacher Schwierigkeiten nicht völlig gelungen, was auf einen Mangel an persönlichen, sachlichen und finanziellen Hilfsquellen, ihre den Umständen nicht immer entsprechenden Methoden, das Fehlen einer klar definierten langfristigen Strategie und — nach Auffassung der Entwicklungsländer hauptsächlich — auf strukturelle und organisatorische

Mängel der UNIDO zurückzuführen ist.

Unter diesen Umständen trat im Juni vergangenen Jahres in Wien die Sonderkonferenz der UNIDO zusammen, auf der der Versuch unternommen wurde, die UNIDO zu einer wirksameren Waffe im Kampf um ein rascheres Voranschreiten auf dem Weg der industriellen Entwicklung zu machen. Dieser Versuch kann allerdings nur teilweise als gelungen bezeichnet werden, denn mit Ausnahme einer Empfehlung an den Rat für industrielle Entwicklung, eine ständige Kommission zur periodischen Überprüfung der Ergebnisse der Tätigkeit der Organisation und zur Abgabe von Empfehlungen an das UNIDO-Sekretariat abzugeben, sind alle auf eine strukturelle und organisatorische Reform zielenden Ideen gescheitert.

Aufgabe der heurigen Ratstagung ist es nunmehr, in Erfüllung des Wunsches der UNIDO-Sonderkonferenz und des von der Generalversammlung erteilten Auftrages, die erwähnte ständige Kommission zu errichten; darüber hinaus hat der Rat die Zusammenarbeit mit UNDP, wo sich gewisse Schwierigkeiten ergeben haben, zu verbessern und über die Einberufung der Zweiten Allgemeinen UNIDO-Konferenz für 1974 oder 1975, wohl wieder nach Wien, zu befinden. Neben diesen mehr formellen Traktanden befaßte sich der Rat mit einer materiellen Frage von besonderer Bedeutung, nämlich mit dem Zeitplan des auf dem Gebiet der Industrialisierung der Entwicklungsländer gemachten Fortschritts im Rahmen des weltweiten Entwicklungsplans der Zweiten Entwicklungsdekade.

Über den Ausgang der Diskussionen im Rat und den Inhalt der Beschlüsse, die dieses Gremium fassen wird, läßt der Verlauf der Arbeitsgruppe für Programm und Koordination (eines Unterorgans des Rats) gewisse Schlüsse zu. Diese Arbeitsgruppe unterzog die Tätigkeit der UNIDO 1971 bis 1973 einer Prüfung und diskutierte die damit in Zusammenhang stehenden Fragen allgemeiner und finanzieller Natur. Dabei trat von seiten der Entwicklungsländer die Auffassung zutage, die bereits industrialisierten Staaten ließen den' Willen zur Zusammenarbeit mit Rücksicht auf eine Verwirklichung der Ziele der Zweiten Entwicklungsdekade vermissen, obwohl sich die Mitglieder der Vereinten Nationen auf diese Ziele geeinigt hätten. In diesem Zusammenhang wurden schwere Sorgen wegen der gegenwärtigen finanziellen Krise der UNIDO geäußert, von der auch im Bericht des Sekretariats dieser Organisation offen die Rede war, ohne daß es aber der Arbeitsgruppe gelang, die Kluft zwischen den Wünschen der Entwicklungsländer und den Bedenken der Industriestaaten, die sich in Klagen über Geldverschwendung in Form einer Dokumentensintflut äußerte, zu überbrücken.

Schon bei der allgemeinen Debatte zu Anfang dieser Session sind nun von seiten verschiedener Entwicklungsländer wieder Vorwürfe an die Adresse der Industriestaaten gerichtet worden, sie würden die von der vorjährigen UNIDO-Sonderkonferenz niedergelegten bescheidenen Zielsetzungen auf dem Sektor industrieller Entwicklung sabotieren. Es ist in diesem Zusammenhang zweifellos bedeutsam, daß auch der Heilige Stuhl, der auf der Ratstagung mit zwei Beobachtern vertreten ist, durch seinen ständigen Delegierten bei der UNIDO, Msgr. Oriano Qul-lici, einen Appell an die Versammlung richtete, das Trennende zurückzustellen und in einer vom Geiste der Solidarität getragenen Zusammenarbeit, in deren Dienst sich auch die Kirche stellen wolle, das große gemeinsame Ziel des menschlichen Fortschritts anzustreben, dessen Erreichung nicht bloß wirtschaftliche und soziale Besserstellung für jeden einzelnen, sondern darüber hinaus moralische Gesundung für die Gesellschaft und Friede für die Welt bedeuten könne.

Schließlich durften auch bei dieser internationalen Tagung die zu solchen Anlässen seit vielen Jahren dargebotenen politischen Pflichtübungen nicht fehlen, auf die man selbst dann nicht verzichten zu können glaubt, wenn sie zum Konferenzgegenstand in wenig sachlichem Zusammenhang stehen: immerhin kann man verstehen, wenn der Ostblock die unfreiwillige Absenz der DDR rügte; handelt es sich in diesem Fall doch um einen hochindustrialisierten Staat. Was dagegen der von Kuba strapazierte Vietnamkrieg unmittelbar mit industrieller Entwicklung zu tun hat, bleibt unklar, will man sich nicht auf den Standpunkt zurückziehen, daß bei der heutigen internationalen Interdepen-denz eben alles zusammenhänge. Es darf im übrigen zu den wenigen ermutigenden Aspekten dieser Tagung gerechnet werden, daß der Rat keinen Augenblick länger als nötig bei Politpropaganda dieser Art verweilte, sondern sofort zur Tagesordnung überging.

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