6794219-1971_02_14.jpg
Digital In Arbeit

Kunst und Koketterie

Werbung
Werbung
Werbung

Auch wenn es der sonst einfallslose Klappentext sagt, so steht doch fest: Artmann „ist ein Phänomen, das sich in keiner Gruppierung der Schriftsteller der fünfziger und sechziger Jahre unterbringen läßt”. Und um das zu bestätigen, erscheinen laufend Publikationen, unter anderem diese, die sein Werk, das nicht in Mundart geschrieben ist, auch popularisieren soll. Der Titel selbst weckt ja unzweideutige Assoziationen an die Digest-Literatur. Wer Artmann leidlich kennt, kennt auch die meisten der hier veröffentlichten Texte. Es findet sich allerdings auch einiges bislang Unbekanntes und — sieht man von der Dialektdichtung ab — alles, was Artman auszeichnet. Alle seine Texte durchzieht die für ihn typische Trivialisierung des Poetischen und Poetisierung des Trivialen. Da ist der Kurzroman „Dracula Dracula” (spannender als Bram Stokers Schmöker!) mit einer beinahe blasphemischen Litanei auf den blutsaugenden transsylvanischen Grafen. Und das ist tatsächlich „the best of Artmann”: Die Kontrafaktur vorgegebener Muster und deren sprachspielerische Ausbeutung. Der Unfug wird zum ersten Prinzip, und nur innerhalb dieses Unfugs läßt sich Artmanns Selbststilisierung rechtfertigen. Mit Angaben über die eigene Person ist er wie immer großzügig: H. C. — schon so oft als vieldeutige Initialen gebraucht — ist diesmal im Sinne der Popularisierung „Heintje Celentano”. (Eher Celentano als Heintje, würde ich meinen…) Auch mit Angaben für Rezensenten und Philologen geizt Artmann nicht: Polizeistrafen hätte er ebenso viele erhalten wie Kollegen Literaturpreise, woraus wohl erhellt, daß jene für die Literatur letzten Endes wertvoller sind als diese. Sprachen spricht er 26, darunter dankenswerterweise „Xuatl”. Die Selbstdarstellung geht so weit, daß Artmann meint, sich ironisch „rassistische” Haltungen zusprechen zu dürfen. Auch P. O. Chotjewitz wird zitiert, der Artmann als den „einzigen wesentlichen Dichter” in der deutschen Literatur nach 1945 bezeichnet hat. Und viele andere Angaben gibt es da, die sich ähnlich eindeutig überprüfen lassen. Gewiß, man kann Artmann nicht einordnen — eine Unsinnigkeit, der Literaturhistoriker trotz warnender Bei spiele gerne verfallen. Daß er aber mit Kunst und Koketterie manieri- stischer Haltung zu neuem Ansehen verhilft, kann man schwerlich in Abrede stellen. Daß sein Manierismus eine Maske ist, um heute poetische Inhalte überhaupt sagen zu können, erweist am besten der Kurzessay über Garcia Lorca aus dem Jahre 1953: „Laßt uns, indem wir seiner gedenken, eine Blume auf die Landkarte Spaniens legen.”

Und der so erfolgreiche und populäre Artmann mutet uns an wie ein lustwandelnder Anachronismus, wenn es heißt: „Der vollzogene poetische Akt, in unserer Erinnerung aufgezeichnet, ist einer der wenigen Reichtümer, die wir tatsächlich unentreißbar mit uns tragen können.”

THE BEST OF H. C. ARTMANN. Herausgegeben von Klaus Reichert. Lyrik, Theater, Prosa, Theoretisches. Frankfurt am Main, Suhrkamp 1970 (= Die Bücher der Neunzehn, Band 192). S 105.10, Leinen S 392.—.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung