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Med kana schwoazzn Dintn

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Die Phase des Protokollierens, in der sich die als Wiener Gruppe bekanntgewordene Avantgarde der Nachkriegsjahre befindet, hat nun auch deren schwarzes Schaf, aber populärstes Mitglied, H. C. Artmann, erreicht, dessen lyrisches Werk in einer ersten Übersicht im Suhrkamp-Verlag vorliegt.

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Die Phase des Protokollierens, in der sich die als Wiener Gruppe bekanntgewordene Avantgarde der Nachkriegsjahre befindet, hat nun auch deren schwarzes Schaf, aber populärstes Mitglied, H. C. Artmann, erreicht, dessen lyrisches Werk in einer ersten Übersicht im Suhrkamp-Verlag vorliegt.

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Da Artmann seinen eigenen Erzeugnissen im Gegensatz zu anderen strebsamen Autoren mit unbekümmerter Nonchalance gegenübertritt, gab es auch für den Herausgeber, Gerald Bisinger, manch harte Nuß zu knacken, um nur zu annähernder Vollständigkeit zu gelangen. Der Herausgeber schildert in seinem Nachwort die Schwierigkeiten, die ihm beim Zusammensuchen der überall verstreuten Gedichte Artmanns entgegentraten. Artmann, der sich schon 1958 von der Wiener Gruppe löste, blieb dieser zwar theoretisch verpflichtet, konnte aber seine ureigensten Ideen des Poetischen, die von den konstruktivistischen Tendenzen der Wiener Gruppe nur am Rande berührt wurden, konsequent verwirklichen ... Es ist dies eine Poesie, die auf nichts verzichtet, sie lebt von der Einfachheit eines Kinderreims ebenso wie von der Tiefenpsychologie und den Einflüssen des Surreal-lismus, vom Volkslied und Volksstück ebenso wie von der Wittgen-steinschen Sprachphilosophie. Ja, gerade dies scheint das Phänomenale, daß Artmann gelang, was sonst kaum einem der zeitgenössischen Autoren gelingen wollte, nämlich einen nahezu bruchlosen Übergang von der Vergangenheit zur Gegenwart zu finden.

Artmann ist überdies ein Proteus der Linguistik, er schlüpft geradezu in das Gewand einer Sprache und sei es auch die der Barockzeit, setzt ihre Idiomatik ins Poetische um, spielt wie ein Zauberkünstler mit ihren Möglichkeiten mit einer Virtuosität, die unübertroffen bleibt. Trotz dieser Fähigkeiten zur Verwandlung blieb er im letzten das, was ihn wahrscheinlich populär gemacht hat: ein Dichter, der die poetische Kraft des gesprochenen Wortes versteht. Er entdeckte dabei eine Nuance des Wienerischen, die die Weinhebersche Kahlenberggemütlichkeit und Gugelhupfmentalität, aber auch die gefühlige Vorstadtromantik eines Ferdinand von Saar nicht enthält, er entdeckte den Wiener in seiner lässig bösen Ignoranz, er entdeckte die Blumen des Bösen in den Ottakrin-ger Niederungen, die satter leuchten, als die Tulpen in den Döblinger Gärten

Daß gerade diese Gedichte, die als einzige in österreichischen Verlagen erschienen („Med ana schwoazzn Dintn“ und „Hosn Rosn baa“) nicht in diese Sammlung aufgenommen wurden, mag den Intentionen des Herausgebers entsprechen, ist aber doch im Sinne der Vollständigkeit zu bedauern. Aber vielleicht wollte der Herausgeber eben nur diese Ge-

dichte als gültig anerkennen, die eben „med kana schwoazzn Dintn“ geschrieben sind.

Eine einschneidende Veränderung in der Entwicklung gab es offensichtlich nach dem Loslösen von der Wiener Gruppe nicht. Viel markanter ist der Übergang von der frühen Lyrik, die Artmann als einen Meister der Kurzform zeigt, einer dam japanischen Haiku ähnlichen hauchzarten Poesie, die bereits die dichterische Kraft Artmanns offenbart. Trotzdem ist der Weg, den Artmann ging, folgerichtig. Er gehört zu jenen, die der Reinheit des „Poetischen“ nichts

geopfert haben, dies kann man aus Konrads Bayers Rückschau auf die Tätigkeit der. Wiener Gruppe in den Anfangszeiten, als Verleger selten und Honorare noch seltener waren, entnehmen.

Der Band enthält außer einem Verzeichnis der Titel auch noch ein Verzeichnis der Gedichtanfänge und kann nicht nur den Anhängern HCs, sondern auch allen Liebhabern des lyrischen Gedichtes, das mit Artmann eine großartige Selbstbestätigung erfährt, empfohlen werden.

EIN LILIENWEISSER BRIEF AUS LINCOLN SHIRE. Gedichte aus 21 Jahren von H. C. Artmann, hg. und mit einem Nachwort von Gerald Bisinge r, Suhrkamp-Verlag, 1969. 529 Seiten, DM 28.—.

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