Artmann - © Foto: picturedesk.com / Imagno / Otto Breicha (1969)

Michael Stavarič: „Immer verneige ich mich, Herr Artmann!“

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Der im Dezember 2000 verstorbene Meister der Mundartdichtung inspiriert auch heute noch österreichische Schriftsteller aller Generationen. Zum 100. Geburtstag von H. C. Artmann.

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Der im Dezember 2000 verstorbene Meister der Mundartdichtung inspiriert auch heute noch österreichische Schriftsteller aller Generationen. Zum 100. Geburtstag von H. C. Artmann.

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„nua ka schmoez how e xagt! nua ka schmoez … reis s ausse dei heazz dei bluadex und haus s owe iwa r a bruknglanda! [...] waun s d amoe so weid bist, daun eascht schreib dei gedicht und ned eea!“ Und genau das hab ich getan, Herr Artmann, nur so lassen sich schließlich Gedichte schreiben, man nimmt sein Herz in die Hand, geht seinen Weg, geht Ihren Weg, werter Herr Dichter, und hofft inständig nicht zu verbluten.

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„bin i no in wean, oda scho auf den schwoarzn földarn dea zwischnwölt, üba denen ruswolkn hengan und finstre mehdrescha ire boanen ziagn und dunkle sterch duarch di furchn staksn ...“, das wiederum habe ich mich tatsächlich gefragt, als ich H. C. A. einen ganzen Gedichtband widmete: „in an schwoazzn kittl gwicklt“.

Dichtung als absoluter Wert

H. C. Artmann zählt freilich zu den wenigen Dichtern, die ich ehrfürchtig auf einen Sockel bugsiere, sie dafür bewundere, was sie im Laufe eines Lebens erreicht haben; ja, es erscheint mir in der Tat rätselhaft, wie das alles (als Werk) hatte erschaffen werden können. Es ist der von mir ebenfalls bis aufs Äußerste geschätzte Ernst Jandl, der dafür in einem Beitrag (für Literatur und Kritik, 1977) eine der nachvollziehbarsten Erklärungen zu liefern scheint: „Und vor allem war ein unerschütterliches Vertrauen notwendig, in den Wert der eigenen Arbeit und den Wert der Poesie. Dieses Vertrauen, in Dichtung als einen absoluten Wert und in den Wert des eigenen Bemühens darum, haben nicht wenige, deren Name in der Literatur heute etwas gilt, von H. C. Artmann empfangen, durch das Beispiel seiner Standhaftigkeit und Unbeirrbarkeit, durch das Vorbild seiner Poesie, und nicht zuletzt durch seinen beharrlichen Zuspruch.“

In solchen Sätzen manifestiert sich etwas, das mir für die Literatur von größter Wichtigkeit scheint, wo doch eine jede Schriftsteller*in angeleitet wird, sich in der Welt zu positionieren; denn, was man denkt und sagt und schreibt, ist von Wert. Wir Schriftsteller*innen sind wertvoll, sind wird doch die Bewahrer und Förderer der Sprache. Wir sind es, die sich Gehör verschaffen müssen, um die Poesie zu bewahren, darauf vertrauen schließlich auch jene, die nicht mehr unter uns sind.

Es ist ja längst offenkundig, ich kann nicht über H. C. Artmann schreiben, ohne dabei persönlich zu werden, also wie wäre es damit: Immer, wenn ich an einer Gärtnerei vorbeischlendere, muss ich an H. C. Artmann denken. Immer, wenn ich in einer ungemähten Wiese liege, muss ich an H. C. Artmann denken. Immer, wenn ich auf einem Parkbankerl sitze, muss ich an H. C. Artmann denken (man könnte doch mutmaßen, ich denke auch mal an heiße Küsse oder so). Wenn ich die Bediensteten der Stadt Wien dabei ertappe, wie sie ausschwärmen, um Rasen zu mähen, Bäume zu stutzen, die üblichen Gartenarbeiten zu absolvieren, höre ich den leibhaftigen Artmann in meinem Kopf poltern, das lässt sich gar nicht vermeiden. Es gibt nämlich gute und böse Gärtner, wie ich es gelernt habe, Artmann besang im gleichnamigen Gedicht selbstverständlich einen Bösen. Das Böse ist literarisch betrachtet natürlich ein stetiges Faszinosum, das wird nun niemanden überraschen, doch wäre das eine andere Geschichte.

Artmann ist eine Urgewalt, ein bis aufs Äußerste verdichtetes Schwarzes Loch, das einen magisch anzieht und verschluckt.

Michael Stavarič

„mei gmiad is ma fadistad, waun da mond zuanema duad, i hoed s daun nima r aus, mi glist s fost noch an bluad, do nim e mei giaskaunlkaunl und giass de bluman wia r a reng ... und daun und daun, daun nim e d sichl draun und hau r eana r ollan d kepfaln oo!“ Artmann ist wahrlich eine Urgewalt, ein bis aufs Äußerste verdichtetes Schwarzes Loch, das einen magisch anzieht und verschluckt; das einen inspiriert wie kaum andere Lektüren zuvor. Bei mir war es jedenfalls so. Ich begriff etwa, dass man sich seine Mundart kreativ aneignen kann, und ich begriff vor allem, dass die Artmann’sche Dichtung Dialekte regelrecht befreit, damit diese ihrer emotionalen Bestimmung folgen können: Sprache ist da, um uns zu verzaubern. Und Sprache ist auch äußerst dazu geeignet, uns regelrecht zu verändern. Uns aus unserem Alltag (also Denken) zu reißen, uns alle zu besseren Dichtern (also Menschen) zu machen. „an qadratmeta zeascht und zwaa qadratmetan und an gaunzn gatl, ana glan wisn, ana grossn wisn, und daun an gaunzn födfödföd ...“

Das „föd“, wie oft bin ich im Sommer irgendwo im Weinviertel in einem solchen gelegen, Weizen oder Hafer – und las Bücher, während sich Käfer anschickten, mich wie einen neuen Planeten zu „terraformieren“. Sehr oft hatte ich H. C. Artmanns „med ana schwoazzn dintn“ im Gepäck, aus dem ich eben zitiert hatte, genauer gesagt, aus seinem Poem „es gibt guade und bese geatna: des is es liad fon an besn“. Dem Vorwort dieses Buches lässt sich etwas entnehmen, das auch mir wesentlich scheint: Der Zauber solcher Gedichte entspringt einer intensiven Beziehung zur Jugend und Kindheit.

Brücken in die Vergangenheit

Auch für mich war das noch (am ehesten) eine Zeit, wo ich „gschert gred hob“, mich also eingeschränkt umgangssprachlich ausdrücken durfte: „schiass endli di wuchtl ume, du oasch!“ Ich kehre mit der Hilfe von H. C. A. immer wieder dorthin zurück, seine Dichtung schafft fortwährend Brücken in die Vergangenheit, nicht ohne unablässig die existenziellsten Dinge der Welt zu verhandeln, deren Gültigkeit bekanntlich niemals endet.

„noch ana sindflud san olawäu de fenztabreln fafäud – ka vogl singd mea en de bam und de kefa schwiman en d lokn med n bauch in da hee ...“, du sagst es, H. C. A. Im Dezember 2020 erschien eine fantastische Ausgabe der Literaturzeitschrift SALZ zu Artmann, die ich hiermit auch allen ans Herz legen möchte (auch in Anbetracht profunder Beiträge diverser Kolleginnen und Kollegen wie Daniel Wisser, Jochen Jung, Teresa Präauer, Brita Steinwendtner etc.). Ich selbst nutzte (gemeinsam mit Katharina J. Ferner) die Gelegenheit, um mal wieder zu überprüfen, ob ich nach wie vor restlos in seinen Versarrangements aufzugehen imstande bin, ob also sein Zauber nach wie vor auf mich/ uns wirkt: „owa noch ana sindflud kummt ka briaftroga mea, olawäu denk i ma wenixt a briaftroga hett s deapockn kennan [...], so a junga und des gegntail vun an oamutschkerl, dea si a auf m söafbredl net deppat angstööt hett [...], nua des grauperte wossa glitzart mia entgegn und troagt anstott n vum briaftroaga paketln [...] aus, schwappt des zeig moi vur moi zruck, so wiad ni wos urntlich zuagstööt wean.“

Ja, was soll ich sagen, ein Feuerwerk an Ideen war sofort in unseren Köpfen, und was immer man auch literaturwissenschaftlich anzumerken, auszuführen und zu begründen wüsste, um die Genialität H. C. Artmanns zu veranschaulichen ... ist es nicht Beweis genug, dass sich unablässig Schriftsteller*innen aller Generationen mit ihm auseinandersetzen? Hommagen anfertigen, seinen Büchern huldigen, in seine Gedankenwelten eintauchen, um etwas über sich und ihre Sprache (also die Welt) zu erfahren?

Selbst Artmanns Quellen sind endlich Gegenstand von huldvollen Betrachtungen, wie es Ondřej Cikán gerade mit seinem wunderbaren Buch vorführt, in dem er die „Husaren und andere Seil-Tänzer“ (Ketos Verlag, erscheint demnächst) auferstehen lässt und den Meister selbst als den lieben Hans Carl, churfürstlichen Sylbenstecher, Husar am Münster von Toledo und Herrn der roten Schwäne aus Breitensee tituliert! Was für Vergnüglichkeiten.

Mit Blut besiegelt

H. C. A. beflügelt mehr denn je, ja fordert er nicht auch unverschämt ein, sich Fertigkeiten anzueignen, die sonst vielleicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag in einem geschlummert hätten? In den unauslotbaren Tiefen unserer selbst oder, um Katharina Ferner zu zitieren, „bei de fisch funkets ollewei, bei da nocht san s de mondflankerl de üba d see streichln, sans de onglhokn mit eanam schimmandn mettoi [...] oda de glosstana an denan si hianto oana von de menscha aufschneidt“. Zum Glück haben wir uns alle ganz ordentlich bei H. C. Artmann „geschnitten“, zunächst wohl gar nicht immer alles verstanden, doch war die Bindung zu ihm stets mit Blut besiegelt.

Gestern, heute, morgen, immer werde ich H. C. Artmann lesen, wie auch seine „elegische ode an den kaiser krum“, die da mit den Worten aufwartet: „gestern, heute, morgen, immer. engel sind hauptleute über laub und blüte des oleanderbaumes. sie besteigen ihn mit ihren hölzernen keulen und lauschen dem magnetofon der morgenfrühe.“ Ich werde mir genüsslich auszumalen versuchen, was so alles durch sein Magnetofon zu hören ist, gewiss unzählige Versatzstücke der Artmann’schen Sprache, die die Eigenheit aufweist, dass sie, ungeachtet dessen, woher sie ursprünglich stammt, augenblicklich zu Artmann selbst wird, wenn er sie aufgreift. Oder ich werde mal wieder sein imaginäres Tagebuch „das suchen nach dem gestrigen tag oder schnee auf einem heißen brotwecken“ aus dem Buchfundus ziehen, gewiss sogar, zu dem es schließlich heißt, es sei ein Schlüsselwerk des Dichters, mit dem bekannt gewordenen Selbstporträt als Vorrede, das da lautet: „meine heimat ist österreich, mein vaterland europa, mein wohnort malmö, meine hautfarbe weiß, meine augen blau, mein mut verschieden, meine laune launisch, meine räusche richtig, meine ausdauer stark, meine anliegen sprunghaft, meine sehnsüchte wie die windrose [...]“. Ist damit nicht auch schon alles gesagt? Und müssten wir uns nicht alle eine dicke Scheibe von ihm abschneiden?

Die Poesie ist die Hüterin eines in unseren Herzen lodernden Feuers, das wir unbeirrbar an künftige Generationen weiterreichen wollen.

Diese eine Sache mit der Heimat mag ich vielleicht noch präzisieren, schließlich lädt der Dichter öfter dazu ein, wenn er etwa mit Lars Brandt (im Jahr 2000) über Wien spricht, als dieser danach fragt, warum er denn so vehement seine Wohnung behalte. Artmann antwortet: „Ich muss.[...] Ich hätte sie längst aufgegeben, die Wohnung. Aber ich kann die Bücher nicht aufgeben. Ich wollte ein Waisenhaus, ein Orphaneum für Bücher machen. Damit die Bücher nicht in alle Welt verstreut werden.“

Zu einem Buch soll er übrigens eine äußerst innige Beziehung gepflegt haben – und ich darf mich hier der Erinnerungen des Germanisten Marcel Atze und des Autors Hans Christoph Buch bedienen (zitiert nach Egmont Hesse, dem Herausgeber von „Planet Lyrik“) –, nämlich einem von Kugeln durchbohrten Wörterbuch, das ihm an der Ostfront im Jahre 1941 das Leben gerettet habe. Laut Atze hütete er das Stück wie seinen Augapfel und war dabei sehr wählerisch, wem er den devotionaliengleich behandelten Gegenstand vorführte. Buch erinnert sich, dass der Band nur wenigen Auserwählten gezeigt wurde und es diesen Betrachtern schwergefallen sein müsse, sich der auratischen Wirkung des Buches zu entziehen. Dieses Buch soll auch den Ursprung seiner poetischen Motivation gebildet haben.

Gemeinschaft der Dichtung

Ob es denn nun genau so war, oder nicht ... gibt es eine schönere Wertschätzung und Liebeserklärung an die unzähligen Autor*innen, die Artmann in seiner Bibliothek vereinte? All diese Geschichten, Nachschlagewerke, Inspirationsquellen und Co., die doch beweisen, dass sich wahre Poesie auf alles bezieht, alles miteinander verwebt, abändert, verwandelt, auffrischt, beflügelt und schlussendlich bewahrt? Poesie ist Kontext, sie ist die Hüterin eines in unseren Herzen lodernden Feuers, das wir unbeirrbar an künftige Generationen weiterreichen wollen. Und für das wir selbst bereit sein müssen, als Dichter*innen die allergrößten Opfer zu erbringen.

H. C. Artmann ist mein fleischgewordener Beweis, dass es eine fortwährende Gemeinschaft der Dichtung gibt – und dass sie zu allen Zeiten alle Mühen wert ist. Alles Gute zum Hunderter, mein lieber H. C. A.!

Stavaric - © Foto: picturedesk.com / SZ-Photo / Anna Weise

Michael Stavarič

Der Autor lebt als freier Schriftsteller, Übersetzer und Dozent in Wien. Publikationen zuletzt: „Fremdes Licht“. Roman 2020; „zu brechen bleibt die See“. Gedichte Wien 2021.

Der Autor lebt als freier Schriftsteller, Übersetzer und Dozent in Wien. Publikationen zuletzt: „Fremdes Licht“. Roman 2020; „zu brechen bleibt die See“. Gedichte Wien 2021.

med ana schwoazzn dintn - © Foto: Otto Müller
© Foto: Otto Müller
Literatur

med ana schwoazzn dintn

Gedichte Von H. C. Artmann
Otto Müller 1996 (12. Aufl.)
96 S., geb., € 22,–

Von denen Husaren - © Foto: Ketos Verlag
© Foto: Ketos Verlag
Literatur

Von denen Husaren und anderen Seil-Tänzern

Von H. C. Artmann
Hg. von Ondřej Cikán, Illustr. von Christian Thanhäuser
Ketos 2021
192 S., geb., € 20,-

Um zu tauschen Vers für Kuss - © Foto: Mandelbaum
© Foto: Mandelbaum
Literatur

Um zu tauschen Vers für Kuss

Klangbuch mit CD Von H. C. Artmann
Sprecher: Erwin Steinhauer
Mandelbaum 2021 32 S., geb., € 25,–

In an schwoazzn kittl gwicklt - © Foto: Czernin
© Foto: Czernin
Literatur

in an schwoazzn kittl gwicklt

Gedichte
Von Michael Stavarič
Czernin 2017 112 S.,
geb., € 17,–

Ausstellung

Recht herzliche Grüße vom Ende der Welt!“

Ausstellung in der Wienbibliothek im Rathaus,
bis 10. Dez. 2021

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