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„In Österreich wird man zu versponnen“

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H. C. Artmann, Poet und Reisender, Verwandlungskünstler und literarisches Chamäleon, ist auf dem besten Weg, bereits zu Lebzeiten zu einem Mythos zu werden. Nachdem er Wien und den Wienern grollend den Rücken kehrte, hat er sich Europa zur Heimat gemacht. Als „letzter fahrender Sänger“ gefeiert, durchzieht er unruhvoll die Länder und Städte des Alten Kontinents, bedeutsam umweht vom Hauch der Ferne, des Abenteuers und einem leisen Höllengelächter, in welchem die polyphone Artmannsche Welt mitklingt: spöttische Lügenmärchen, in denen Wehmut und Romantik durch Ironie, Witz und einen schwarzen Humor überspielt, wenn auch nicht überdeckt erscheinen. — Die Mitarbeiterin der „Furche“ sprach mit H. C. Artmann auf der Durchreise in München.

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H. C. Artmann, Poet und Reisender, Verwandlungskünstler und literarisches Chamäleon, ist auf dem besten Weg, bereits zu Lebzeiten zu einem Mythos zu werden. Nachdem er Wien und den Wienern grollend den Rücken kehrte, hat er sich Europa zur Heimat gemacht. Als „letzter fahrender Sänger“ gefeiert, durchzieht er unruhvoll die Länder und Städte des Alten Kontinents, bedeutsam umweht vom Hauch der Ferne, des Abenteuers und einem leisen Höllengelächter, in welchem die polyphone Artmannsche Welt mitklingt: spöttische Lügenmärchen, in denen Wehmut und Romantik durch Ironie, Witz und einen schwarzen Humor überspielt, wenn auch nicht überdeckt erscheinen. — Die Mitarbeiterin der „Furche“ sprach mit H. C. Artmann auf der Durchreise in München.

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FURCHE: Sie waren der Erste, der mit dieser Dialektdichtung angefangen hat, die jetzt so populär geworden ist?

ARTMANN: Ja, leider Gottes. In Wien bin ich närrtlich bis heute in erster Linie ein Dialektdichter geblieben. Dort liest man einfach nichts anderes. Dabei habe ich schon zwölf Jahre geschrieben, bevor die „schwoazze dintn“ erschienen ist. Da war ich schon bei der abstrakten Dichtung, und nur um das zu überspielen, habe ich dann Dialekt geschrieben.

FURCHE: Schreiben Sie jetzt noch im Dialekt?

ARTMANN: Ein Stück würde ich schreiben, ohne Weiteres. Ich halte vom Dialektstück sehr viel. Aber kein Gedicht — lächerlich! Ich muß immer was anderes schreiben, immer was Neues schreiben. Und ich glaube, ich habe mich noch nie wiederholt. Das Schlimmste, was man einem Dichter sagen kann, ist, daß er seinen Stil gefunden hat. Ich wollte damals nur beweisen, daß eine ungeschriebene Sprache literaturfähig gemacht werden kann. Und das ist mir gelungen.

FRAGE: Sie haben auch Theaterstücke geschrieben. Es gab darüber etliche Kritiken, die Sie wohl als Poet und Dichter gelten ließen, aber nicht als Dramatiker. Finden Sie das gerechtfertigt?

ARTMANN: Ja, ich weiß nicht, was die Leute unter Dramatik verstehen. Die Wiener sind eben noch zu sehr vom Burgtheater beeinflußt. Meine Stücke wurden falsch verstanden. Sicher gehören sie nicht ?3i den herkömmlichen Theaterstücken. Aber es gibt ja auch noch andere Spielarten des Theaters.

FURCHE: Schreiben Sie langsam oder schnell?

ANTWORT: Das geht sehr schnell — ein Buch in ein paar Tagen. Und dann mache ich monatelang nichts. „Schnee auf einem heißen Brotwecken“ habe ich, glaube ich, in zwei oder drei Wochen geschrieben.

FURCHE: Warum ist die „Wiener Gruppe“ eigentlich damals auseinandergegangen?

ARTMANN: Es hat nie eine „Wiener Gruppe“ gegeben. Das ist eine journalistische Erfindung. Wir haben uns nie als Gruppe gefühlt. Ich glaube ja, daß die Gruppe, die sich 1949, 1950 um die „Neuen Wege“ gebildet hat, für die österreichische Nachkriegsliteratur viel wichtiger gewesen ist.

FURCHE: Würden Sie Ihre frühe Zeit in Wien als Ihre wichtigste Zeit bezeichnen?

ARTMANN: Meine wichtigste Zeit ist jeder Tag. Man hat uns damals nicht gedruckt. Es ist nämlich nicht wahr, daß ich laufend produziere und produziere, wie immer angenommen wird. Das ist bloß die Sumnie von 25 Jahren, die jetzt schlagartig erscheint. Ich bin augenblicklich gerade en vogue. Ich bin Mode. Das ist sehr gefährlich!

FURCHE: Wie fühlt man sich dabei?

ARTMANN: Es ist ein Seil tanzen! FURCHE: Ist das nicht aufregend? ARTMANN: Man gewöhnt sich daran.

FURCHE: Was muß man gegen diese Gewöhnung tun — stürzen?

ARTMANN: Abhaun! Immer wieder weggehen! Sonst ist man tot! Ich lasse mich nicht in dieses Establishe-ment einbaun. Es geht mir fürchterlich auf die Nerven. Das können sie mit jedem machen, aber nicht mit mir.

FURCHE: Fühlen Sie sich von Reisen besonders inspiriert?

ARTMANN: Hinterher. Während ich reise, schreibe ich überhaupt nichts. Da nehme ich nur auf wie ein ausgetrockneter Schwamm.

FURCHE: Wieviele Sprachen sprechen Sie?

ARTMANN: Das klingt jetzt sehr nach Protzen: skandinavische Sprachen, Holländisch, Englisch, die romanischen Sprachen, dann Irisch, Wallisisch. Als Literat ist es ja wichtig, daß man die Werke im Original lesen kann, damit man nicht auf Übersetzungen angewiesen ist.

FURCHE: Wovon haben Sie gelebt, bevor Sie gedruckt wurden?

ARTMANN: Ich habe statiert — beim Theater und beim Film. Ich war sogar einmal Komparseriechef bei der „Scala“. Jetzt lebe ich nur von meinen Gedichten. Und daß ich damit soviel verdiene, daß ich unabhängig leben kann — wenn auch nicht luxuriös —, das macht mir mehr Spaß, als nebenbei irgendeinen bürgerlichen Beruf auszuüben.

FURCHE: Wer, glauben Sie, gehört zu Ihren Lesern?

ARTMANN: Die jungen Studierenden! Die Romantiker! Oder es sind Leute aus meiner Generation, die mich schon vorher gekannt haben.

FURCHE: Was machen Sie sonst noch gerne — außer schreiben und reisen?

ARTMANN: Ich sammle Folklore-Schallplatten. Und schau mir Stummfilme an. Dann lese ich: über alte Philosophien, Druidentum, Zauberei, Mythologien, prähistorische Texte, mittelhochdeutsche Lyrik, Ritterromane und nochmals Ritterromane. Ich habe eine Riesensammlung von Comics. Echte, alte. Die beste Literatur ist ja Donald Duck. Mickey Mouse mag ich nicht, dafür Asterix. Und Comics aus den zwanziger Jahren, die sind sehr schön. Aber die Horror-Comics und diese Sex-Comics, die sind alle blöd. Ich fliege auch gerne mit Propellermaschinen. Das sind Maschinen, bei denen man noch notlanden kann. Und dann möchte ich einen Kutter haben, mit alten Karbidlampen drinnen, die so schaukeln. Damit möchte ich Inseln bereisen im Indischen und Atlantischen Ozean. Überall anlegen, ein Bier trinken oder einen Schnaps und wieder weiterfahren.

FURCHE: Fühlen Sie sich der österreichischen Kulturtradition verpflichtet?

ARTMANN: Nein, der europäischen. Meine Anfänge kommen aus dem deutschen Expressionismus, von den Franzosen des 19. Jahrhunderts, und von der mittelalterlichen Dichtung. Natürlich bin ich dem österreichischen Barock verpflichtet. Aber ich versuche das jetzt abzu-baun. Weil es zu stark wuchert. Seit ich aus Österreich weg bin, habe ich ganz klare Sachen geschrieben. In Österreich wird man zu verwuchert, zu versponnen. Das ist natürlich schön, aber man kommt dann nicht mehr heraus.

FURCHE: Haben Sie „How much, Schatzi“ in Österreich geschrieben?

ARTMANN: In Frankreich. Ich nehme bei diesem Buch den ganzen Steinbruch von Worten und Ausdrücken, die ich bis jetzt noch nicht verwendet habe. Alles was gut, böse, obszön, vulgär und schnoddrig ist, kommt da hinein. Es ist eine Ad-absurdum-Führung dieser ganzen Sex-Masche.

FURCHE: Ihre Geschichten wirken oft so, als würde aus diesem geballten Konglomerat von Ausdrücken eine neue Sprache entstehen.

ARTMANN: Ja, das versuche ich. Und dann möchte ich abgebrauchte Ausdrücke wieder auffrischen. Kitsch bringe ich rein, reinen Trivialkitsch. Das wird dann wieder Alchemie. Um das geht es mir. Nicht um den Inhalt, der Sinngehalt entsteht von selbst. Aber um dieses syntaktische Erlebnis, das philologische Abenteuer. Literarischer Sadismus ist das. Ich schände auf das Ordinärste. Und dann putze ich wieder auf das Herrlichste auf. Aber das versteht der Durchschnittsleser nicht. Der liest und ... a ha, a lustige G'schicht! Ich versuche mich jetzt in

Gehässigkeiten. „How much, Schatzi“ ist ein gehässiges Buch.

FURCHE: Aber Sie haben doch auch schon früher oft sehr böse geschrieben, in den Dialektgedichten zum Beispiel.

ARTMANN: Das geht gegen Wien. Aber das Schlimme ist, daß der Wiener das noch „lieb“ findet.

FURCHE: Sie sind kaum noch in Wien. Warum?

ARTMANN: Ich kann nicht in Wien leben, weil ich krank werde. Ab St. Pölten kriege ich einen Juckreiz — gastritisch. Der Wiener Kulturbetrieb ist ja so grauenhaft. Und die Wiener, die sind so offensichtlich lieb und falsch und grauslich. Die Sprache ist ja so ordinär, so bösartig und gemein. Ja schön, als Theaterstück, phantastisch, als Hörvath! Aber dort leben? Möchten Sie in einem Hörvath leben? Ich habe in Wien bis zu meinem 30. Geburtstag keinen richtigen Freund gehabt. Allerdings — wenn ein Wiener in Ordnung ist, dann übertrifft er alle. Aber die übrigen 99 Prozent sind grauenhaft.

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