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Weshalb sollte dir nicht traumen

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GRUNVERSCHLOSSENE BOTSCHAFT, 0 TRÄUME. Von H. C. Artmann Gezeichnet von Ernst Fuchs. Residenz-Verlag, Salzburg 1967. 116 Seiten, S 148.—. VERBARIUM. Gedichte von H. C. Artmann. Walter-Verlag. Ölten 1966. 92 Selten, sFr. 10.50. - DER LANDGRAF ZU CAMFRODON (für H. C. Artmann). Herausgegeben von Gerald Bisinger und Peter O. Chotjewitz. Verlag Ulrich Ramseger, Wangen 1966. 110 Seiten, DM 32.— (700 numerierte Exemplare)

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GRUNVERSCHLOSSENE BOTSCHAFT, 0 TRÄUME. Von H. C. Artmann Gezeichnet von Ernst Fuchs. Residenz-Verlag, Salzburg 1967. 116 Seiten, S 148.—. VERBARIUM. Gedichte von H. C. Artmann. Walter-Verlag. Ölten 1966. 92 Selten, sFr. 10.50. - DER LANDGRAF ZU CAMFRODON (für H. C. Artmann). Herausgegeben von Gerald Bisinger und Peter O. Chotjewitz. Verlag Ulrich Ramseger, Wangen 1966. 110 Seiten, DM 32.— (700 numerierte Exemplare)

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„Weshalb sollte dir nicht träumen, du schriebest ein werk mit dem titel: Olef du songe oder Assyrisch-babylonisches Traumbuch, auch schuster-bubentraumbuch genannt, sonderlich für solche geeignet, die im kleinen lotto das große glück aus Fortunens trefflichem füllhorn greifen wollen... (27. Traum).“

Warum sollte es Artmann — oder wie er hier heißt: Hans Carl Zwonimir Artmann, Edler von Traumpichl — nicht träumen? Überhaupt dann, wenn er in Ernst Fuchs einen so idealen zeichnerischen Interpreten gefunden hat, einen assyrischbabylonischen Traumdeuter, der sich gleich Zwonimir in die „phantastisch-realistischen“ Gefilde Wiens verirrte. — Als Resultat dieser Betätigung überreicht Artmann nun eine „grünverschlossene bot-schaft“ in „90 träumen“. Eine Botschaft, deren Code sich aus surrealen, barocken, naiv-volkstümlichen und hintergründig-visionären Elementen zusammensetzt. Er staffiert seine Traumwelt mit allem aus, was gerade auch unsere weniger traumhafte zu bieten hat: da ist Hitler neben Dracula und der BB in bester Gesellschaft, der fesche Stalin neben Jack the Ripper, Ulbricht neben dem älteren Plinius und einem SuperGirl aus Graz, da sitzt ein Puma im Traumbaum, und Hermes, „der gott der diebe und kinoagioteure“, schwebt über einem Dachfirst im Norden Englands. Sie alle sind aus Geschichts- und Märchenbüchern erstanden, aus Schundromanen und Comic-Strips. Sie haben schon zu Zeiten der Commedia dell'arte und der alten Husaren ein seltsames Leben geführt, das sie ihr Herr und Meister nun für 90 traumtoeladene Nächte wiederholen läßt.

Artmanns bilderreiche, durch neue Wendungen immer wieder überraschende Sprache erweist sich gerade für ein „Traumbuch“ als außerordentlich geeignet. Das surreale Register wurde selten so einleuchtend und selbstverständlich gezogen; es schien für dieses Buch bestimmt zu sein. Ebenso wie das Schnippchen, das H. C. seinen traumdeutenden Lesern und ihrem oft problematischen Nacherleben schlägt Der 90. Traum warnt ironisch: „O ihr träumer von träumen, ihr träumet nie, was ich träumte, und ich träume nie, was ihr träumt, und ihr werdet nie träumen, was ich träumen werde, denn ich träume meine träume und ihr träumt die euren.“ Der Traum allerdings, daß ein österreichischer Verlag (endlich wieder einmal) dieses in vieler Hinsicht bemerkenswerte Buch herausgebracht hat, erweist sich wenigstens als ein gemeinsamer...

Artmanns „verbarium“ vereinigt Gedichte aus einem Zeitraum von fast zehn Jahren: epitafe (1953); sieben lyrische verbarien; treuherzige kirchhoflieder (beide 1954); auf meine klinge geschrieben (1960) und berliner gedichte (1962).

Man möchte daher glauben, daß ein solcher Überblick auch gleichzeitig einen über den Stil erlauben würde, eine „vorläufig abschließende Charakteristik“ — und täuscht sich mit dieser Annahme sehr. Denn wenn etwas für Artmann charakteristisch ist, dann noch am ehesten, daß er sich nicht einteilen, in kein Prokrustesbett der Stile zwängen läßt Er ist unwahrscheinlich vielseitig und wendig, ein fulminanter Könner dabei auf nahezu jedem Gebiet, in dem er sich versucht. Zwischen dem ersten Buch, „med ana schwoazzn dintn“, und dem vorläufig letzten, „grünverschlossene botschaft“, liegen Persische Quadrinen, Übersetzungen (darunter die von Villon ins Wienerische), Kurzdramen, Lautge-dichte und Experimentelles eng nebeneinander. — Auch bei den hier vereinigten Gedichten entstanden die „lyrischen verbarien“ und die „treuherzigen kirchhoflieder“ im selben Jahr: Wortreihungen, Versuche mit Neubildungen, die sich possierlich im „verbarium“ tummeln, poetisches Neuland abzustecken (ungummi / schneebitter / Sanssouci / gekäfigte note / abdusche...). Anderseits Gedichte im Stil des Barock, mit unglaublicher Einfühlung und technischer Meisterschaft: „o tod du tröstlich / umgestürzte fackel tod / du grünes Stundenglas ...“ oder „all lust ist mir verstorben / saturnius mit seiner Sensen gar...“. Am Anfang die „epitafe“, in denen wieder mehr die surrealen Bilder vorherrschen, und die „berliner gedichte“ mit ihren zitathaften, montageartigen Elementen. *

Wie weit Artmanns Möglichkeiten reichen und was er für die deutschsprachige und speziell natürlich für die österreichische Literatur bedeutet, versucht ein auch optisch hervorragend gestalteter Band zu seinem 45. Geburtstag zu zeigen: „Der Landgraf zu Camprodon — Festschrift für den Husar am Münster Hieronymus Caspar Laertes Artmann.“ Herausgegeben von seinen Freunden Gerald Bisinger und Peter O. Chotjewitz. — Diese Festschrift ist eine Besonderheit. Erstens durch die bereits erwähnte ausgezeichnete Gestaltung, zweitens durch die „Huldigungen“ seiner vielen Freunde, drittens durch die Auswahl der an den Schluß gestellten Gedichte Artmanns und viertens durch das selten intelligente Nachwort von Chotjewitz. Mehr kann man nicht verlangen. Nicht einmal bei einem Buch für Artmann ...

Ad 1: hier hat man es sich — und den Lesern — erspart, Gemeinplätze und mehr oder weniger primitive Hymnen jener Leute zu bringen, die meinen, über das Objekt etwas verbreiten zu müssen, sondern hat zum Teil ausgezeichnete Widmungsgedichte von Hieronymus Caspar Laertes' Freunden aneinandergereiht; u. a. Gerhard Rühm, Andreas Okopenko, Friederike Mayrök-ker, Ernst Kein, Ernst Jandl, Helmut Heißenbüttel, Gerhard Fritsch, Hubert Fichte, Horst Bingel, Rene Altmann und Günter Bruno Fuchs. Namen jedenfalls, die einen der Sorge — falls man sie hat — entheben, Artmann könnte in schlechte Gesellschaft geraten.

Ad 2: hier wurde dankenswerter Weise versucht, einen Querschnitt durch Artmanns bisheriges Werk zu bieten. Es wurde mehr als das, obwohl quantitativ natürlich nicht viel untergebracht werden konnte. Man könnte es eine Entwicklung nennen, ein Aufzeigen der wichtigsten Stationen seiner Poesie. Angefangen von den ersten Veröffentlichungen in den „Neuen Wegen“, über Okopen-kos „Publikationen“, die Artmann später selbst einige Nummern lang machte, bis zu „Wort in der Zeit“ und dem Band „verbarium“. Einige Erstveröffentlichungen runden das Bild ab. Und den Beweis, daß H. C. Artmann, beziehungsweise Zwonimir, Edler von Traumpichl, beziehungsweise Hieronymus Caspar Laertes, beziehungsweise Richard coer de lion Plantagnet — oder als was immer er sich verkleiden mag — zweifellos der bedeutendste avantgardistische Dichter Österreichs ist. Ob man es nun zur Kenntnis nimmt oder nicht.

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