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Wienerisch — schwarz geschrieben

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Als Weinheber 193 5 seinen Gedichtband „Wien wörtlich” veröffentlichte, war er ein im gesamten deutschen Sprachraum bereits bekannter und geschätzter Lyriker, dem nach langen Jahren unver- _ standener und unbedankter Arbeit mit „Adel und Untergang” (1934) der Durchbruch durch die Mauer des Schweigens gelungen war. Als H. C. Artmanns Gedichtband „med ana schwoazzn dintn” im vergangenen Jahr beim Verlag Otto tyüller in Salzburg erschien, war der Name des Verfassers nur seinen Freunden bekannt und seine Gedichte nur von. gelegentlichen Vorlesungen und Rundfunksendungen. Heute hat das Buch seine 3. Auflage erlebt, es rangierte zu Weihnachten ganz oben in der Bestsellerliste und steht nach wie vor mit an der Spitze der meistgefragten und meistgekauften Bücher in Wien. Daß ein Gedichtband zu- einem Verkaufsschlager wird, kommt an und für sich selten vor. Dialektlyrik hat seit Weinheber in unserem Raum kaum Beachtung gefunden. Und nun begeistert ein schmaler Band Gedichte in wienerischer Mundart, und was für einer Mundart, nicht nur die Wiener und Oesterreicher, sondern darüber hinaus auch Menschen aus anderen Landschaften der deutschen Sprache, denen zumindest das Druckbild, wie die Wiener meinen, vollkommen unverständlich und eher an Sanskrit als an Deutsch gemahnend erscheinen muß.

Wie ist der Erfolg des Lyrikers Artmann und seiner „gedichtar aus bradnsee” zu erklären? Was liegt in ihnen, was macht ihren Reiz aus? Gewiß, um zuerst im rein äußerlichen zu bleiben, etwas Frappierendes, Schockierendes. Da ist der Umschlag mit den makabren Bildern von einem Vorstadtringelspiel und da ist vor allem die Schrift. Artmann 1st darin radikal-konservativ. Nicht nur, was die durchgehende Kleinschreibung betrifft, sondern vor allem darin, daß er ohne Hilfsmittel einer phonetischen Schreibung mit den Buchstaben des normalen Alphabets wirklich so zu schreiben versucht, wie man spricht. Das schockiert auch den Wiener, der seine Sprache zu kennen glaubt, und erzeugt eine Art kriminalistische Lust, aus dem für den ersten Anblick krausen Schriftbild den Sinn herauszuholen. Aber das mag man zunächst als einen Kunstgriff bezeichnen, als einen bewußt schockierenden Reiz. Was macht also das Wesen dieser wienerischen Gedichte Artmanns aus? Bevor wir versuchen können zu erklären, was sie sind, wollen wir zuerst einmal feststellen, was sie nicht sind. Artmanns Wiener Gedichte sind nicht das, was man landläufig unter Dialektgedichten verstand und versteht, keine Folk-’ lore, keine gemütvolle, liebe und liebliche, oft an den Kitsch streifende Idyllik. keine Schnadahüpfeln, kein lustiger Gspaß, aber auch keine rührende Sentimentalität. Auch das Beste, was in Oesterreich im Dialekt geschrieben wurde, von Stelzhamer bis Weinheber, läßt sich mit der Lyrik Artmanns nicht vergleichen. Sie ist auch nicht in dem Maß volksverbunden, daß sie beabsichtigt, Volk und Landschaft, Volkstypen oder Volksbräuche zu schildern. Sind die Gedichte Artmanns — und diese Frage wurde oft gestellt —, wenn sie all das nicht sind, wirklich wienerische Gedichte? Diese Frage wurde oft verneint. Diese Gedichte wären, so sagte man, moderne, harte, düstere, ja schwarze, oft surrealistische Lyrik, die sich vielleicht aus einer Laune des Dichters heraus, des Mediums der Wiener Sprache bediene. Gewiß, in Artmanns Gedichten wird man keine Heurigenlyrik finden, keine Grinzinger Idylle, auch nicht den Wurstelprater, keine Wiener Typen, die schon im Aeußeren als Wiener geprägt erscheinen, wohl aber sehr düstere makabre Strophen, die dem Bösen nachspüren, über die der Schatten existenzialistischer Sinnlosigkeit liegt. Der Tod kehrt immer wieddr, das Sterben und die Verlassenheit. Sind sie also keine wienerischen Gedichte? Gewiß nicht, wenn man das Wienerische bloß im Dunstkreis des Heurigen,’ im Dämmerschein des Windlichtes, im „patzweichen Gmüt” sehen will. Aber der Erfolg der Gedichte Artmanns gerade in Wien wäre doch nicht in diesem Ausmaß möglich gewesen, wenn die Thematik der Gedichte dem Wiener gar so fremd wäre, wie manche glauben. Daß unter der Oberfläche wienerischer Leichtlebigkeit unter einer oft sehr dünnen Haut wienerischer Feschheit und Lustigkeit ein Abgrund düsterster Melancholie klafft, das hat uns die Wiener Musik schon bewiesen.

Daß hinter dem goldenen Wiener Herzen und dem weichen Gemüt des Wieners oft auch das Dämonische stecken kann, das hat uns, oft zu unserem Schrecken, Oedön von Horvath gezeigt. So ist auch das Dämonische, Makabre, Nachtseitige der Art- mannschen Gedichte, das Böse etwas, das zum unergründlichen Wesen dieser Stadt mitgehört. Auch der Tod hat in der österreichischen Dichtung immer seinen Platz gehabt. Der Umgang mit dem Tod, ein unsentimentaler Umgang, gehört zum österreichischen Wesen. Neben der Kunst des Lebens steht immer auch die Kunst des Sterbens. Und so sind Artmanns Todesgedichte, die Fahrt zum Krematorium, zum eigenen Begräbnis, der Tod, der als Herr mit einem Büschel Himmelschlüssel geschildert wird, wohl im Ausdruck unserer Zeit gesehen und erdacht, aber nicht etwast was dem Wienerischen fremd wäre. Und auch das Räsonierende, das „Gfrett ohne Grund”, wie es Weinheber genannt hat, das finden wir in Artmanns Gedichten immer wieder. Von der Klage um die verlorene Geliebte, „a xuiiz lamen- tawö” nennt es der Dichter, bis zur „schwoazzen lufft fola fegl”, die der Treulosen den Abschiedsbrief bringt. All dies ist gewiß moderne, sachliche Lyrik,

aber doch auch aus dem Gefühl des Wieners heraus geschrieben. Und auch das Wienerische im engeren Sinne fehlt in Artmanns Gedichten nicht. Der Hilferuf an den heiligen Lorenz, der das alte Breitensee vor der Zerstörung retten soll, der Kalvarienberg, der Steinhof, der Zentralfriedhof, der Gang von Breitensee nach Ottakring, die ganze Wiener Vorstadt rund um die Schmelz, all das ist in Artmanns Gedichten enthalten. Es ist nicht der anonyme Mensch einer anonymen Großstadt, der aus diesen Gedichten spricht, sondern das Volk der Wiener \pr- städte, denen freilich heute wenig der Sinn nach Wein und Gesang stehen, sondern deren Sehnsuchtsträume von einer Gemeindewohnung beherrscht werden.

Unwillkürlich drängt sich jedem der Vergleich zwischen Artmann und Weinheber auf, ein Vergleich allerdings, der keinerlei Wertung in sich schließen darf, da beide in vollkommen anderen Sphären beheimatet sind. . Und doch haben sie nicht nur im engsten Raum, freilich durch eine Generation getrennt, gelebt, vom Breitensee Artmanns zum Ottakring Weinhebers ist wirklich nur ein kurzer Gang über die Schmelz. Daß der gleiche Raum, die gleiche wienerische Heimat sie beide zu ähnlichen Impressionen bewegten, beweist ein Vergleich zweier Gedichte Weinhebers und Artmanns, die beide das Liebhartstal zum Gegenstand haben. Bei Weinheber heißt es:

…Im Herbst jedoch, an einem Wochentag, ist alles hier wie einst: Kastanien liegen vom Baum geplatzt am Weg; der Amselschlag müht sich umsonst, die Stille zu besiegen. Melancholie streicht sanft durch die Alleen, liegt als Musik auf den gelösten Lehnen . ..

Und bei Artmannwos wüü den ana scho redn wann a no nii dräust woa anu au ogtowadog en libhazzdoe draustu aun an blaun ogtowadog .. . unta da wochn faschdesd!

waun am kaa mendsch schdead…

und waun de gloare luft se wia r a süwana fodn aus n winawoed owaziagt und am ole damlaung a reife kastanien diaregt fua d fiass fliagt…

Aber noch eines, glauben wir, kann man aus dem Erfolg der Gedichte Artmanns erkennen: die tiefe, innere Verbindung des Wieners mit seiner Sprache. Die sozialen und technischen Bedingungen der Gegenwart, zum Teil aber auch die sozialen, schleifen die Spracheigentümlichkeiten der einzelnen Landschaften rasch ab. Hier aber in Wien als der vielleicht einzigen Großstadt im deutschen Raum, wenn man vom alemannischen Sprachgebiet absieht, hat die Sprache des Volkes noch nichts von seiner urtümlichen Kraft verloren. Das ist ja mit einer der Reize, die Wien immer wieder auf den Ausländer, vor allem auf den Deutschen ausübt, daß hier durch alle sozialen Schichtungen hindurch, gewiß mit Nuancierungen, die eine gemeinsame Sprache gesprochen wird. Artmann hat uns gezeigt, daß diese Wiener Sprache gerade in ihrer periphersten und vorstädtischen Form ein wunderbar prägsames Medium ist, um Tatbestände und Gefühle auszudrücken, für die die Schriftsprache nur Worte umständlicher Umschreibung hat. So sind gewiß Artmanns Gedichte keine wienerischen Gedichte in herkömmlicher Form, sie sind gewiß „med ana schwoazzn dintn” geschrieben und nach dem Motto des Dichters: „nua ka schmoez how e xogt”. Es sind moderne und modernste Gedichte, die weit über die Lokalimpressionen hinausragen. Aber doch und im letzten sind sie wienerische Gedichte, wenn auch in einem neuen und in einem anderen Sinne.

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