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Neues von H. C Artmann

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VON DENEN HUSAREN UND ANDEREN SEIL TANZERN. 26 Historien von H. C. Ar t m a n n. 132 Seiten. Verlag R. Piper & Co., München Preis 13.80 DM.

H. C. Artmann ist ein Dichter der hundert Masken. Er liebt es, in vielfachen Verkleidungen vor sein Publikum zu treten. Aber er geht in keiner ganz auf. Wir lernten ihn zuerst kennen als den Blaubart aus Breitensee, der „med ana schwoazzn dintn“ schreibt. Nun steht er als ein Mann, vor uns, der das Deutsch des Barock, das Deutsch, das Grimmelshausen und Johann Beer schrieben, ebenso meisterlich beherrscht wie den Dialekt der Wiener Vorstadt; und wir beginnen zu zweifeln, wo Artmann mehr zu Hause ist, in Breitensee oder im Reich des sagenhaften Fürsten Achatz Casimir, Erbprintzen der Chur . ..

„Einen Jux will er sich machen“, heißt es auf dem Umschlag des Buches; wir glauben, daß H. C. Artmann weit mehr wollte mit seinen Husarengeschichten, und vor allem: daß er weit mehr erreicht hat. Seine Geschichten sind nicht bloß Jux oder Hetz — sie enthalten die ganze Weltanschauung der Dichter, Sänger, Vaganten und Husaren, die er allesamt als Seiltänzer und Schnapphähne begreift. Husarische Schläue und Einfälle werden ebenso gefeiert wie männliche Haltung; Mut und List haben ihren Platz In dem alten Weltreich der Husaren, das eigentlich das unvergängliche Reich der Poesie ist. So erschöpfen sich die Geschichten keineswegs in der Erzählung unglaublicher und verblüffender Begebenheiten — der Hauptspaß, den H. C. Artmann und mit ihm der nuancierten Freuden aufgeschlossene Leser hat, ist sprachlicher Natur. Das beginnt mit alten Sprichwörtern, wie „Unrecht gut gedeihet auch im verborgenen!“ und „Wer den honig nicht ehrt, ist die biene nicht wert“ bis hin zur Aufzählung seltsamer Wurstsorten: „ein wohlgesölchet Zungen-worst, mehre stänglein krackauer worst, detto von derer beskidisch daur-worst, so auss dem ungrischen stammet, zween kräntz gmeine rauch-würsten ... ein speckicht znaymer worst, ein raaber worst nach jüden-art, wird auss gens-fleisch emacht, ein wälsch morter-teller, schmäckt gutt...“ Die Liste setzt sich noch lange fort.

Im Anhang zu den Geschichten finden sich die „Sinnreichen Poesien des Husaren am Münster zu Toledo“, 25 Epigramme des Hieronymus Caspar Laertes Artmann, „durch Zwischenkunft ohngünstiger Gestirn anhero noch nicht publiciret“, nun aber von Hans Carl Artmann, dem Nachfahren, an den Tag gebracht. Schade, daß das köstliche Nachwort des

Herausgebers F. Polakovics fehlt;

. DER SCHLÜSSEL DES HEILIGEN PATRICK. Religiöse Dichtungen der Kelten, übertragen von H. C. A r t m a n n. Mit einem Nachwort von Paul Wilhelm W e n g e r. 76 Seiten. Otto-Müller-Verlag, Salzburg. Preis 45 S.

Ein ernsterer Artmann tritt uns hier entgegen — der seine sprachliche Meisterschaft in den Dienst alter, bei uns ganz unbekannter Dichtungen stellt. Artmann war mehrmals in Irland und hat schon vorher Gedichte aus den keltischen Idiomen übertragen. Seine Erscheinung läßt sich überhaupt nur begreifen, wenn man weiß, daß er von frühen Jahren an vergleichende Sprachstudien betrieben hat, um, in vielen Sprachen in gleicher Weise zu Hause, das eigene Leben zu vervielfältigen. Eine der schönsten Früchte dieser Tätigkeit sind nun die Übertragungen keltischer Gedichte, die zugleich die erste hochdeutsche Publikation Artmanns darstellen. (Wann werden wir seine eigenen Gedichte, die er hochdeutsch geschrieben hat, zu sehen bekommen?) In diesen Gebeten, dem „Gebet zum Schutz der Seele“ und dem „Gebet vor dem Tabakrauchen“, in den Anrufungen und Reisesegen mischen sich altheidnische und christliche Religiosität aufs natürlichste, und ebenso natürlich vereinigen sich die Naivität der Gesinnung mit der Raffinesse des dichterischen Ausdrucks.

HOSN, ROSN, BAA. Dialektgedichte von Friedrich Achleitner, H. C. Artmann, Gerhard Rühm. Mit einem Vorwort von Heimito von

-Doderer. 160 Seiten. Wilhelm-Frick-Verlag, Wien. Preis 68 S.

Dies ist wieder der Artmann „med ana schwoazzn dintn“; diese Anthologie zu dritt enthält nun diejenigen 6einer Mundartgedichte, die der bei Otto Müller erschienene Band nicht mehr aufnehmen konnte; manche wirken freier, frecher als die dort erschienenen, und es sind wieder so herrliche Kabinettstückeln darunter wie die „ballade fon da zua-gschbeadn gredenz“ und die Moritat „a keneg fon egibtn“. Besonders köstlich sind die „weanabemesche 6chusdadanz med ana r iwasezzung das man was wos s auf deidsch hast“. Im Lebenslauf Artmanns, der am Schluß mitgeteilt wird, finden wir folgende Angaben: „hans carl bronislavius artmann, geboren 1621, begann seine artistische laufbahn als hackprettist und Iändlercoinpositeur, begann jedoch später gedichte zu schreiben, kleinere dramen und schöne stücke zum spielen...“ Man sieht: hier ist ein Verschmelzungsprozeß des Husaren mit dem Mundartdichter im Gange.

Nüchterner begegnen uns die beiden anderen: Achleitner, geboren 1930 in Oberösterreich, schrieb „obdaennsa“, lautmalende und graphisch pretiös aufs Papier gebrachte Miniaturspäße, Rühm, geboren 1930 in Wien, stößt bis zu „lautgedichten im wiener dia-lektidiom“ vor, die ihn auch hier, in der Mundart, als experimentbesessenen Avantgardisten zeigen.

MID AN RODN BLEI. Gedichta ausn Broda. Von Hans G s ö 11. Ausgewählt und eingeleitet von H. C. Artmann. 88 Seiten. Verlag Kurt Wedl, Wien. Preis 44 S.

H. C. Artmann, Ernst Kein und Gerhard Rühm haben im Jänner 1956 in der Zeitschrift „alpha“ die ersten Dialektgedichte veröffentlicht; Kein wandte sich bald wieder von der Dialektdichtung ab, Fritz Achleitner stieß später zu dieser Gruppe. Nichts mit ihr hat jener Wiener Polizeijurist zu tun, der unter dem Decknamen „Hans Gsöll“ nun auch Mundartliches anbietet.

Das Buch deklariert sich als Anti-Artfnann. Artmann proklamierte: „nua ka schmoez how e sogtl“ aber Gsöll findet, daß es ein Wiener Gedicht ohne Schmalz nicht geben könne und deklariert sich selbst als Schmalz-Gsöll. Er behauptet zwar, er habe von Artmann schreiben gelernt („schreim owa gleant min rodn blei des how i von atman heia en mai“), tatsächlich aber hat er nichts gelernt, außer daß er ganz Zeilen wörtlich „von atman“ übernommen hat. Daß dieser sich dann trotzdem bereit fand, ihm ein „Prologerl“ zu schreiben, ist eine souveräne Geste — er tut's mit Vorbehalten: „Was schlecht ist, kann besser werden ...“ Aber ich wüßte nicht, was hier besser werden sollte? Gsölls Reimereien sind so voll von falschen Tönen, von kitschigen und klischeehaften Wendungen, daß man sie bald enttäuscht aus der Hand legt. Zu rasch entlarvt sich das Buch als Spekulation auf ein Publikum, das an der modernen Mundartdichtung Geschmack gefunden hatte. Auf ein Publikum, das einen Meister gewöhnt ist und sich nun nicht mit einem Gesellen begnügen will.

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