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Artmann und die „Mödlinger Nachrichten“

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Ich lernte H. C. Artmann im November 1950 bei einer Lesung junger Autoren in Wien kennen und sah ihn dann öfters im Kreis der „Neuen Wege“. Unsere Freundschaft entstand spontan. Ich möchte heute, wie ich es schon früher getan habe, bekennen, da/3 diese Begegnung eines der entscheidenden Erlebnisse meines Lebens gewesen ist und daß ich durch Artmann beinahe schlagartig die moderne Dichtung, die moderne Kunst begreifen lernte, durch ihn lernte ich Joyce, Pound, Garcta Lorca, Neruda kennen, er gab mir die ersten Hefte des „Plan“, der „Surrealistischen Publikationen“ von Max Hölzer. Ebenso entscheidend wie diese Vermittlung der Texte waren mir Artmanns eigene Arbeiten, vor allem aber das Beispiel seines Lebens, das, was er später als den „poetischen Akt“ definierte. Die „Mystifikation“ war in diesem Zusammenhang eine der Möglichkeiten, banales Leben zu verwandeln, das heißt durchsichtig, transpe rnt. geschichtlich, poetisch, dic/.'Uv zu machen, es mit Sinn aufzuladen, auch wenn dieser dem Uneingeweihten als Unsinn erscheinen mußte. Eine Reise, im Herbst 1951 mit Artmann unternommen, nach Venedig, Verona, in die Lombardei, führte uns durch viele Jahrhunderte, in Shakespeares Zeiten. Ich war von etwa September 1951 bis Mai 1952 „Redakteur“ der „Mödlinger Nachrichten“. Die „Mödlinger Nachrichten“ waren damals ein kleines lokales Blättchen, das wöchentlich einmal im Umfang von vier Seite, inklusive Inserate (die Hauptspalte hieß ,rAy,sg'steckt is'“ sowie die Spielpläne der „Lichtspielhäuser“...) erschien. Vor mir war Peter Weiser Redakteur, nach mir Humbert Fink, aber nur für wenige Wochen, da er in seiner Zeit die Besatzungsmacht „verunglimpft“ hatte. Ich verdiente als „Redakteur“ 150 Schilling pro Woche, hatte allerdings nur drei Tage zu tun, Montag bis Mittwoch mittag. Ich schrieb fast das ganze Blatt allein, von den Gerichtssaalberichten bis zu kommunalen Kommentaren, nur die Arzt- und Apothekenbereitschaften sowie die Liste der Todesfälle und Eheschließungen stammten nicht von mir.

Es war mein Ehrgeiz, jede Woche wenigstens eine total erfundene Meldung zu bringen. Hinter vielen dieser Meldungen stand Artmann als „Spiritus rector“ — so etwa hinter der Geschichte von den keltischen Funden auf der Römerwand — einer künstlichen Ruine, die aus der Zeit der Romantik stammt —, die der Keltologe Peter Rhidian Williams, ein gemeinsamer Freund, der aus Wales stammte, dort getan hätte. Natürlich war Williams kein Keltologe, und natürlich hatte er nichts gefunden. Oder ich brachte die angebliche TASS-Meldung aus Kiew, daß dort Professor Stowas-ser eine neue Weizensorte gezüchtet hätte, von der 1 Kilo einen Menschen 1 Jahr lang ernähren könnte — dahinter stand Hundertwassers „Weizentheorie“, die er mir einmal im Art-Club erzählte. Ich druckte auch einzelne Texte von Artmann ab, auf die sich bald viele wütende Leserbriefe einstellten — Mödling fühlte sich zum Narren gehalten. Einzelne dieser Briefe erschienen dann auch. Es erschienen auch einzelne Glossen, die sich auf Interna unseres Kreises bei den „Neuen Wegen“ bezogen und die so verschlüsselt waren, daß sie kein Mensch verstand. Sie hatten auch wirklich in den „Mödlinger Nachrichten“ nichts zu suchen. Das Merkwürdige aber war, daß das Blättchen trotzdem florierte und gelesen wurde — schließlich hat man mich aber doch hinausgeworfen, weil ich zuviel Unfug gemacht hatte.

Ein besonderes Kapitel sind die „Geistererscheinungen in der Hinterbrühl“, über die laufend berichtet wurde. In der Hinterbrühl gab es damals ein „Spukhaus“, dem man nachsagte, daß sich dort „okkulte Phänomene“ abspielen sollten. Wir versuchten der Sache auf den Grund zu gehen, hörten allerhand Gerüchte, die aufgebauscht in den .Mödlinger Nachrichten“ erschienen, halfen auch, in seltsamer Geisterverkleidung, diesen Phänomenen kräftig nach — Artmann war natürlich dabei, einmal mußten wir Hals über Kopf vor der von dem „Geisterseher“ herbeigerufenen Polizei flüchten. Viele entkamen, einige kriegten sie zu fassen... Unser Glück war, daß der „Geisterseher“ in seiner Wut maßlos übertrieb, behauptete, wir hätten ihn ermorden oder nach Sibirien entführen oder ihn als rituelles Opfer auf der Römerwand schlachten wollen, worauf die Polizei ihm noch weniger glaubte als uns, die wir von freundschaftlichem Schabernack und Studentenulk sprachen, wir kamen mit einer Geldstrafe wegen „nächtlicher Ruhestörung“ und „öffentlichem Ärgernis“ davon.

Ich brachte die jeweils neueste Nummer der „Mödlinger Nachrichten“ nach Wien mit, wo sie von Artmann, Altmann und anderen Freunden immer mit Hallo begrüßt wurde. Einige Jahre hindurch war Mödling — auch als es die „Mödlinger Nachrichten“ unter unserer Regie nicht mehr gab — ein Stützpunkt für vielfache Unternehmungen und Mystifikationen im Sinne des „poetischen Aktes“. Artmann war damals in Mödling wie zu Hause, hatte dann auch Kontakt mit Heribert Vesely, bei dem einmal der „Dr.-Faust-Klub“ wegen angeblicher „Orgien“ ausgehoben wurde. Viel Wirbel in einer kleinen Stadt...

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