7053354-1991_09_08.jpg
Digital In Arbeit

Ein echter Wiener ist untergegangen

Werbung
Werbung
Werbung

Am 21. Dezember 1990 ist der bedeutendste Wiener Mundartdichter der letzten Jahrzehnte, Alfred Josef Ellinger, gestorben. Sein Werk reicht von Laienspielen, die er, mit seiner großen Familie als „Sternsinger-Truppe” vor allem im Umkreis katholischer Pfarren aufführte, über aphoristisch geprägte Lyrik wie den beiden „Klassisch Wienerisch” (1978 und 1988) bis zu dem eigenwilligen Roman „Großmutter” (Herold 1986). Immer rang Ellinger, der neben Politologie und Zeitungswissenschaft auch Germanistik studiert hatte, um die formale Wiedergabe der Mundart. Er hielt sich dabei zunächst an Josef Weinheber, dann eher an H. C. Artmann, bis er seine eigene Transkription erfand. In „Großmutter” stellt er zweispaltig eine leicht lesbare, an die Umgangssprache angelehnte Schreibung, einer streng phonetischen Transkription, die jedoch auf besondere Zeichen verzichtet, gegenüber. Diese Spalte enthält auch Erklärungen aller Art, die diesem zeitgeschichtlichen Werk unseres Jahrhunderts eine besondere Note verleihen. So wurde daraus geradezu ein „Lehrbuch des Wienerischen”, wie es in dieser Art kein zweites gibt. Über einem weiteren chronistischen Prosawerk ist der Dichter nach langer Krankheit fast 74jährig verstorben.

Die Zeitgeschichte war für ihn immer wieder bewegende Thematik. So in der Novelle „Die rote Sali, d entern Grund und a Büscherl Erika”, in der die politischen Ereignisse des Jahres 1934 rund um den Karl-Marx-Hof in Wien den Hintergrund bilden.

Eine andere Novelle ist dem „graidlabua”, dem Kräutlerbub, nämlich dem heiligmäßigen Wiener Redemptoristenpater Wilhelm Raphael Janauschek gewidmet. Sie ist eingekleidet in das seelische Erleben des im Spital liegenden Dichters und seine Heilung. Eines der ergreifendsten Werke Ellingers ist „Das Bilderbuch vom Hernalser

Kalvarienberg” mit dem Untertitel „Ein Wiener Bänkellied in 15 Abschnitten und zweihundert und einem Vers, der alle Gläubigen zum Besuch der frommen Stätte ermuntern soll (kuman d aundan aa, is a nix f ahoggd)”. Ellinger hat die spätbarocken Holzreliefs des Kreuzweges zum Gegenstand seiner Betrachtungen gemacht. Die kurzen Gedichte werden als Bänkellieder ausgewiesen vor dem Hintergrund des Hernalser Fastenmarktes, der alljährlich rund um die Kalvarien-bergkirche in der Fastenzeit stattfindet und von weltlichem Firlefanz aller Art begleitet ist. Das Titelbild des Buches ist auf die elfte Kreuzwegstation „Die Demut” bezogen. Einem finsteren Feldherrn mit Turban und Marschallstab steht die bittende Gottesmutter gegenüber. Ellinger meint, daß sie ihn gerade aus dem Bild herausdrängt. Welch ein Symbol für unsere Tage des Golfkrieges! Am Ende des Buches wird der Sünder, der „nichts hat wie die Bäume im März, aber Herz hat, nichts wie Herz” durch die Gitter des Käfigs dieses Lebens durchsteigen in die Ewigkeit hinein: „s heaz hoidd a hi - aufged de dia - do! mai heaz - di ewichkaid dafia!” Ellinger hat seine Freunde, die sich um Mundartdichtung bemühen, allein lassen müssen.

Von Mundartdichtung kann man nur sprechen, wenn die Mundart in bewußtem Gegensatz zur Hochsprache in der Dichtung eingesetzt wird. Die frühesten Zeugnisse deutscher Dichtung sind in Mundart verfaßt worden, in fränkischer, bai-rischer, alemannischer. Damals aber gab es keine Standardsprache und daher keinen Gegensatz. Erst nach der Ausbildung der neuhochdeutschen Schriftsprache ist Mundartdichtung möglich. Sie tritt zunächst zur Charakterisierung verschiedener Standesgruppen auf, etwa in heiteren bäuerlichen Szenen innerhalb eines Jesuitendramas. Im 18. Jahrhundert gewinnt sie in Österreich in den Spielen des Lambacher Stiftsgeistlichen Pater Maurus Lindemayr Raum. Im 19. Jahrhundert ist es wieder ein Priester, der sich ihrer bedient, Josef Misson in seinem „Naz”, einer lehrhaften Hexameterdichtung. In Wien dient die Mundart im 19. Jahrhundert ebenso dem Volksstück wie den Eipeldauerbriefen und ihren Nachfahren, um die Jahrhundertwende einer bestimmten Art von Feuilleton, die einzelne Volkstypen charakterisiert, etwa bei Stürzer oder Vinzenz Chiavacci.

1935 gelingt Josef Weinheber mit seinem Buch „Wien wörtlich” ein großer Wurf. 1958 macht H. C. Artmann mit seinem Lyrikband „med ana schwoazzn dintn” Aufsehen. Das dritte große Ereignis auf dem Gebiet der Wiener Mundartdichtung wird durch Ellingers religiös bestimmte, zeitgeschichtliche Dichtung gesetzt.

Beklommen fragt man sich, ob es nach ihm noch etwas von Bedeutung geben wird. Gegenwärtig wird die Mundart in Songs eingesetzt, die inhaltlich von Gefühlsausbrüchen meist willensschwacher Menschen getragen werden und sprachlich weit von der eigentlichen Volksmundart entfernt sind. Auch das Kabarett bedient sich einer mundartlich gefärbten Sprachschicht, die zwischen der Umgangssprache einerseits und dem Idiom der untersten Volksschichten angesiedelt ist. Dieses Idiom hat Wolfgang A. Teuschl 1971 in seiner Bibelübertragung ins Wienerische „Da Jesus und seine Hawara” gekonnt, aber auch outriert verwendet. Es ist die Sprache, die auch seinem kürzlich erschienenen Wiener Dialektwörterbuch zugrunde liegt. Sie beruht auf guten Beobachtungen, ist aber letztlich konstruiert.

In den österreichischen Bundesländern ist noch mehr von Mundartdichtung zu spüren. Doch zerfällt sie in zwei Gruppen: in eine nostalgisch bewegte, die allen noch erhaltenen Spuren heimischen Volkstums nachzugehen versucht, und in eine schonungslos demaskierende, die unter anderem Profitgier und Habsucht der auf Tourismus eingestellten bäuerlichen Bevölkerung charakterisiert.

Alfred J. Ellinger hat es verstanden, eine Synthese aus den auseinanderfallenden Strömungen zu ziehen und unter Verwendimg wirklich volksnaher Sprachform und leicht verständlicher Schreibung eine breitgefächerte Thematik da-zubieten. Auch wenn es im Augenblick nicht danach aussieht, sollte man hoffen, daß er ein Spurensucher für Nachfolgerund Fortführer seiner Kunst bleibt.

Maria Homung ist ordentlicher Professsor am Wiener Institut für Germanistik.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung