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Entfesselte Phantasie

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Die österreichische Literatur ist zur Zeit im deutschsprachigen Ausland und darüber hinaus durch drei Namen über die Maßen erfolgreich vertreten: den „Publikumsbeschimpfer“ Peter Handke, den Bühnenallrounder Wolfgang Bauer und H. C. Artmann, Lyriker, Verfasser von Prosatexten und Kurzkomödien, gerühmter Übersetzer mit enormem Spachwissen. (Die Liste der Sprachen, die man ihm zu sprechen oder zumindest zu lesen nachsagt, soll weit mehr als zwei Dutzend umfassen, darunter auch Ottakringerisch; für den Autor der makabren Dialektgedichte „med ana schwoazzn dintn" durchaus legitim). Längst ist er den Tabakschwaden des sagenhaften Cafė Hawelka entwachsen, fern dem literarischen Untergrund, als seine Bücher in winzigen Auflagen in Kleinstverlagen erschienen. Heute reißen sich die Verlage, vor allem bundesdeutsche, um die Hervorbringungen dieses unwahrscheinlich

Produktiven und Vielseitigen; der renommierte Suhrkamp behandelt ihn, den populärsten Sproß der einstigen „Wiener Gruppe“, bereits als Klassiker. Bis ins lächerlich Absurde steigern sich Lobrednereien: „Artmann, der wahrscheinlich einzige wesentliche Dichter, den die deutsche Literatur nach 1945 hervorgebracht hat — allen seither hochgespielten Modebegabungen zum Trotz, von Bachmann bis Grass“ (P. O. Chotje- witz), oder ,4er erfindungsreichste Literaturkopf Europas“.

Längst ist der in dem dörfischen St. Achatz am Walde geborene Niederösterreicher (Jahrgang 1921) zum polyglotten Weltreisenden geworden, der seinen Wohnsitz gern wechselt und sich wohl darum auch anläßlich der vorjährigen Frankfurter Buchmesse als „deutschen Schriftsteller" bekannte, der nur bei seiner Geburt einen österreichischen Paß „aufgetrottelt" erhalten hätte. Ein Art- mann denkt und lebt eben jenseits des kleinkarierten Separatismus über Landes- und Sprachgrenzen hinweg, denn, so meint Artmann über Artmann, „man (kann) aus der Haut fahren, und zwar in jede beliebige andere hinein, alles (läßt sich) in Sprach (Literatur) verwandeln und reziprok (kann) mit Sprache alles angestellt werden“.

Das zeigen denn auch seine unverwechselbaren Sprach- und Bildschöpfungen. Sieht man über eine bisweilen schwer erträgliche Selbststilisierung, über Manier und Snobismus hinweg, merkt man an Art- mann eine wahre Materialbesessenheit, die das Wort nicht als „Ausdruck“ von etwas, sondern um seiner sprachlichen Eigengewalt sucht. Nicht Gefühle, sagt er, wolle er zum besten geben, sondern „Worte in Szene setzen". Stilkünste aller Richtungen in sich vereinigend, schweift dieser „Seilkünstler der Sprache“ durch die Jahrhunderte, auf der Suche „nach der treffenden, drastischen Metapher".

Die zehn Geschichten des vorliegenden Bandes sind voll davon, und eine entfesselte Phantasie zaubert darin aus einem einzigen Wort gleich Dutzende von verwandten Begriffen und ausschweifenden Vergleichen hervor. Die Titelgeschichte „How mudx, schatzi?" zum Beispiel handelt von dem Abenteuer eines lächerlichen Modegecks und Aftergentlemans, dem angesichts der grünen Trabrenntribüne nichts Besseres einfällt, als sie mit dem beim Rennen gewonnenen vielen Geld gelegentlich auf kaminrot umfärben zu lassen. Zunächst aber verirrt er sich, samt seinem kleinen Vermögen, in das „hungerzerfurchte armeleute- viertel… ein viertel, in dem das wort champagner nur durch orientalische märchenerzähler bekannt war, in dem der ausgebeutete arbeiter sein tägliches glas milch durch zerstörerischen fusel ersetzen mußte, um überhaupt am leben zu bleiben“. Ein gutes Beispiel für Artmanns die Wirklichkeit absichtlich ins Parodi- stische übertreibende, hintergründige Komik, die auch vor sprachlichen Manierismen nicht zu rück- scheut. „Ihr Götter der abenteuer“ lautet der Stoßseufzer eines Bedrängten im „Auftritt eines rowdys", „ihr letzteminutisten, ihr derzufall- wolltessohabens, ihr dochnochhappy- enders, wo seid ihr?“ Da gibt es „onassisteure Parfüms“, „briefmar- kenblaugeäderte Kniekehlen“ und „froschlaichglänzende Augen“,

Die Ahnenreihe scheint erkennbar: Vom spätbarocken Lohenstein (Artmanns Lieblingsdichter), von Abraham a Sanota Clara über Nestroy, zu den Surrealisten, Dadaisten, einer Prise Herzmanovsky-Orlando und Paris von Gütersloh bis zum aller- neuesten Pop und Underground. „Stubenrein“ ist freilich keines dieser trivialen Kolportagehistörchen. Artmann schätzt es nämlich, sich möglichst saftig, drastisch bis zur Unflätigkeit auszudrücken. Doch der ästhetische Spaß an der Spracharti- stik dieses Erzschelms entschädigt für manche kraftmeierische Unart der (laut Klappentext) neuen „Artmann-Art“, die doch in Wirklichkeit gar nicht so neu ist.

HOW MUCH, SCHATZI? Von H. C. Artmann. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main. 171 Seiten. DM IS.—.

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