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Preis-Träumereien

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Unsere Zeit wird, so könnte ich mir vorstellen, dereinst auch als Ära der Preisausschreiben in die Geschichte eingehen.

Jede Firma, die auf sich hält, fragt ihre tatsächlichen und ihre potentiellen Kunden in unregelmäßigen Abständen nach Produktvorteilen, Warennamen und Firmenadressen. Dabei sind Fragestellung und eindeutige Vorgabe der richtigen Antworten auf den überall erhältlichen Teilnahmescheinen in einer Art und Weise formuliert, die jeden in den Besitz eines solchen Kärtchens Kommenden berechtigen würden, den Urheber desselben auf Ehrenbeleidigung zu klagen, da dieser ganz offenkundig davon ausgegangen ist, im Spielteilnehmer einen Volltrottel anzutreffen, einer Gruppe angehörig, die einem Lotto „2 aus 4“ mit zwei Zusatzzahlen Jackpots zu bescheren imstande ist.

Die Preise für das richtige Ausfüllen und Einsenden der Karte lassen sich sehen. Photosafaris in Mudumalai, Solarheizungen für Wochenendhäuser und ganze Schlafzimmereinrichtungen sind das mindeste, was man einheimsen kann, Jahresabonnements für Praterbesuche und der Lebensbedarf an Seife für Großfamilien werden als Trostpreise ausgeworfen.

Steht hier eine minimale Leistung einer relativ hohen Gewinnchance entgegen, so gibt's auf anderer Ebene, gleichermaßen aber der Preisvergabe überantwortet, einen geradezu verkehrt proportionalen Vorgang: die Literatur-, Publizistik- und Aufsatzwettbewerbe, wo viel Aufwand und Einsatz der Teilnehmenden einem vergleichsweise kleinen Gewinn gegenüberstehen, der im besten Fall durch eine den persönlichen Ruhm kaum mehrende Zeitungsnotiz aufgefettet wird.

Was bei der Ziehung des Waschmittelpreisausschreibens der kleine entzückende Waisenknabe ist, wird bei der Beurteilung der literarischen Elaborate durch ein Gremium selbsternannter Sachverständiger ersetzt, deren Verhalten zwar weniger liebreizend als das des genannten Kindes, doch oft von ähnlicher Naivität, die bisweilen allerdings auch durch Überheblichkeit und Arroganz substituiert wird, gekennzeichnet ist.

Die Inkompetenz mancher Juroren, denen oft erst durch die Probanden der Unterschied etwa zwischen einer Glosse und einem Feuilleton klargemacht werden muß, wird wettgemacht durch ihre ungerade und meist recht hohe Anzahl, die eine Pattstellung der zufällig entstandenen, auf Mehrheitsbeschluß beruhenden und daher nie objektiven Urteile unmöglich macht.

Auch Friedens-, Chemie- und selbst Eiskunstlauf-Preise sind die Ergebnisse von Jury-Entscheidungen, was sie anfechtbar macht und jedenfalls den von Fortuna geführten Patschhandgriff des oben zitierten Buben in den vollen Wäschekorb sympathischer und gerechter erscheinen läßt.

Neid und daraus entstandener Hohn werden den wenigen Begünstigten jedoch da wie dort zuteil, da mit dem Hinweis auf das je preiser gekrönte umso durcher fallende Werk, dort mit dem wenig originellen Zitieren des dümmsten Bauern, dem angeblich die größten Erdäpfel wachsen.

Garantierter Gewinner derartiger Spielchen ist allemal die Post, die das Porto für Hin- und Rücksendungen kassiert und, wäre sie nicht Monopolistin, sondern Mitbewerberin im Reigen einiger anderer Transportbetriebe, zweifellos Bereitschaft zu Provisionszahlungen an die Veranstalter signalisieren würde.

Wie auch immer, den vielen leer Ausgegangenen bleibt neben der Enttäuschung die Hoffnung auf das nächste Mal. So senden die einen weiterhin ihre Postkarten mit den Auflösungen an die Waschmittelfirmen, die anderen ihre Manuskripte an die Beurteilungskommissionen, und bis zum Tag der Ziehung und der Schlußentscheidung kann vom großen Preis phantasiert werden.

Wäre die Wahrscheinlichkeitsrechnung in den Schulen Pflichtfach, wäre das Reich der Träume um einige Morgen Land kleiner.

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