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Sind 320.000 Österreicher wirklich „ohne Bekenntnis”?

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Eine bei V olkszählungen traditionell gestellte Frage ist die nach dem Religionsbekenntnis. Nach der letzten Zählung von 1971 hat die Statistik mehr als 320.000 Österreicher „ohne Bekenntnis” ermittel, 4,3 Prozent der Gesamtbevölkerung. Wie aber wird ermittelt, wer „ohne Bekenntnis” ist? Handelt es sich hier tatsächlich um Personen „ohne religiöses Bekenntnis” (o. r. B.)? Was bedeutet „ohne Bekenntnis”?

Laut Erlaß des Innenministeriums vom 22. Juni 1946 über die Klarstellung der Bezeichnung „Religionsbekenntnis” trat an die Stelle der im Jahr zuvor festgelegten Bezeichnung „glaubenslos” der Ausdruck „ohne religiöses Bekenntnis”. Aufrecht blieb die Bestimmung vom 14. Dezember 1945, daß jedes religiöse Bekenntnis einzutragen und vor allem eine Einschränkung auf die Bekenntnisse der gesetzlich anerkannten Kirchen oder Religionsgesellschaften nicht statthaft sei. Ergänzend heißt es in einem weiteren Erlaß vom 23. Jänner 1954, daß das Recht ‘Angehörige der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften und Anhänger gesetzlich nicht anerkannter Religionsbekenntnisse” unterscheidet.

Es wird ausdrücklich festgehalten, daß es sich bei beiden um Personen handelt, „die sich zu einem positiven Gottesglauben bekennen”, wobei für die Anhänger der gesetzlich nicht anerkannten Religionsbekenntnisse die eigenen Angaben der betreffenden Personen maßgebend sind. Als „ohne religiöses Bekenntnis” gelten alle jene, „die sich zu keinem bestimmten Gottesglauben bekennen” oder „die den Gottesbegriff überhaupt ablehnen”.

Die Religionsgesellschaft gibt somit einen Hinweis auf die Zugehörigkeit zu einer Juristischen Person”, während unter „Bekenntnis” die persönliche Überzeugung zu verstehen ist.

Die derzeit gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften sind:

• Die römisch-katholische Kirche in Österreich mit ihren verschiednen Riten (armenisch-katholisch, griechisch-katholisch).

• Die evangelische Kirche A. B. Und H. B. in Österreich.

• Die altkatholische Kirche Österreichs.

• Die griechisch-orientalische Kirche in Österreich.

• Die israelitische Religionsgesellschaft.

• Die Methodistenkirche in Österreich

• Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, österreichischer Distrikt (Mormonen).

• Die armenisch-apostolische Kirche in Österreich.

• Die neuapostolische Kirche in Österreich.

• Der Islam nach hänefitischem Ritus hat um Anerkennung einer Kirchengemeinde angesucht; mit einer positiven Erledigung ist zu rechnen.

Die Zulassung für Religionsgemeinschaften und die Berufung im Religionsfeststellungsverfahren liegt beim Unterrichtministerium als oberster Kultusbehörde. Für das Religionsfeststellungsverfahren sind die Landesbehörden zuständig.

Gestzlich nicht anerkannte Religionsgemeinschaften sind zum Beispiel die Anglikaner, die Zeugen Jehovas, die Adventisten. Während die ge setzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften Körperschaften öffentlichen Rechtes sind, haben die anderen keine Rechtspersönlichkeit. Im Gegensatz etwa zur Bundesrepublik Deutschland oder zur Schweiz findet das österreichische Vereinsgesetz für Religionsgesellschaften keine Anwendung. Um öffentliche Subventionen bekommen zu können, müssen nicht anerkannte Religionsgesellschaften den Umweg über einen Hilfsverein wählen, in dem der religiöse Aspekt nur ein Teilanliegen der Gesellschaft darstellt. So verbindet etwa die Buddhistische Gesellschaft die Vermittlung ihrer Religion mit der Pflege kultureller Werte und Traditionen.

Die Abänderung des bis 1939 geltenden Rechtes, wonach Kinder die Konfession der Eltern, bei verschiedenem Bekenntnis das des Vaters oder der Mutter erben, ist im Gesetz über die religiöse Kindererziehung festgehalten. An Stelle des alten Abstammungsprinzips ist heute die Übereinkunft der Eltern ausschlaggebend. Mit vollendetem 14. Lebensjahr hat jedes Kind das Recht, sein Religionsbekenntnis selbst zu wählen und anzugeben.

Schon seit mehreren Jahren gilt die vom Verwaltungsgerichtshof als herrschende Rechtssprechung erklärte Regelung, daß unter „Religionsbekenntnis” verschiedene Angaben möglich sind: Entweder eine gesetzlich anerkannte Kirche oder Religionsgesellschaft oder der Vermerk „gehört einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft nicht an” oder die Bezeichnung der nicht anerkannten Religionsgemeinschaft, etwa der Zeugen Jehovas. Wird keine Angabe gemacht, ist keinesfalls der Schluß zulässig, daß es sich um Personen „ohne religiöses Bekenntnis” handelt, wenn dies nicht ausdrücklich vermerkt wird.

Die Volkszählung von 1971 hat sich in mancher Hinsicht weder an das Gesetz noch an die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gehalten. Wo die Angabe des Religionsbekenntnisses unterblieb, wurden diese Personen zwar unter „unbekannt” ausgewiesen. Unter dem Titel „ohne Bekenntnis” wurden jedoch 320.031 Personen mit der Angabe „o. r. B.” und mit den Angaben gesetzlich nicht anerkannter Religionsbekenntnisse zusammengefaßt. Die Begründung: „Die Daten geben die rechtliche Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft wieder und lassen naturgemäß keine Rückschlüsse auf die Gläubigkeit der Bevölkerung zu. Aus mehreren Gründen würden die Zahlen über die Zugehörigkeit zu kleineren Religionsgemeinschaften … zu ungenaue Daten liefern, daher beschränkt sich die Auf arbeitung -1971 auch die Befragung - auf die in Österreich stärker vertretenen Religionsgesellschaften.”

So kommt es, daß die Statistik aus der Volkszählung 1971 87,7 Prozent (6,540.294) als römisch-katholisch, 5,7 Prozent (425.953) als evangelisch Augsburger Bekenntnis, 0,3 Prozent (20.354) als evangelisch Helvetisches Bekenntnis, 0,4 Prozent (26.366) als altkatholisch, 0.1 Prozent (8461) als mosaisch ermittelt,’ weitere 76.731 (1 Prozent) unter den übrigen gesetzlich anerkannten Religionsbekenntnissen ausweist, 0,5 Prozent (38.213) unter „unbekannt” anführt und unter dem Titel „Ohne Bekenntnis” mit 4,3 Prozent (320.031) alle Österreicher ohne religiöses Bekenntnis und die Angehörigen gesetzlich nicht anerkannter Religionsbekenntnisse zusammenfaßt.

Die Zahl der über 320.000 Personen „ohne Bekenntnis” sagt jedenfalls nichts darüber aus, wie viele Österreicher tatsächlich ohne jeden Glauben sind.

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