Die Kraft der Einfachheit

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Unlängst war er wieder in Wien zu Gast - bei einem Festakt in der Hofburg aus Anlass der zehnjährigen eu-Mitgliedschaft Österreichs. Er sprach länger als die drei anderen Festredner - José Manuel Barroso, Franz Vranitzky und Paavo Lipponen - zusammen, aber man hörte gebannt zu, denn da vorne war ein Stück Zeitgeschichte zu erleben. Einmal mehr entfaltete Helmut Kohl sein politisches Credo - dass es zum Projekt der europäischen Einigung keine sinnvolle Alternative gebe. Beim deutschen Altkanzler ist das nicht hohle Sonntagsrhetorik, sondern aus biographischer Erfahrung und historischem Wissen gewachsene Überzeugung. Mühelos-anekdotisch spannte er den Bogen von der Nachkriegszeit bis in die Gegenwart; wie selbstverständlich erschloss sich solcherart der Zusammenhang zwischen Erinnerung und gegenwärtiger Verantwortung für die Zukunft. Und deutlich wurde einem die Diskrepanz zur hemdsärmelig-polternden Europa- und Außenpolitik von Kohls Nachfolger.

Mit der "Kraft der Provinz" hat Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung einmal das Phänomen Helmut Kohl zu erklären versucht. "Provinz ist ein gutes Wort", schrieb Prantl in einer äußerst feinsinnigen Würdigung zu Kohls 70. Geburtstag, "Provinz ist, wo Zusammenhänge überschaubar sind". Aus der Verwurzelung in der Provinz, der "Geborgenheit in vertrauten Formen und vertrauten Regeln" erwuchs, so suggerierte Prantl, Kohls Kraft zur politischen Gestaltung. "Papst Johannes Paul küsst die Erde der Länder, in die er reist. Helmut Kohl hat sozusagen die pfälzische Erde in alle Länder mitgenommen, in die er gereist ist." Als Schlüsselsatz zum Verständnis Kohls zitierte Prantl dessen häufig gebrauchten Satz "Sehen Sie, die Sache ist doch ganz einfach" - und meinte: "In dieser Simplizität steckt die Kraft zu einer furiosen und grandiosen Europapolitik."

Ebenso simpel formulierte er gegen Ende seiner Amtszeit in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen die programmatischen Leitlinien für seine cdu: "In allen Fragen, die die Grundlagen unseres Zusammenlebens und die Lehren aus der Geschichte betreffen, bin ich ein Wertkonservativer. In der Frage des Zusammenhalts unserer Gesellschaft und der Solidarität mit den Schwächeren bin ich ein Christlich-Sozialer. In der Frage der Freiheitsrechte des Bürgers ... bin ich ein Liberaler." Kein schlechtes Programm - und jedenfalls auch heutigen Christdemokraten, inner- wie außerhalb Deutschlands, ins Stammbuch zu schreiben.

Dass Helmut Kohl den richtigen Zeitpunkt seines Abgangs verpasst und in der Causa um seine - eben teilweise publizierten - Stasi-Akten und die Parteispendenaffäre unglücklich gehandelt hat, warf über Jahre einen Schatten auf die mächtige Figur des Altkanzlers. Wenn er jetzt, am 3. April, seinen 75. Geburtstag feiert, erscheinen auch diese Dinge bereits in einem milderen Licht. RM

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