Respektvoller Dissens

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Wie verträgt sich Politik mit religiösen Überzeugungen? Anmerkungen anhand der Fälle Rocco Buttiglione und John Kerry.

Seit Monaten lancieren konservative US-Katholiken eine Kampagne gegen John Kerry: Der demokratische Präsidentschaftskandidat sei ein Häretiker, weil er bei der Abtreibung oder der embryonalen Stammzellenforschung nicht für restriktive Gesetze eintrete. Die - hierzulande unvorstellbare - Debatte, ob Kerry wegen dieser Ansichten überhaupt noch zur Kommunion gehen darf, wogt ebenfalls schon geraume Zeit. Amerikas Konservative können dabei sogar auf einige (Erz-)Bischöfe zählen, die diese Meinung unterstützen. Vor wenigen Tagen kolportierten Rechtskatholiken gar, die Glaubenskongregation in Rom betrachte Kerry als exkommuniziert; der Vatikan erklärte zwar, keine Aussagen zum US-Wahlkampf zu machen, aber das hinderte die Hardliner nicht daran, Kerry als abtrünnigen, schwer sündigenden Katholiken hinzustellen.

In einer beachtlichen Rede nahm Kerry letzten Freitag Stellung: Er bekannte sich zu seinem katholischen Glauben und definierte dies über die katholische Soziallehre: Katholiken würden für Solidarität eintreten, sein Leitsatz sei Jesu Wort: "Was ihr dem geringsten Menschen tut, das habt ihr mir getan." Zu Abtreibung und Stammzellenforschung argumentierte Kerry: Man könne in einer pluralistischen Gesellschaft nicht jeden katholischen Lehrsatz zum staatlichen Gesetz machen. Er liebe seine Kirche, er respektiere die Bischöfe, aber er sei "respektvoll anderer Meinung" als sie.

Kerrys Probleme ob seiner religiösen Überzeugung sind die eine Seite der Medaille. Auf der Kehrseite derselben schlägt sich der - verhinderte? - EU-Kommissionskandidat Rocco Buttiglione mit seinen konservativ-katholischen Ansichten herum: Der italienische Politiker hat mit Aussagen über Homosexuelle und die Stellung der Frau das Europaparlament so polarisiert und erstmals in Richtung der Ablehnung einer EU-Kommission gedrängt, dass der designierte Kommissionspräsident José Manuel Durão Barroso sich nun zumindest teilweise eine neue Mannschaft suchen muss.

Man mag einwenden: In Bezug auf öffentliche Thematisierung des persönlichen Glaubens sind die USA, wo in Tagespolitik wie im Wahlkampf eine religiös verbrämte Sprache dazugehört, mit den laizistisch geprägten EU-Institutionen nicht vergleichbar. Aber auch wenn die Zugänge in den USA und in Europa diametral entgegensetzt erscheinen, liegt dem Ganzen doch eine fundamentale Frage zugrunde - nämlich, wie sich Politik mit religiösen Überzeugungen verträgt und umgekehrt. Zwei Seiten einer Medaille eben: Darf sich ein Politiker öffentlich als katholisch bezeichnen, auch wenn er in manchen Fragen mit seiner Kirche in "respektvollem Dissens" ist? Beziehungsweise: Kann ein Politiker, der sich öffentlich zu den - rigorosen - Lehren seiner Kirche bekennt, ein wesentliches politisches Amt bekleiden?

Grundsätzlich sind beide Fragen mit Ja zu beantworten. Denn wer das System säkularer Rechtsstaatlichkeit akzeptiert, wird Politik immer als Kunst des Möglichen und Kompromisse als Werkzeug dabei begreifen müssen. Dass dies auch einen lagerübergreifenden Konsens über Grundwerte bedingt, gehört gleichfalls zum System. Die Fälle Kerry wie Buttiglione zeigen aber, dass es hier grundsätzlich zu Spannungen kommen kann. Die Lösung derselben ist schwierig, es wäre unter anderem eine Aufgabe des öffentlichen Diskurses, dazu beizutragen.

Auffällig bleibt bei Kerry wie im Fall Buttiglione, dass es sich um Auseinandersetzungen mit einem katholischen Hintergrund handelt. Kein Zufall, denn gerade das katholische Lehramt nimmt auch das politische Handeln seiner Schäfchen unter die Fittiche. Katholische Politiker haben die Pflicht, im öffentlichen Leben die von der Kirche gelehrten moralischen und sozialen Grundwerte zu verteidigen: Solches ist etwa in einer "lehrmäßigen Note" der Glaubenskongregation aus 2003 zu lesen.

Ethischer Rigorismus macht den politischen Diskurs aber keineswegs fruchtbarer. Und ruft auch abstruse Wortmeldungen auf den Plan: So bezeichnete Kardinal Renato Martino, der oberste Sozialethiker des Vatikans, die Auseinandersetzungen um Kommissionskandidat Buttiglione als "neue Inquisition" gegen die katholische Kirche.

Gerade als Katholik verbittet man sich, die Assoziation an eines der schwärzesten Kapitel der Kirchengeschichte zum Argument für die katholische Kirche zu verdrehen.

otto.friedrich@furche.at

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