Widerstand - © Pixabay / Gerd Altmann

Erinnerung an Jesuit Alfred Delp: "Lasst uns dem Leben trauen"

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Alfred Delp (1907–1945), ein Freund Karl Rahners, wurde vor 60 Jahren in Berlin-Plötzensee hingerichtet.

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Alfred Delp (1907–1945), ein Freund Karl Rahners, wurde vor 60 Jahren in Berlin-Plötzensee hingerichtet.

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Er wurde keine 38 Jahre alt, und ich hätte ihn vielleicht noch als Mitbruder kennen gelernt - wäre er nicht in einem Schauprozess vor dem Volksgerichtshof unter Vorsitz des fanatischen Priesterhassers Roland Freisler zum Tod verurteilt worden: Alfred Delp. Vor 60 Jahren, am 2. Februar 1945, wurde er wegen "Hoch- und Landesverrats" in Berlin-Plötzensee gehängt, seine Asche in alle Winde zerstreut. Die Hinrichtung erfolgte gegen drei Uhr nachmittags, es war Maria Lichtmess, ein Fest, an dem Jesuiten traditionellerweise ihre feierlichen Gelübde ablegen.

Hätte Delp den Krieg überlebt, wäre er aller Voraussicht nach wieder in die Redaktion der Stimmen der Zeit in München eingetreten, der er vom Juli 1939 bis zur Aufhebung der Zeitschrift im April 1941 angehört hatte.

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Der breiteren Öffentlichkeit wurde sein Name erst nach dem Krieg bekannt, als sein Mitbruder Paul Bolkovac Briefe, Notizen und Meditationen aus der sechsmonatigen Kerkerzeit (Juli 1944 bis Februar 1945) unter dem Titel "Im Angesicht des Todes" veröffentlichte. Thomas Merton nannte sie später in einer amerikanischen Ausgabe "die vielleicht klarsichtigsten ... christlichen Meditationen unserer Zeit" und zögerte nicht, Delp einen Mystiker zu nennen.

Eine wahre Delp-Renaissance löste die Herausgabe der "Gesammelten Schriften" Alfred Delps in fünf Bänden durch Roman Bleistein SJ ( 2000) in den 80er Jahren aus, denen dieser auch die Biografie "Alfred Delp. Geschichte eines Zeugen" (1989) folgen ließ. Das Motto des Deutschen Katholikentages 1984 in München ging auf Delp zurück: "Lasst uns dem Leben trauen, weil wir es nicht allein zu leben haben, sondern Gott es mit uns lebt" - hingekritzelt mit gefesselten Händen am 24. Dezember 1944 in der Gefängniszelle, nach monatelanger Folter und Isolationshaft.

Delps aus den Gefängnissen geschmuggelte Briefe und Kassiber sind den Aufzeichnungen "Widerstand und Ergebung" eines Dietrich Bonhoeffer ebenbürtig.

Ein ungewöhnlicher Weg

Als Delps Mutter Maria Bernauer am 15. September 1907 in Mannheim ihr Neugeborenes zum ersten Mal in ihren Händen hielt, war ihr einziger Gedanke: Wird der Vater meines Sohnes mich endlich heiraten? Zwei Jahre zuvor hatte sie ein Mädchen geboren, das von ihrer Schwester aufgezogen wurde. Einen Monat später heiratete Friedrich Delp die Kindsmutter. Damit war Alfred "legitimiert". Er bekam vier weitere Geschwister.

Obwohl katholisch getauft, bestand Alfreds (protestantischer) Vater darauf, dass dieser eine evangelische Schule besuchte und dort auch religiös erzogen wurde. Trotzdem hatte der Teenager auch Kontakt zur katholischen Pfarrgemeinde. Im März 1921 wurde Alfred konfirmiert. Eine Ohrfeige des evangelischen Pastors - Alfred hat sich für den Unterricht verspätet, weil er beim (katholischen) Pfarrer gewesen war - führte zu einer Wende in seinem Leben: Im Juni desselben Jahres empfing er die Erstkommunion, neun Tage später wurde er gefirmt. Von Ostern 1922 an besuchte Delp das bischöfliche Konvikt in Dieburg, trat dem "Bund Neudeutschland" bei und legte vier Jahre später das Abitur ab. Keine vier Wochen später, am 22. April 1926, trat er in Feldkirch ins Noviziat der Jesuiten ein.

Lasst uns dem Leben trauen, weil wir es nicht allein zu leben haben, sondern Gott es mit uns lebt.

Alfred Delp

Delp absolvierte die ordensüblichen Studien: zwei Jahre Noviziat, drei Jahre Studium der Philosophie in Pullach bei München, drei Jahre Präfektur zuerst an der "Stella matutina" in Feldkirch und ab 1934 für einige Monate in Sankt Blasien im Schwarzwald, darauf vier Jahre Studium der Theologie in Valkenburg/NL und Frankfurt am Main. Im Juni 1937 wurde er in München von Kardinal Michael Faulhaber zum Priester geweiht. 1938/39 machte er das Tertiat, ein Jahr der geistlichen Sammlung.

Weil ihm die Behörden die Immatrikulation an der Universität verweigerten, kam Delp im Juli 1939 zur Münchner Jesuitenzeitschrift Stimmen der Zeit, wo er das Gebiet Soziologie betreuen sollte. Nachdem das Haus der Schriftleitung durch die Gestapo enteignet worden war, wurde er Kirchenrektor in München-Bogenhausen.

Einem Freund gegenüber rechtfertigte Delp sein Engagement im Widerstand gegen den Nationalsozialismus mit den Worten: "Wer nicht den Mut hat, Geschichte zu machen, wird ihr armes Objekt. Lasst uns tun."

Der Kreisauer Kreis

Im März 1942 trat er erstmals mit Helmuth James Graf von Moltke in Verbindung, der den Jesuiten-Provinzial Augustinus Rösch um einen Soziologen gebeten hatte. Es ging um die Planung einer christlichen Sozialordnung nach dem zu erwartenden Zusammenbruch des Dritten Reichs. Im Mai und Oktober 1942 sowie im Juni 1943 nahm Delp an mehrtägigen Treffen teil. Der Kreis um Moltke, nach dessen Gut in Schlesien "Kreisauer Kreis" genannt, war keine Widerstandsbewegung im strengen Sinn. An einen gewaltsamen Umsturz war nicht gedacht.

Moltke wurde im Januar 1944 verhaftet, weil er einen Freund vor dessen bevorstehenden Verhaftung gewarnt hatte. Seine konspirative Arbeit wurde jedoch nicht entdeckt. Ein Teil des Kreisauer Kreises, zu dem auch die Jesuiten Rösch, Delp und Lothar König gehörten, schloss sich daraufhin der Umsturzbewegung an. Nichtsahnend besuchte Delp Anfang Juni 1944 Claus Graf von Stauffenberg in Bamberg. Von dessen Verhaftung am Morgen des 21. Juli, dem Tag nach dem Hitler-Attentat in der Wolfschanze, war er völlig überrascht. Sieben Tage später wurde Delp selbst verhaftet.

Ich glaube, dass Delp wirklich zu den Zeugen des christlich-motivierten Widerstands gegen das Unwesen des Nationalsozialismus in erster Reihe gehört.

Karl Rahner

Zuvor war Delp, zumeist auf Veranlassung seines Ordensbruders Karl Rahner, wiederholt in Wien, um in Kardinal Innitzers "Generalstab", wie dieser den "Theologischen Arbeitskreis" um Prälat Karl Rudolf nannte, mitzuarbeiten. Die hochkarätige Denkwerkstatt war das, was man heute einen "Think Tank" nennt. 1943 wurde Delp von Otto Mauer zu einem Vortrag innerhalb der Priesterfortbildungskurse eingeladen. "Während eines Frühstücks mit ihm, K. Rahner und einigen Mitarbeitern des Seelsorgeamtes", hielt die 1997 verstorbene Pionierin der kirchlichen Erwachsenenbildung Margarete Schmid fest, "wurden allen die Haltung und das Vorgehen P. Delps dem NS-Regime gegenüber klar."

Karl Rahner sagte "mit einem gewissen Stolz, dass Delp ein guter Freund von mir war": Er hatte dem Novizen Delp zwischen 1927 und 1929 in Feldkirch "noch etwas sein Latein im Noviziat aufpolieren" helfen müssen. Der Kontakt zwischen den beiden riss in der Folgezeit nie ab.

Ein Freund Karl Rahners

Als Rahner während des Kriegs zusammen mit Hans Urs von Balthasar für den Verlag Herder eine völlig neue Dogmatik konzipieren sollte, wollte er unbedingt auch Delp als Mitarbeiter gewinnen, was aber Balthasar ablehnte.

Rahner besuchte Delp kurz vor seiner Verhaftung noch in München und erfuhr dabei aus erster Hand über dessen Kontakte mit dem Kreisauer Kreis. "Ich glaube", schrieb er einmal, "dass Delp wirklich zu den Zeugen des christlich-motivierten Widerstands gegen das Unwesen des Nationalsozialismus in erster Reihe gehört."

Der eigentliche Grund der Verurteilung ist der, dass ich Jesuit bin und geblieben bin. (...) Die Atmosphäre war so voll Hass und Feindseligkeit. Grundthese: ein Jesuit ist a priori der Feind und Widersacher des Reiches.

Alfred Delp an seine Mitbrüder

Ordensintern galt Delp als "schwieriger Charakter": Sein aufbrausendes Temperament und eine gewisse Rechthaberei erregten ebenso Anstoß wie etwa sein Zigarrenkonsum. Spannungen mit Augustinus Rösch bestanden nicht erst seit dessen Amtszeit als Provinzial. Zwei Mal schob Rösch die Zulassung Delps zu den Letzten Gelübden auf, die dieser schließlich am 8. Dezember 1944 im Gefängnis, mit gefesselten Händen, in die Hände von Franz von Tattenbach SJ ablegte.

An seine Mitbrüder schrieb Delp am Tag seiner Hinrichtung: "Der eigentliche Grund der Verurteilung ist der, dass ich Jesuit bin und geblieben bin. Eine Beziehung zum 20. Juli war nicht nachzuweisen. Auch die Stauffenberg-Belastung ist nicht aufrechterhalten worden. Andere Strafanträge, die wirklich Kenntnis des 20. Juli betrafen, waren viel milder und sachlicher. Die Atmosphäre war so voll Hass und Feindseligkeit. Grundthese: ein Jesuit ist a priori der Feind und Widersacher des Reiches."

Ironie der Geschichte

Am Tag der Hinrichtung verurteilte Freisler Dietrich Bonhoeffers Bruder Klaus und dessen Schwager Rüdiger Schleicher zum Tod. Am folgenden Tag, dem 3. Februar 1945, wurde während eines anderen Verfahrens Luftalarm ausgelöst. Das Gerichtsgebäude erhielt einen Volltreffer, und Freisler wurde - Ironie der Geschichte - auf dem Weg in den Luftschutzkeller von herabfallenden Trümmern erschlagen.

Delp hatte in seinen letzten Lebensstunden noch gehofft, dass die russischen Truppen in Berlin vorstoßen und ihn befreien könnten. "Kann die Geschichte nicht etwas schneller gehen?", fragte er den katholischen Gefängniskaplan Peter Buchholz. Der wusste darauf keine Antwort. "In einer halben Stunde", sagte Delp daraufhin in Todesangst, "werde ich mehr als Sie wissen."

2003 mussten die Jesuiten das erst 1965 neu erbaute, nach Alfred Delp benannte Schriftstellerhaus in München-Nymphenburg bedauerlicherweise schließen. Die Erinnerung an Alfred Delp ist damit für die Stimmen der Zeit jedoch nicht ausgelöscht. Sein Primizkelch bleibt im Besitz der Redaktion, und jede Jahresklausur beginnt mit einer Messe mit eben jenem Kelch, den Alfred Delp 1937 zum ersten Mal benutzt hat.

Andreas R. Batlogg SJ

Der Autor ist stv. Chefredakteur der Jesuitenzeitschrift "Stimmen der Zeit" in München, zur Zeit arbeitet er als Seelsorger in den USA.

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