Kein Seder für Christen

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Das jüdische Pessachfest und das christliche Ostern liegen gerade hinter uns. Juden zählen nun 50 Tage bis zum Offenbarungsfest Schawuot, Christen zählen 50 Tage bis Pfingsten. Sind wir uns nicht ähnlich? So meinen viele.

Nicht wenige Christen glauben, das jüdische Sedermahl am Vorabend von Pessach gäbe heute noch einen authentischen Eindruck vom Abendmahl, das Jesus mit seinen Jüngern gefeiert hat. Folglich hat sich in Kirchgemeinden eingebürgert, am Gründonnerstag ein Sedermahl auszurichten, um die Pessacherzählung im christlichen Kontext zu erleben: man tue doch nichts anderes als Jesus selbst, der als Jude lebte und betete, und als die Jerusalemer Urgemeinde, die selbstverständlich weiter am Tempelgottesdienst teilnahm.

Dieser Gedankengang verkennt, dass sich das Christentum im Lauf der ersten Jahrhunderte als selbstständige Religion vom Judentum getrennt hat. Getrennt werden sie bleiben, und ihre Gegensätze werden sich auch nicht vereinbaren lassen.

Unser traditionelles Judentum ist auch nicht identisch mit dem Judentum zur Zeit Jesu. Es hat sich in der Spätantike geformt, ebenso wie viele Riten. Die heute verwendete Ordnung des Sedermahls ist jünger als die christliche Abendmahlsüberlieferung. Deshalb bietet der jüdische Seder keine Tuchfühlung mit Jesus, sondern ist in vielen Teilen gerade Ausdruck der Abgrenzung vom Christentum und seiner Umdeutung jüdischer Heilsgeschichte auf Jesus hin. Die Vermischung liturgischer Feiern über Religionsgrenzen hinweg ist also ein hölzernes Eisen. So gut es auch gemeint sein mag, wenn Christen aus romantischer Begeisterung für das Judentum oder auf der Suche nach den eigenen Wurzeln in der Karwoche Pessach feiern: es hat weniger mit Einfühlung denn mit Vereinnahmung zu tun. In der Differenz die eigene Identität aufspüren, ist vielleicht der beste Weg zum Dialog.

Der Autor leitet das Europäische Rabbinerseminar in Potsdam.

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