"Wir brauchen eine Revolution"
70 Jahre und kein bisschen leise: Als weltweit tätiger Meditationslehrer, Autor und Aktivist wurde Christopher Titmuss zur Galionsfigur eines "engagierten Buddhismus" für das 21. Jahrhundert.
70 Jahre und kein bisschen leise: Als weltweit tätiger Meditationslehrer, Autor und Aktivist wurde Christopher Titmuss zur Galionsfigur eines "engagierten Buddhismus" für das 21. Jahrhundert.
Seit fünf Jahren ist ein kurzes Video auf der Internet-Plattform Youtube zu sehen, in dem Christopher Titmuss anlässlich seines 65. Geburtstages große Dankbarkeit für die "Segnungen" seines Lebens zum Ausdruck bringt - und dieses ungewöhnliche Leben in Schlaglichtern Revue passieren lässt: eine glückliche Kindheit im Nachkriegsengland, der erste Job als Zeitungsreporter, die abenteuerliche Reise auf dem Landweg nach Indien, sechs Jahre als buddhistischer Mönch in Thailand, und all das, was danach kam. Heute ist Titmuss, mit unverwechselbar britischem Humor begabt, einer der erfahrensten und bekanntesten buddhistischen Lehrer im Westen.
Zu seinem baldigen 70. Geburtstag kann man sich auf Youtube überzeugen, dass "Christopher", wie er allseits genannt wird, kein bisschen leise geworden ist. Im Gegenteil, die bei ihm stets prononcierte Verbindung buddhistischer Werte wie Weisheit und Mitgefühl mit gesellschaftlichem und politischem Engagement ist im Ton noch eine Spur schärfer geworden. Bereits mit seinem Buch "The Green Buddha"(1995) hatte er spirituell inspiriertes ökologisches Handeln gefordert und eine globale "grüne Vision" deklamiert. Sieben Jahre später kritisierte er im Buch "Transforming Our Terror" die Außenpolitik der USA nach den Terroranschlägen von "9/11". Und der vor drei Jahren entstandene Dokumentarfilm "The Buddha Wallah" begleitete ihn als Vermittler in Krisenregionen des Nahost-Konflikts.
Heute verbreitet er über das Internet den "Aufruf zu einer Revolution" - wobei hier freilich von einer sanften und friedlichen Revolution die Rede ist. Gegen die "Verschmutzungen des globalen Bewusstseins" ist sein Appell gerichtet, gegen das lukrative Geschäft mit jenen menschlichen Neigungen, die gemäß buddhistischer Lehre als Wurzel allen Übels anzusehen sind: Gier, Gewalt und Verblendung. "Im letzten Jahrhundert inspirierte Ghandi eine gewaltfreie Revolution, um die britische Kolonialherrschaft in Indien zu beenden", sagt Titmuss. "Heute brauchen wir eine psychologische Revolution, um die Herrschaft der geistigen Verschmutzungen zu beenden. Unsere mentalen Verfassungen sind zu einem bedrohlichen Schatten über der Erde geworden." Der jüngste Bericht zum Klimawandel, der Ausgangspunkt seines Rundumschlags, scheint diese Einschätzung zu bestätigen.
Zusammenarbeit der Religionen
Gesellschaftliche Missstände auf "Geistestrübungen" zurückzuführen, steht ganz in der Tradition eines sozial und ökologisch "engagierten Buddhismus". Ebenso wie die Einsicht, dass es nicht ausreicht, die Ursachen für Leid und Ungenügen lediglich auf individueller Ebene auszumerzen. Dass sich die moderne Gesellschaft dringend mäßigen sollte und institutionell aus dem Würgegriff der Gier zu befreien ist, predigte schon der thailändische Mönchsgelehrte Buddhadasa, den Titmuss als einen seiner wichtigsten Lehrer ins Treffen führt. Ein Hauptanliegen von Buddhadasa war die Zusammenarbeit der Religionen, um die Welt aus den Fängen des Materialismus zu befreien.
Vieles vom Geist dieser Lehren findet sich bei Titmuss in einem modernen Gewand: Während sich der berühmte Klosterabt für die Aufwertung der Laien im monastisch geprägten Thai-Buddhismus stark machte, interpretiert Titmuss den Begriff der "Sangha", der (Mönchs-)Gemeinschaft, vor dem Hintergrund der Globalisierung jenseits herkömmlicher Grenzen: als Netzwerk von Personen, die sich für die buddhistische Lehre und deren Verwirklichung interessieren, ohne sich dabei zwangsläufig als "Buddhist" zu bezeichnen. Diese weltweit verstreute Interessengemeinschaft wurde in den letzten 40 Jahren zur Zielgruppe seiner Lehrtätigkeit auf vier Kontinenten, nachdem er Mitte der 1970er-Jahre die Mönchsroben abgelegt hatte. Seither zählt "Christopher" zur ersten Generation westlicher Dharma-Lehrer, die die Lehre des Buddha aus asiatischen Dschungelklöstern in europäische und amerikanische Wohnzimmer gebracht haben.
In der Nähe seines Heimatorts Totnes in Südwestengland hat Titmuss das "Gaia House"-Meditationszentrum mitbegründet. Dort widmet er sich der Arbeit an Büchern, Artikeln und seinen Webseiten. Man kann "Christopher" aber auch an seinem Stammplatz im Kaffeehaus treffen oder mit den drei Enkelkindern spielen sehen. Aufgrund seines Terminplans konnte er früher längstens acht Wochen zuhause verbringen, berichtet er über sein Leben auf Wanderschaft.
Bei seinen Meditationskursen in Indien ließ er es sich nicht nehmen, die Meditierenden - gegen buddhistische Konvention - auch einmal die Musik der Beatles lauschen zu lassen. Aber konventionell zu sein, war nie sein Anliegen. Das zeigt er auch heute, als Fürsprecher einer neuartigen Revolution: "Wissen, Liebe und rechtes Handeln dienen dazu, das Unmögliche zu überwinden."