Eine Attacke gegen ökonomische Dogmen

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Der Grazer Wirtschaftsprofessor Heinz D. Kurz stellt die neoklassischen Lehren in Frage.

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Der Grazer Wirtschaftsprofessor Heinz D. Kurz stellt die neoklassischen Lehren in Frage.

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Bahnt sich in der Volkswirtschaftslehre ein Umdenken an? Noch steht das Theoriengebäude der neoklassischen ökonomischen Denker wie ein Block, scheint kaum zu erschüttern. Doch so ganz und gar hinwegfegen konnte das neoklassische (marginalistische) Denken seine klassische Konkurrenz nie. Das Buch "Ökonomisches Denken in klassischer Tradition" von Heinz D. Kurz ist voll brisanter Munition in dieser keineswegs entschiedenen Auseinandersetzung. Die "Aufsätze zur Wirtschaftstheorie und Theoriegeschichte" (Untertitel) des in Graz lehrenden Professors für Volkswirtschaftslehre sind nicht nur zum Teil brillant geschrieben, bestechen durch polemischen Schwung, sondern legen mit einer in diesem Metier ungewöhnlichen Klarheit die Schwachstellen und Widersprüche der neoklassischen Lehren bloß.

Andere sind schwieriger zu lesen oder nur für Mathematiker verständlich, doch dies tut dem Wert dieses Buches keinen Abbruch. Wer die grundlegenden Annahmen der Neoklassik in Frage stellt, rüttelt nämlich an den theoretischen Grundlagen dessen, was heute weltweit wirtschaftspolitische Praxis ist, er rüttelt an den Zielsetzungen der WTO und stellt implizit die Richtigkeit der progressiven Deregulierung in Frage.

Kurz argumentiert überzeugend, was keineswegs bedeutet, daß man in allem übereinstimmen muß. Er weist der marginalistischen Denkrichtung ihre Widersprüche und Ungereimtheiten nach und gelangt zu dem Schluß, daß der große Paradigmenwechsel hin zur Neoklassik, bei dem die Österreichische Schule der Nationalökonomie eine führende Rolle spielte, keinen Fortschritt zu einem tieferen, widerspruchsfreieren, der Wirklichkeit besser gerecht werdenden Verständnis der wirtschaftlichen Vorgänge bedeutet hat.

Diese Distanz zur Neoklassik, zur Österreichischen Schule und zu heute oft gedankenlos heruntergebeteten Dogmen macht dieses Werk auch für jene wertvoll, die sich dem Verfasser nicht anschließen: In der Kontraposition werden die marginalistischen Positionen besonders klar herausgearbeitet. Wer sich dieser Lektüre aussetzt und die Neoklassik nachher nicht über Bord wirft, hat jedenfalls gelernt, sein Gelerntes kritisch zu hinterfragen. Er weiß nicht nur, wo er steht, sondern auch, warum.

Man kann das Buch aber auch als kritische Geschichte des ökonomischen Denkens lesen - anspruchsvoller, mehr in die theoretische Tiefe gehend, doch in der Haltung ähnlich polemisch und erfrischend wie der Klassiker "Dogmen der Wirtschaftswissenschaft" der Keynes-Gesprächspartnerin und "Links-Keynesianerin" Joan Robinson.

Kurzens Botschaft kann etwa so zusammengefaßt werden: Die klassische Denktradition ist nach wie vor besser geeignet, der Wirklichkeit beizukommen. Ihre Denkansätze sind daher keineswegs out. Das kann man unterschreiben - freilich unter dem Vorbehalt, daß die Fragestellungen der Klassiker möglicherweise zum Teil inaktuell geworden sind. Daß die Gefahr besteht, eine Rückkehr zum klassischen Denken könnte den Blick auf die heute notwendigen Fragestellungen, welche die Neoklassik ignorierte, ihrerseits verstellen. Antworten auf die entscheidenden Fragen der Gegenwart sind auch bei den Klassikern nicht zu finden.

Kurz ist einer der viel zu Wenigen, die sich dem in der Volkswirtschaftslehre vorherrschenden Zeitgeist widersetzen. Er weist den Vätern der Neoklassik wie Carl Menger und William Jevons nach, daß sie auf dem Holzweg waren. Das heißt aber leider noch lange nicht, daß sie mit ihrer Absicht, über die Klassiker hinauszugelangen, ebenfalls auf dem Holzweg waren. Wer das Buch "Ökonomisches Denken in klassischer Tradition" liest, kann daher auch zu dem Schluß kommen, daß es heute angezeigt sein könnte, endlich sowohl die klassischen als auch die neoklassischen Prokrustesbetten des ökonomischen Denkens zu verlassen und einen völlig neuen Denkansatz zu entwickeln.

Der Grazer Wirtschaftsprofessor bleibt fest auf dem wissenschaftlichen Boden und unternimmt keinen Schritt in die Minenfelder, in die jeder gerät, der nicht nur über Schlüssigkeit, Richtigkeit oder Unrichtigkeit wissenschaftlicher Anahmen spricht, sondern auch über die ökonomischen, sozialen und politischen Folgen, die eintreten können, wenn sich die Politik auf falsche Annahmen stützt. Darüber darf der Leser selbst nachdenken. Ihn geht das Ganze ja an, denn er bekommt die Folgen zu spüren.

Ökonomisches Denken in klassischer Tradition. Aufsätze zur Wirtschaftstheorie und Theoriegeschichte von Heinz D. Kurz. Metropolis Verlag, Marburg 1998. 592 Seiten, Ln., öS 583,-/e 42,36

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