14_S.168_Woody Allen_ - © Photofest (Orion)  - Woody Allen in "Schatten und Nebel" (1991)

Happy Birthday, Woody Allen!

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Am 1. Dezember wird der Stadtneurotiker 80 Jahre alt. Sein Werk, dem er bis heute jährlich einen Film hinzufügt, kann taxfrei als "Jahrundert-Œuvre" tituliert werden.

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Am 1. Dezember wird der Stadtneurotiker 80 Jahre alt. Sein Werk, dem er bis heute jährlich einen Film hinzufügt, kann taxfrei als "Jahrundert-Œuvre" tituliert werden.

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Keine Überraschung, dass auch Franz Kafka in seinen Regie-und Drehbuchhänden leinwandtauglich wurde: "Schatten und Nebel", gleichermaßen Hommage auf die Persiflage von Kafkas "Prozess" aus dem Jahr 1992, gehört nicht zu den bekanntesten Filmen von Woody Allen. Aber zu jenen, die neben literarischen auch jede Menge filmhistorische Anklänge aufweist - an Friedrich Wilhelm Murnaus "Nosferatu" wie an Fritz Langs "M - Eine Stadt sucht einen Mörder".

Und das Bild des kleinen Angestellten Max Kleinmann in einer europäischen Stadt der 1920er-Jahre, den Woody Allen hier spielt: Wie er vom Schatten eines Würgers, den die ganze Stadt jagt, bedroht wird, ist einmal mehr ein Beispiel verlorener Existenz, die in Woody-Allen-Filmen so prototypisch Wirklichkeit zu werden scheint. Und das immer an der Grenze zwischen Komik und Tragödie angesiedelt: Auch Max Kleinmann ist ein Schlemihl, der schließlich selber in den Verdacht gerät, der gesuchte Mörder zu sein. Dass in diesem Film auch ein ganzes Ensemble von damals jugendlichen Stars versammelt ist - neben Mia Farrow, die sich vom Lebensgefährten Woody Allen wenig später fast gemäß einem seiner Filmdrehbücher trennen wird, John Cusack, John Malkovich, Jodie Foster oder auch Popstar Madonna -zeigt, wie gewaltig die Anziehung dieses Filmgenies war.

Filmemacher, der sich vieles traute

Ein weiterer Blick in die filmhistorischen Taten des "Stadtneurotikers" (so sein Markenzeichen-Filmtitel aus 1977) zeigt, was sich Woody Allen alles traute. Ob es ein Kinoheld war, der aus einem Film von der Leinwand herunter in den Kinosaal steigt, um einer verlorenen Seele ein wenig Liebe zu schenken ("The Purple Rose of Cairo", 1985) oder "Zelig"(1983), wo Woody Allen in einer "Mockumentary", also einem vorgeblichen Dokumentarfilm, den Oberanpassler Leonard Zelig spielt, der sogar in Wochenschauaufnahmen mit Adolf Hitler hineinmontiert wurde: viele dramaturgische, aber auch filmtechnische Ideen wurden durch Woody Allen Wirklichkeit. Er ließ in "Harry außer sich"(1997) Robin Williams eine Figur spielen, die nicht nur in der Fantasie, sondern auch im wirklichen Leben unscharf ist, und in "Melinda und Melinda"(2004) wird im selben Film die gleiche Ausgangsszene benutzt, um die Handlung dann als Komödie und als Tragödie weiterzuentwickeln.

Derartige innovative Zugänge findet man in Woody Allens Filmen zuhauf, wie schon die schiere Frequenz seiner Filme seit 1965 -einer pro Jahr bis zum heutigen Tag - rekordverdächtig bleibt. Auch die Präsenz von Dr. Freud und der Psychoanalyse sind ebenso beständiges "Requisit" dieser Filme wie die Unwirtlichkeiten urbanen, zumeist New Yorker Intellektuellentums. Und dass in einem Gutteil der Opera auch das Judentum spezifisch zum Ausdruck kommt, gehört gleichfalls in den Kosmos dieses Jahrhundert-Œuvres.

Wenn es nicht zu abgeschmackt klänge, könnte man die Biografie von Woody Allen als typischen Woody-Allen-Film charakterisieren. Das fängt bei den Eltern an, über deren Ehe Woody Allen erzählt: "In den ersten 20,30 Jahren standen sie jede Nacht kurz vor der Trennung. Es war phänomenal" - was sich durchaus lebenskräftig auswirkte: der Vater starb mit 100, die Mutter mit 95 Jahren. Und es endete sicher nicht beim Rosenkrieg mit Lebensgefährtin Mia Farrow 1992, der erklärt wurde, als die Schauspielerin draufkam, dass Woody Allen ein Verhältnis mit ihrer damals 20-jährigen Adoptivtochter Soon-Yi begonnen hatte.

Vor allem um den Werdegang des jungen Allen Konigsberg, der 1935 in New York geboren wurde und sich dann, damit er in der Schule ob seiner hin und wieder veröffentlichten Gags nicht gehänselt wurde, Woody Allen nannte, kennenzulernen, ist die Lektüre des auch prachtvoll bebilderten Bands "Woody Allen. Seine Filme, sein Leben" von Tom Shone zu empfehlen -vom schüchternen Gag-Schreiber zum Stand-Up Comedian bis zum Filmemacher-Autodidakten. Auch jeder einzelne Film dieses Meisters wird hier in Hintergrundinformationen dargestellt und regt zum Nachsehen vieler, lang nicht gesehener Opera an.

Spitzenfilm unter Spitzenfilmen

Gibt es in diesem monumentalen Gesamtwerk so etwas wie einen "Spitzenreiter"? Für den Rezensenten hat der 1989 gedrehte Streifen "Verbrechen und andere Kleinigkeiten" das Zeug dazu - und jedenfalls alles an sich, was einen Woody-Allen-Film ausmacht: eine Kriminalgeschichte, die nicht so endet, wie es ein Krimi tut; ein erfolgloser Dokumentarfilmer als ein Protagonist (dargestellt natürlich von Woody Allen), der mit einem Erfolgreichen seiner Zunft nicht zu Rande kommt; ein Rabbi, der gottesfürchtig lebt, aber von Gott gestraft scheint (er erblindet langsam). Und ein Mörder, der ebendieser Strafe entkommt.

Woody Allen hat die Dostojewski'sche Frage nach Verbrechen und Strafe auch in späteren Filmen wiederholt thematisiert - 2005 in "Match Point", ein Jahr später in "Scoop" oder auch in seinem jüngsten Opus "Irrational Man" (vgl. FURCHE 46/2015). Aber die Verdichtung, wie sie in "Verbrechen und andere Kleinigkeiten" erscheint, ist unerreicht.

Dieser Film erzählt auch von einem jüdischen Philosophen namens Louis Levy, über den Filmemacher-Schlemihl Cliff Stern (Woody Allen) eine Dokumentation dreht. Aus der wird aber nichts, weil der alte Weise Selbstmord begeht - und so das Filmporträt, an dem Cliff arbeitet, obsolet macht.

Doch bei diesem unfertigen Film im Film "Verbrechen und andere Kleinigkeiten" beschreibt Professor Levy ein "Paradox", das darin besteht, "dass wir, wenn wir uns verlieben, alle oder einige der Menschen wiederfinden wollen, mit denen wir in unserer Kindheit verbunden waren. Andererseits bitten wir unsere Geliebten darum, all das Unrecht, das uns unsere Eltern oder Geschwister angetan haben, wieder gutzumachen. Damit beinhaltet Liebe einen Widerspruch in sich. Den Versuch, in die Vergangenheit zurückzukehren, und den Versuch sie wieder aufzuheben "

Auch für solche wahren Sätze muss man Woody Allen lieben. Bis zum heutigen Tag.

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