Gastfreundschaft schlägt schnell in Verachtung um

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Eine Biologin erfüllte sich den Kindheitstraum einer Wanderung durch den Jemen.sdfsdf

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Eine Biologin erfüllte sich den Kindheitstraum einer Wanderung durch den Jemen.sdfsdf

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Von Kindheit an hatte die Buchautorin und Dokumentarfilmerin Carmen Rohrbach von Abenteuern in fernen Ländern geträumt. Die Berichte von Missionaren und Weltreisenden faszinierten sie, doch lag die Realisierung ihrer Träume in der hermetisch abgeriegelten DDR in weiter Ferne. So schwamm sie nach dem Biologiestudium erst einmal über die Ostsee in die Freiheit, um am Kilimandscharo zu kampieren, durch die Anden zu wandern, an einer Himalaya-Expedition teilzunehmen und ein Jahr lang auf den Galapagos-Inseln Echsen zu erforschen. Sie suchte nicht nur Grenzerfahrungen, sondern auch die Einsamkeit. Doch ihr größter Traum, allein durch den Jemen zu wandern, schien zunächst unrealisierbar. Als Frau in einem arabischen Land herumzureisen, das noch dazu von undurchschaubaren Stammesfehden und politischen Unruhen heimgesucht war, schien zu gefährlich.

Als sie in Sana'a, der "goldenen Stadt" des Jemen, landet, um die arabische Sprache zu erlernen und die arabische Lebensart zu beobachten, nimmt ihr alter Traum wieder konkrete Gestalt an. Sehr herzlich wird sie von jemenitischen Frauen aufgenommen, mit ihrer Hilfe kann sie das Leben hinter den abweisend hohen Mauern der Häuser kennenlernen.

In der Öffentlichkeit traditionell schwarz verschleierte Frauen entpuppen sich bei Frauentreffen als elegant gekleidete Damen mit kostbaren Schmuckstücken und emanzipatorischen Ideen. Nicht der Schleier ist das Problem dieser Frauen, sie tragen ihn mit Selbstbewußtsein und als "Schutz", doch sie engagieren sich gegen streng islamische Rechtsgepflogenheiten, wonach Kinder praktisch das Eigentum des Ehemannes sind, wenn eine Ehe geschieden wird, und für eine bessere Schulbildung der Mädchen.

Mit zunehmenden Sprachkenntnissen erfährt sie in der Familie ihrer besten Freundin von der Verehrung Saddam Husseins und erlebt die extrem feindselige Gesinnung gegenüber Israel. Sie merkt, daß man zwar von Jemeniten herzlich aufgenommen wird, aber schon ein falsches Wort über Politik oder Religion genügt, und die Gastfreundschaft schlägt in Verachtung und Wut um. Sie wird extrem vorsichtig, denn was in der Hauptstadt Sana'a möglich und üblich ist, gilt nicht für ländliche Gegenden oder Provinzen, die von Stammesführern praktisch auf eigene Faust regiert werden.

Schließlich gelingt es Carmen Rohrbach, mit zwei Begleitern eine Kameltour zu organisieren, die sie von Al Bayda bis ins Wadi Hadramaut führt. Auf dem mehr als tausend Kilometer langen Fußmarsch - die Kamele tragen das Gepäck - erlebt sie mehr als die erträumten Abenteuer. Extreme Hitze und Kälte, ihre Kalaschnikow schwenkende Beduinen, gastfreundliche Frauen, unverschämte Forderungen von Reiseführern, ihr übersensibles Kamel, das einmal in Panik die Flucht ergreift, und Beduinenkinder im Südjemen, die sie mit "die Russen kommen" begrüßen, weil das bis dahin die einzigen Fremden waren, die hier aufgetaucht sind. Dazu kommen jede Menge Probleme mit Behörden und offiziellen Reisepapieren, denen sie sich schließlich entzieht, indem sie all ihre Begleiter abwimmelt und den letzten Abschnitt ihres Marsches allein zurücklegt.

Die kargen, eindrucksvollen Berglandschaften aus Lavagestein, die Wüsten und alten jemenitischen Siedlungen begeistern sie, auch wenn sie traurig zur Kenntnis nehmen muß, daß auch hier die reichverzierten Häuser zunehmend von Betonklötzen und Kamele durch allradgetriebene Landrover ersetzt werden. Auf den Spuren der alten Weihrauchstraße findet sie die Ruinen der einst pulsierenden Hafenstadt Qana, doch viele biblische Legenden sind noch lebendig. In Azzan, dem angeblichen Heimatort der Heiligen Drei Könige, verweist man stolz auf diese. Abel und Kain sollen in Aden gelebt haben, wo man auch den biblischen Garten Eden vermutet. Die geheimnisvolle schöne Königin von Saba, von Einheimischen Bilqis genannt, bleibt eine Legende. In Marib soll sie vor 3.000 Jahren klug geherrscht haben - doch Beweise wurden bis heute nicht entdeckt. In Shibam, der "Wolkenkratzerstadt der Wüste", die für viele Entdeckungsreisende der letzten Jahrhunderte ein Traumziel war, endet die abenteuerliche Tour für Carmen Rohrbach und El Wasim, ihr Kamel.

Der Reisebericht über diese Expedition ist eher ein Reisetagebuch, in dem die Autorin die äußeren Ereignisse zum Anlaß nimmt, ihre Gedanken und Gefühle festzuhalten. Denn schließlich ist sie nicht nur auf der Suche nach Abenteuern, sondern - daran läßt sie keinen Zweifel - auf der Suche nach sich selbst. Doch dabei erfährt man viele interessante Details über Land und Leute, über die Geschichte des Jemen, seine Kultur und seine religiösen Traditionen. Darüber hinaus schildert Carmen Rohrbach die Menschen mit Respekt und Distanz, spiegelt westliche, moderne Lebensgewohnheiten vor diesem Hintergrund, bleibt stets intuitive Beobachterin und wird nie eine selbsternannte überhebliche "Kennerin" dieses fremden, geheimnisvollen Landes.

Sehr individuell, sehr weiblich, sehr arabisch und doch mit westlichem Blick, ist dieses Buch für Jemenreisende in jedem Fall empfehlenswert, die sich diesem Land nicht nur wie der übliche Tourist annähern wollen. Auch wenn die Autorin ausdrücklich von ihrer Art der Individualreise warnt, die im Jemen noch immer sehr gefährlich werden kann, macht ihr liebevoller Bericht doch Lust, den Jemen, seine Menschen, Landschaften, Speisen, Gerüche und Stimmungen einmal selbst kennenzulernen.

IM REICH DER KÖNIGIN VON SABA Auf Karawanenwegen im Jemen Von Carmen Rohrbach Frederking & Thaler, München 1999 198 Seiten, geb., öS 313,- e 22,74

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