Komplex aufgeladene Fotografien

19451960198020002020

Der kanadische Fotograf Jeff Wall zeigt im Kunsthaus Bregenz 34 seiner "Tableaux Pictures Photographs" aus den letzten 17 Jahren. Die kunstvoll arrangierten Szenen wirken bei genauerem Betrachten viel hintergründiger als auf den ersten Blick.

19451960198020002020

Der kanadische Fotograf Jeff Wall zeigt im Kunsthaus Bregenz 34 seiner "Tableaux Pictures Photographs" aus den letzten 17 Jahren. Die kunstvoll arrangierten Szenen wirken bei genauerem Betrachten viel hintergründiger als auf den ersten Blick.

Werbung
Werbung
Werbung

Jeff Wall ist ein absoluter Superstar. Vier Mal hatte er bei der documenta spektakuläre Auftritte, das New Yorker MoMA hat ihm eine Personale ausgerichtet. Die "Tableaux Pictures Photographs", die der 68-Jährige ins Kunsthaus Bregenz gehängt hat, kommen in ihrem raffinierten Dialog mit der Zumthor'schen Architektur wie eine einzige riesige Installation daher, seien ein "Fortsetzungsroman in Einzelbildern", wie der Künstler im Interview mit dem Direktor des Hauses, Yilmaz Dziewior, meint.

Aufregend stille Bilder

Die Fotografie ist das Medium von Wall, das "richtige Bild" das, worum es ihm geht. Was allerdings nicht unbedingt mit einem Abbilden der Wirklichkeit zu tun haben muss. Denn obwohl Walls großformatige Tableaus auf den ersten Blick bisweilen leichtfüßig daherkommen, ist hier nichts zufällig. Jedes Detail ist aufwändig konstruiert, komplex aufgeladen mit Emotionen, verdichtet zu tiefen Bildern, deren Suggestion sich der Betrachter kaum zu entziehen vermag.

Die 34 Bilder -Jeff Wall bezeichnet sie lieber als Diven -die nun in Bregenz und in modifizierter Form auch im Amsterdamer Stedelijk und Humlebæker Louisiana Museum gezeigt werden, sind in den letzten 17 Jahren entstanden. Wobei sich Stockwerk für Stockwerk die sinnlichen Eindrücke steigern: Angefangen bei strengen Schwarz-Weiß-Bildern über Farbfotografien bis zu den opulenten Leuchtkästen ganz oben.

Worum es praktisch immer geht, ist die "condition humaine". Zelebriert in aufregend stillen Bildern, in denen sich vordergründig wenig, in Wirklichkeit aber sehr viel abspielt. Vorgeführt als fantastisches Spiel mit dem Licht, mit Hell und Dunkel, mit Farben und Formen. Eingesetzt als Metaphern für das Existenzielle menschlichen Seins in einem fast filmischen Sinn. Was den Bildern oft die Anmutung von Momentaufnahmen verleiht, bei denen im entscheidenden Moment die Zeit angehalten worden ist. Etwa in dem Bild, in dem ein Knabe gerade von einem Baum fällt. Die Schaukel, die an einem Ast hängt, steht still, die einzige Bewegung suggeriert der in dramatischer Pose Stürzende. Die Idylle bekommt auf diese subversiv vorgeführte Dramatik Risse, die Kindheit ist zu Ende, Bedrohung allgegenwärtig.

Gesellschaftspolitische Dimensionen

Ein anderes der rund 300 Kilogramm schweren Tableaus zeigt Mies van der Rohes Deutschland-Pavillon bei der Weltausstellung in Barcelona 1929. Allerdings bevor die Besuchermassen die in wunderbares Licht getauchten Hallen stürmen. Diese nochdem Reinigungspersonal gehören, was den Kontext kippen lässt, eine gesellschaftspolitische Dimension ins Spiel bringt.

Wie Jeff Walls Bilder generell viel über den Zustand unserer Welt erzählen, Fragen stellen. Bisweilen in surreal mehrdeutigen Ambienti. Wenn er etwa ein offenes Grab zeigt, das mit der Fauna des Meeres gefüllt ist. Dass ein Sujet wie dieses raffiniert konstruiert sein muss, liegt auf der Hand. Und ist es auch. Technisch perfekt mit Hilfe des Computers zusammengesetzt aus diversen Einzelteilen zu einem neuen Ganzen.

Banalität menschlicher Existenz

Aber auch scheinbar ganz normale Szenen des Alltags interessieren Jeff Wall, indem er in Wohnungen blickt, Boxende, Wartende, Flüchtende, Herumirrende, Monologisierende und Schlafende beobachtet. Die offensichtliche Ästhetik, mit der hier die Banalität bzw. Tristesse menschlicher Existenz ausgebreitet wird, verblüfft genauso wie in Bildern, die ganz in der Manier barocker Stillleben mit der Kamera gemalt zu sein scheinen. Oder -wie das Diptychon "Summer Afternoons" - trotz der Intimität der Szenarien schrill inszeniert sind. Erzählend von Einsamkeit, Ausgesetztheit, Verletztheiten der Seele.

Größer könnte der Kontrast zu Jeff Walls bildhafter Opulenz nicht sein wie bei dem, was die junge Schweizer Performerin Hannah Weinberger aus der KUB-Arena im Erdgeschoss des Kunsthauses gemacht hat. Indem hier praktisch nichts zu sehen ist, außer einem Mikrofon mit einem Knopf. Drückt man diesen, kann sich der Besucher mit Tönen welcher Art auch immer einbringen. Mit dem Ziel einer sich entwickelnden, wie die Künstlerin hofft, zunehmend komplexer werdenden, letztlich den Raum füllenden Toninstallation.

JEFF WALL

Tableaux Pictures Photographs. 1996-2013

Kunsthaus Bregenz, bis 11. Jänner Di-So 10-18, Do bis 21 Uhr www.kunsthaus-bregenz.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung