"Wenn ich nach Pest komme"

Werbung
Werbung
Werbung

Ein kürzlich aufgefundener und hier erstmals veröffentlichter Brief Ödön von Horváths wirft ein neues Licht auf seine Beziehungen zu Ungarn.

Ödön von Horváth besaß die ungarische Staatsbürgerschaft seit seiner Geburt in Fiume (heute Rijeka) im Jahr 1901, fühlte sich jedoch in Ungarn, wo er zur Schule gegangen war, nie zu Hause. Er verstand sich als deutscher Schriftsteller und lebte seit 1924 in Berlin, wo er auch seinen ersten Theatererfolg erlebte. Nach der Machtübernahme der Nazis übersiedelte er 1933 nach Österreich. "Ich habe keine Heimat und leide natürlich nicht darunter, sondern freue mich meiner Heimatlosigkeit, denn sie befreit mich von einer unnötigen Sentimentalität", hielt er einmal fest. Dennoch kehrte er mehrmals "nach Hause" zurück. So schrieb er am 25. November 1937 aus Henndorf bei Salzburg an den ungarischen Kritiker, Schriftsteller und Mäzen Lajos von Hatvany: "... und ich danke Ihnen für die Einladung, über die ich ganz gerührt bin, denn ich bin ein perverser Mensch und möchte gerne wiedermal nachhaus, auch wenn ich deutsch schreibe."

Horváths Ungarn-Reise

Der jüngst aufgefundene und hier erstmals veröffentlichte Brief Horváths vom 2. März 1938 steht in Zusammenhang mit dieser lange geplanten Reise. Durch den Anschluss Österreichs wurde sie jedoch fast zur Flucht: In der Nacht von 13. auf 14. März 1938 fuhr Horváth mit einem Bus nach Budapest, wo ihm das kleine Palais des Ehepaars Hatvany für etwa zwei Wochen Sicherheit bot. Er überlegte die Möglichkeit der Emigration, fand Ungarn aber dann doch nicht geeignet für einen Daueraufenthalt. Er misstraute den Behörden des autoritären Horthy-Regimes und konnte sich wegen dessen Sympathien für Nazi-Deutschland nicht sicher fühlen. Deshalb nahm er die Einladung der tschechischen Schauspielerin Lydia Busch, in die Tschechoslowakei zu übersiedeln, an; so wurde für kurze Zeit Teplitz-Schönau sein nächster Wohnsitz. In dieser Zeit plante er den Roman "Adieu, Europa!", wie wir aus einem Brief an Franz Theodor Csokor wissen.

Das Sensationelle des neuen Horváth-Briefes liegt darin, dass bis jetzt überhaupt kein vollständiger Brief von ihm auf ungarisch bekannt ist. Öfters schrieb er für die Baronin Hatvany einige Sätze auf ungarisch, wobei er gelegentlich die Frage hinzufügte: "Ist das richtig ungarisch?" Außer den Grußkarten des Schülers an seine Eltern und den Briefen an das Ehepaar Hatvany hinterließ er die Spuren seiner Ungarischkenntnisse nur auf einigen Notizen, Strukturplänen und Entwürfen, die er bei der Entstehung seiner ungarn-bezogenen Dramen geschrieben hat. Die perfekte Orthografie und die richtige Handhabung der formellen Redeweise in diesem Brief zeigen, dass er in der ungarischen Sprache doch mehr zu Hause war, als bislang vermutet wurde.

Der Ansprechpartner, ErnoÝ Traeger, den Horváth in diesem kurzem Brief fünfmal mit dem Titel "mein hochgeschätzter Herr" auszeichnet, hat eine interessante Biographie: 1887 in Pinkafeld geboren, studierte er Rechtswissenschaft in Budapest und bekam eine Stelle als Referent der ungarischen Presseangelegenheiten im k.u.k. gemeinsamen Finanzministerium und als Sekretär des ersten Sektionschefs. In dem bekannten Buch von Ernst Trost "Das blieb vom Doppeladler" steht folgende Szene über ihn: "Träger, ich habe Ihnen eine Audienz beim Kaiser versprochen. Das kann ich Ihnen nicht mehr erfüllen. Ich kann Sie nur zu unserem toten Kaiser führen!" - sagt Ministerpräsident Ernest von Koerber, der ihn schon früher zu einer Audienz beim Kaiser führen wollte, zu ihm. Nach dem Zerfall der Monarchie wurde Traeger unter dem Horthy-Regime dem ungarischen Ministerpräsidium zugeteilt, wo er als Beauftragter der ungarischen Seite in der internationalen Grenzziehungskommission Österreich-Ungarn (1921-1924) arbeitete und vehement für den Verbleib Ödenburgs bei Ungarn kämpfte. Als Horváth seinen Brief an ihn adressierte, war er Sektionsleiter im Propagandaministerium in Budapest.

Traeger und Österreich

Zu Kriegsende 1945 flüchtete Traeger nach Bayern. Nach dem Krieg entschied er sich für die Rückkehr nach Ungarn, wurde aber an der ungarischen Grenze festgenommen und in einem Lager interniert. Im Prozess vor einem Volksgerichtshof wurde er in seiner Eigenschaft als Beamter der ungarischen Regierung bis 1945 der Kollaboration mit Hitler-Deutschland angeklagt, aber freigesprochen. Trotzdem wurde er seines Amtes enthoben. Obwohl ihm 1956 die Flucht ermöglicht worden wäre, blieb er in Ungarn. Ein Jahr später stellte er aber doch ein Einwanderungsgesuch nach Österreich, welches von den österreichischen Behörden positiv beschieden wurde. Auf der Eisenbahnfahrt nach Wien wurde er jedoch von der ungarischen Staatssicherheitsbehörde kontrolliert und es wurde ihm die Ausreise trotz gültigem Visum verboten. Er starb 1971 in Vác.

Die in Hartberg lebende Großnichte von ErnoÝ Traeger, Frau Nora Fleckl, hat in Pinkafeld am Dachboden des Familienhauses den Brief Horváths gefunden. Er lag unter Briefen mehrerer bedeutender ungarischer Schriftsteller und Persönlichkeiten. Dass man nach fast 70 Jahren und so zufällig auf archivarische Schätze dieser Dimension stoßen kann, zeigt auch, dass diejenigen, die sich mit literarischen Manuskripten beschäftigen, nicht nur Geduld und Leidenschaft für ihre Arbeit haben müssen, sondern gelegentlich auch viel Glück. Ohne das Interesse und die Bereitschaft von Nora Fleckl, die die Geschichte ihrer Familie rekonstruieren und die Dokumente der vergangenen Zeit ordnen will, könnten die Lebensgeschichten von Horváth und Traeger nicht in dieser Zeitung aufeinander treffen.

Sensationeller Zufallsfund

Die Sensation dieses Briefes liegt nicht nur in seiner Sprache, sondern auch das Datum ist von besonderer Bedeutung. Danach hat Horváth nämlich nur noch wenige Briefe verfasst. Nachdem er Teplitz-Schönau Ende April 1938 verlassen hatte, führte sein Weg über Budapest, Triest, Venedig, Mailand und Zürich - er "umrundete" das nationalsozialistische Deutsche Reich - nach Amsterdam. Dort besprach er in dem bekannten Exil-Verlag Allert de Lange die Ausgabe des Romans "Ein Kind seiner Zeit" - er erschien im September 1938. Am 28. Mai traf er in Paris ein, wo er unter anderem die Verfilmung seines Romans "Jugend ohne Gott" besprechen und seinen französischen Übersetzer kennen lernen wollte. Am 1. Juni 1938 verunglückte Horváth.

Der um 14 Jahre ältere ErnoÝ Traeger hatte damals noch 33 Lebensjahre vor sich. Seine Lebensgeschichte eröffnet seit April die Dauerausstellung im Erdgeschoß des Burgenländischen Landesmuseums, in der die Biografien von acht ausgewählten Persönlichkeiten die Geschichte dieses Bundeslandes illustrieren. Diese acht Personen verbindet Burgenland als Ort ihrer Herkunft, ihrer Vertreibung oder als (neue) Heimat. Traeger wird mit wertvollen ungarischen Büchern, Briefen, Gedichten und persönlichen Objekten vorgestellt.

Burgenländisches Landesmuseum

7000 Eisenstadt, Museumgasse 1-5

Tel. 02682/600/1234

Di- So 9-17 Uhr

Die Autorin arbeitet in Wien an einer Dissertation über Ödön von Horváths Beziehungen zu Ungarn.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung