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Die Brücke — Symbol der Versöhnung

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Schott seit den Tagen der Völkerwanderung kommt dem Donauraum für das Abendland schicksalhafte Bedeutung zu, sind doch all die Landstriche — Ebenen und Bergmassive —, die durch den Donaustrom und dessen Zuflüsse erschlossen werden, Pforten zwischen Ost und West; einst waren sie Einfallstore für Hunnen und Türken, Ausfallswege für die Kreuzheere und die Armeen Prinz Eugens, aber nach all den kriegerischen Auseinandersetzungen bot der Donauraum naturgemäß auch die Möglichkeit einer engen Berührung verschiedener Völker, Stämme und Konfessionen. In diesem Sinn war auch die alte Donaumonarchie in Friedenszeiten ein Abbild von Pan-Europa im kleinen. Unter den gleichen Gegebenheiten entstand auf dem Balkan durch die Begegnung östlicher und westlicher Machtfaktoren, durch das Ineinandergreifen morgenländischer und abendländischer Kultureinflüsse auf allerengstem Rahmen, nämlich im bos-nisch-herzegowinischen Bergland, ein in seiner Vielfalt geradezu phantastisch anmutendes Völker gemiscji. So wurde Bosnien ein Schmelztiegel der Nationen und Konfessionen, reich an Traditionen und ebenso reich an historischen Erinnerungen. Leidenschaftliche Liebe und abgründiger Haß erfaßten die Bewohner dieses unwegsamen Berglandes mit der elementaren Kraft von Naturgewalten. Die Lieder der Guslaren und die Totenklagen galten dem mitleidlosen Existenzkampf der Bevölkerung inmitten einer von Feinden bedrohten Welt.

Abgesehen von dieser Volkspoesie gab es in Bosnien bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts kaum eine Dichtung, der mehr als regionale Bedeutung zugekommen wäre. Doch mit Ivo Andric, der am 10. Oktober 1892 — also vor rund sieben Jahrzehnten — in Travnik geboren wurde, ist Bosnien ein Dichter erstanden, dessen Aussage weit über die Grenzen seiner engeren und weiteren Heimat hinaus Gehör gefunden hat. Denn Ivo Andric, einer Familie entstammend, die sich seit Generationen durch das Goldschmiedehandwerk, vor allem durch Filigran- und Ziselierarbeiten, ihren Lebensunterhalt verdiente, vermochte und vermag in seinen epischen Werken das Schicksal der stets aufs neue von Stammesfehden und Kriegen heimgesuchten bosnischen Bevölkerung mit so faszinierender Wirklichkeitstreue und derart sublimiertem Realismus darzustellen, daß man in allem und }edem den metaphysischen Hintergrund erspürt. Und deshalb wurde Ivo Andric, dem Rhapsoden Bosniens, als erstem jugoslawischen Dichter im Vorjahr der Nobelpreis verliehen.

Schon in seiner Jugend befaßte sich Andric mit historischen Studien, er besuchte die philosophischen Fakultäten in Agram, Wien und Krakau, schließlich promovierte er 1923 in Graz auf Grund einer Dissertation über ein Thema aus der Geschichte Bosniens. In die Heimat zurückgekehrt, schlug Andric die diplomatische Laufbahn ein. Bei Ausbruch des zweiten Weltkrieges war er Gesandter des Königreiches Jugoslawien in Berlin. Als sein Land von deutschen Truppen besetzt wurde, schied Ivo Andric aus dem diplomatischen Dienst aus, ließ sich in Belgrad nieder und widmete sich seinem literarischen Schaffen. In den Kriegsjahren entwarf und vollendete Andric, der schon vorher eine Reihe von Novellen und Essays verfaßt hatte, seine breitangelegten Romane, vor allem das Werk „Wesire und Konsuln“, eine Chronik von Travnik zur Zeit der napoleonischen Kriege. In dieser Epoche, so berichtet der Chronist, begegnen dem österreichischen und dem französischen Konsul in Travnik Beamte und Händler, Mönche, Kurpfuscher und Ärzte. Unter ihnen, mögen es nun Muselmanen, Katholiken, Juden, Orthodoxe oder Zigeuner sein, gibt es skurrile Träumer, Durchschnittsmenschen, Idealisten, Fanatiker und Schwärmer. In der Gestalt eines Grenzeroffiziers wird der Geist Altösterreichs lebendig, und ein greiser Levantiner, der Doktor Cologna, findet inmitten einer von Mißgunst und Haß zerrissenen Welt Worte der Versöhnung: „Am Ende, am wirklichen und endgültigen Ende wird doch alles gut werden, auch wenn jetzt hier alles ungereimt und hoffnungslos verworren aussieht . . . Kein einziger menschlicher Gedanke, keine Geistesmüh geht verloren . . . Wir werden uns finden und einander verstehen.“ Andrii ist es gegeben, die Abgründe der Seele zu erhellen und das Leid der menschlichen Kreatur auszuloten. In visionären Bildern von symbolischer Kraft, wie im Roman „Die Brücke über die Driua“ und in der Erzählung „Die Brücke über die Zepa“, weist der Autor auf jene im Unsichtbaren wirkenden Mächte hin. die über Mißverständnisse hinweg Brücken von Mensch zu Mensch bauen

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