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Jugoslawische Erzähler

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GESICHTER. Sämtliche Erzählungen. Von Ivo A n d r 1 c. Bd. III. Carl-Hanser-Verlag, München, 1961. 421 Selten. Preis Leinen 23.80 DM, brcschlert 11.90 DM. — DIE SPATZEN VON VAN FE. Roman. Von Erich K o s c h. Claassen-Verlag, Hamburg, 1964. 185 Selten. Preis 14.80 DM.

Nach der Veröffentlichung der drei großen Romane des jugoslawischen Nobelpreisträgers unternahm der Hanser-Verlag die Publikation einer Gesamtausgabe der Erzählungen von Ivo Andric, von der jetzt der letzte, dritte Band vorliegt. Wie immer bei Andric ist auch hier seine engere Heimat Bosnien Schauplatz der Geschehnisse. Im ersten Band der Erzählungen war es das Bosnien während der Türkenherrschaft; der zweite Band enthielt Geschichten, die in der sie ablösenden österreichischen Epoche nach 1878 spielten, und diesmal schildert der Autor Menschen und Ereignisse der jüngsten Vergangenheit, Schicksale aus den letzten fünfzig Jahren, einem Zeitabschnitt also, in dem Jugoslawien, abgesehen von dem Zwischenspiel der deutschen Besetzung, als unabhängiger Staat existiert.

Der politisch-historische Hintergrund spielt im Leben von Andric' Gestalten von jeher eine wichtige

Rolle. Da ist jene letzte Erzählung des zweiten Bandes, „Die Rzavaer Berge“, in der er noch einmal von den Heimsuchungen des Grenzlandes Bosnien zwischen West und Ost erzählt. Die Geschichte endet mit dem Satz: „So wurde nach und nach alles Fremde ausgelöscht wie eine falsche Rechnung. Nur die Berge waren geblieben und standen wie seither da, bewachsen und bearbeitet, in Erwartung einer besseren Zukunft.“

Hat diese Hoffnung sich erfüllt? Nun, die spannunggeladene Atmosphäre jenes Landes, die das Wesen seiner Menschen beeinflußt, ist geblieben. In dem bitteren „Brief aus dem Jahre 1920“ schreibt ein junger jüdischer Arzt an seinen Schulkameraden, daß er Bosnien verlasse, weil es ein Land der Angst und des Hasses sei, verheert von einem Haß, der als selbständige Kraft auftritt und in sich selbst sein Ziel findet. „Doch kann man ebensogut sagen, daß es wenige Länder gibt, in denen man soviel festen Glauben, soviel erhabene Beständigkeit des Charakters, soviel Zärtlichkeit und leidenschaftliche Liebe, soviel Gefühlstiefe, Anhänglichkeit und unerschütterliche Ergebenheit und soviel Hunger nach Gerechtigkeit finden kann.“

Davon ist' in diesem Buch die Rede: von den hellen und dunklen Seiten des Landes Bosnien und seiner Menschen. Von Männern und Frauen, die schlicht und einfach den Pflichten des Alltags zu genügen versuchen und darin den Sinn des Lebens finden; von Gestrandeten, in denen jahrhundertealtes Elend wach wird; und von Menschen auch, die auf schier unerhörte Weise den Ansatzpunkt finden, Verwirrungen und Verstrickungen zu bewältigen, die oft nicht sie selbst verschuldet haben, Menschen, die gerade durch Leid und Schmach zu sich selbst finden und über sich hinauswachsen. Wie jener Mann „Häschen“, dem es gelingt, der Tyrannei seiner Frau zu entrinnen, und der in einem Belgrader Armenviertel an der Save das

„wahre Leben“ entdeckt, „das wirkliche Leben, wie es die meisten Menschen leben und das er zu vergessen begonnen hatte; das alle allmählich vergessen ..., die in einem geschlossenen und bevorzugten Wirkungskreis laben ...“ Dieser Mann beginnt nun, über eine vernünftige und schöpferische Ordnung nachzudenken, „in der jeder mehr oder weniger das fände, was er braucht, indem er tut, was er kann und soviel er kann“. „Häschen“ findet seinen Aufgabenkreis während der deutschen Besatzungszeit in der Arbeit mit der Jugend für ein freies Vaterland die er mit dem Leben bezahlt. Ereignisse aus jener Zeit, über die wir hierzulande nur einseitig orientiert sind, werden auch in anderen Geschichten aufgegriffen. Andric läßt keinen Zweifel darüber, auf welcher Seite im Kampf gegen den Terror seine Sympathien liegen; aber er berichtet ohne Haß, läßt die Ereignisse für sich selbst sprechen. Er hat sich aus schweren Erfahrungen eine Liebe zur Welt und den Menschen gerettet, die auch noch in seinen dunkelsten Erzählungen offenbar wird. Er glaubt daran, daß das Böse zu überwinden ist, und versucht, seinen Teil dabei zu leisten, durch persönlichen Einsatz und durch seine Kunst, in der er im Zeitgebundenen das Bleibende und Dauerhafte sucht, im Endlichen das Ewige, so daß sich bei ihm das Historisch-Bedingte zum Menschlichen weitet. Das gibt seinen Büchern ihr besonderes Gepräge, einen Glanz, der selbst die Finsternis erhellt.

Neu für den deutschen Leser ist der Name Erich Kosch, den man sich einfach merken wird. Von diesem 1913 in Sarajewo geborenen, in seiner jugoslawischen Heimat längst

iteller und Übersetzer deutscher klassischer Literatur liegt nun sein letzter Roman „Die Spatzen von Van Pe“ auch in deutscher Sprache vor, ein Buch, das die geniale Begabung des Autors im Bereich der Satire erweist. Der kleine Roman, eigentlich eine Parabel, erzählt von der grotesken Ausrottung der Spatzen in der chinesischen Stadt Van Pe, die hier für viele andere in der Welt steht, wo ähnliches geschehen könnte. Die Stadtverwaltung des Ortes „erfaßt“ die gesamte Bevölkerung in einer „Großaktion“ zur Vernichtung der „minderwertigen Rasse“ der Spatzen, die angeblich schuld sind an allem, was schiefgeht in dem Gemeinwesen. Mit den Mitteln eines autoritären Regimes und einem gigantischen Propagandaapparat wird jeder einzelne reif gemacht für den Kampf, dessen makabre Sinnlosigkeit freilich die Beteiligten im Rausch der Ereignisse nicht mehr wahrzunehmen vermögen.

Es geht Kosch hier natürlich um mehr als um einen idiotischen Spatzenkrieg. Im Bericht über „die Endlösung der Spatzenfrage“, wie es einmal heißt, verbergen sich Zeitbezüge von allgemeiner Bedeutung, werden die gefährliche Verteufelung des „Feindes“ und blinder Fanatismus gegeißelt; und nicht zuletzt die unberechenbaren Reaktionen einer verhetzten Masse, die so leicht in Wahn und Grausamkeit ausarten. Der Autor hütet sich, solche Folgerungen direkt auszusprechen. Er erzählt, teils amüsant, teils ironisch, seine makabre Fabel und überläßt es dem Leser, die Probleme selbst zu durchdenken, in die wir alle, auf die eine oder andere Weise, mit-hineingezogen sind.

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