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Ein Biedermann

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Berichte von Amnesty international über Argentinien sprachen von Folterungen und Mißhandlungen. Zahlreiche Menschen wurden von Polizisten unter Umständen getötet, die an Hinrichtungen denken ließen. Die Welt schaut weg - vor allem, wenn die Involvierung der Geheimdienste demokratischer Staaten in solche Verbrechen erkennbar wird.

Die Hauptfigur in Alberto Man-guels Roman „Im siebten Kreis” heißt Madame Berence und ist die Frau eines als Polizei-Entwicklungshelfer reisenden französischen Militärs. In Argentinien entdeckt sie durch Zufall, daß ihr Mann Folterspezialisten ausbildet. Sie übersteht den Schock nicht heil, flieht in geistige Umnachtung, in der sie das Gräßliche nicht mehr sehen muß. So kann sie, geschützt durch die Verstörung, ihren Mann weiter lieben.

Dem Leser wird diese Aufklärung erst am Ende zuteil. Er achtet zunächst mehr auf das gewöhnliche Geschehen, die internationalen Stationen eines Beamtenlebens, Algerien im Unabhängigkeitskrieg vor 1962, Paris 1968, Buenos Aires zur Zeit der Militärdiktatur 1976. Familienbild mit Töchterchen. Madame hat künstlerisches Eigenleben als Fotografin, Monsieur ist zufriedener Kleinbürger an der Pensionsgrenze, politisch liberal, Kunstfreund. Normalität rundum. Lang weiß man nicht, warum das Buch geschrieben wurde.

Erst im zweiten Durchgang, wie in den Aufzeichnungen Verstorbener, erkennt man die unheimlichen Bezüge, die Nähe, in der das Böse hinter dünnen Wänden haust. Es knistert ständig in den Anspielungen, etwa beim peniblen Fingernägelputzen mit dem Schweizermesser, das im Hantieren des Sergeanten mit dem Skalpell wiederkehrt. Das gleiche aufmerksame Zuhören gilt vor der

Wand dem Geflüster der geliebten Frau, hinter ihr dem Stammeln des Verhörten. Die Welt als Vexierbild: eine kleine Blickveränderung, und die Präsenz des Bösen scheint durch. Man ahnt, was sich alles unter der glatten Oberfläche der internationalen Beziehungen verbirgt. Die Metastasen der Greuel des Algerienkrieges treten in Argentinien auf. Das Psy-chogramm des Täters ist erschreckend wenig pathologisch. Das Furchtbare an ihm ist seine anständige Geschlossenheit: „Folter ist eine dienstliche Aufgabe, damit die Ordnung des Lebens sich fortsetzen kann.” Weder Sadismus noch Sachzwang oder Befehlsnotstand treiben ihn. Ordnung ist seine Leidenschaft, er bekämpft das Chaos wie „Gottes Hand über den Wassern ”, korrekt wie Pontius Pilatus, fromm wie ein Inquisitor. Keine Spur von Ijebenslüge. In ihm hat sich das Böse rückstandslos in Ordnung umgesetzt.

Der Autor, 1948 in Buenos Aires geboren, ist in mehreren Sprachen und Ländern zuhaus und arbeitet im Literaturbetrieb. Dieser sein erster Roman ist keine Fallstudie, noch führt er einkreisend zum Thema hin. Er ist eine Collage aus Erinnerungen, als müßte eine belastete Seele schweren Ballast abarbeiten. Material eines I ,ebens, das sich in starken poetischen Bildern zu Traumsequenzen organisiert, oft gegen die Erwartungen des Lesers und Regeln des Romans. Poesie nach Auschwitz: hier taucht sie angerufen aus den Tiefen. Die Frauen und Mütter der Verschwundenen demonstrieren noch immer auf der Plaza de Mayo in Buenos Aires. Vielleicht hilft solche Poesie ihrer Sache nicht weniger als nüchterne Berichte.

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