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Siegeszug des Taschenbuchs

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Es ist überflüssig geworden, über das Phänomen der Taschenbücher zu meditieren. Ihr Sieg ist vollkommen im ungeheuren Wandel des Verhältnisses des .Menschen zum Buch verständlich, und es bleibt nur noch übrig, die einzelnen Stationen zu verzeichnen.

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Es ist überflüssig geworden, über das Phänomen der Taschenbücher zu meditieren. Ihr Sieg ist vollkommen im ungeheuren Wandel des Verhältnisses des .Menschen zum Buch verständlich, und es bleibt nur noch übrig, die einzelnen Stationen zu verzeichnen.

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Die geistige und literarhistorische Reichweite ist in der Tat erstaunlich, ja nahezu unbegrenzt, wie ein Blick auf jüngere und jüngste Publikationen beispielsweise der Rowohlt-Taschenbücher (ro ro ro) zeigt. Mit zwei Doppelbänden (409—10 und 411—12) rücken Jaroslaw H a š e k s „Die Ab enteuer des braven Soldaten Schwejk“ (1920—1923, erstmals deutsch 1926) wieder einmal ins Gesichtsfeld und zwar nur, soweit das Manuskript des Autors reicht (ohne die weit weniger originelle Fortsetzung Karel Vaneks) und mit den Originalillustrationen Josef Ladas. Über die maßlosen Ausfälle Hašeks gegen Kirche, Staat und Dynastie sind die Akten geschlossen. Unsere Zeit hat einen distanzierteren Blick für das Bleibende neben dem Vergänglichen im Werk Hašeks gewonnen, ' ja Herders neues „Lexikon der Weltliteratur im 20. Jahrhundert“ will den Verfasser in einer Reihe mit den großen Satirikern der Weltliteratur und seinen Schwejk an die Seite Hamlets, Don Quijottes, Don Juans, Fausts und Oblomovs gestellt sehen. Mag dieses Urteil heute noch nicht allgemein hingenommen werden — als Revolution des Individuums gegen jede Art der Bevormundung wird die Gestalt des Schwejk und seine im Ma?Šen*'fl'faltWVfetletetif elntlg 'noch anwendbare Methode' der Raffinesse und SimpTi'citas "Tange noch gültig' bleiben.

Einen Sprung über drei bewegte Jahrzehnte, einen Sprung auch über den eigenen Schatten in des Dichters Ernst Jünger Leben und Werk bedeutet das vierte und vorläufig letzte (1957) seiner wenigen Erzählungen: „Gläserne Bienen“ (ro ro ro 385). Ein verkrachter Offizier des ersten Weltkrieges, noch irgendwie verfangen in die alte Welt, wird mit der totalen Automation von morgen konfrontiert und „versagt“ bei einem Industrietest, indem er einen gespenstischen bienenhaften Mikroroboter zertrümmert. Die krampfig-eisige Prosa Jüngers ist hier sprachlich und gedanklich gelöster, wenn auch noch dunkel-dämonische Symbole die letzten Absichten des Dichters verstellen. Zweifellos ein bedeutender Vorspruch zu einem bedeutenden neuen Zeitalter.

Aus einer frühen Schaffensepoche William Faulkners (1927) stammt der burleske Roman „M o s k i t o s“ (ro ro ro Bd. 384), eine Schlüsselsatire auf die Spießbürgerei im Närrenkleid der Boheme aus einem Lebensabschnitt des Dichters (1925 in New Orleans), dem Faulkner nicht nur die Bekanntschaft mit seinem Förderer Sherwood Anderson, sondern auch mit einem schrulligen Künstlervölkchen verdankt — es treibt hier auf der Jacht einer liebeshungrigen alternden Dame köstlichen Schabernack.

An der Grenze des Obszönen, da und dort schon deutlich „drüben“ tänzelt Marcel Aymės „Die grüne Stute“ (ro ro ro 402). Die Literaturgeschichte will in diesem Seitensprung des bekannten französischen Dramatikers eine lebendige Änalyse des Sittenverfalls auf dem Lande sehen, ein Urteil, das zu teilen uns durch tine überdeutliche, vordergründige Verfilmung aus letzter Zeit nicht leicht gemacht wird.

Mit dem 5. und letzten Roman der berühmten Colette-Reihe um Claudine beschließt ro ro ro 397 unter dem Fitel „Claudine findet zu sich selbst"(Claudines Retraite sentimentale) das vielleicht dauerndste und selbst- tnthüllendste Werk der Dichterin.

An dieser Stelle sei vermerkt, daß auch die sorgsame Pflege des Colette-Werkes durch den Paul-Zsolnay-Verlag wieder fortgeschritten ist; es erschienen dort in letzter Zeit „Claudines Mädchenlahre“ (La Maison de Claudine) und tin besonders schönes und weises Alterswerk der Colette, „Die Freuden des Lebens“.

Die Fischer-Bücherei steht Rowohlt an Vielfalt kaum nach. Nicht nur die „Moderne“ wird gepflegt: Anne de Tourvilles Roman aus dem bretonischem Dorf „Der große Jabadao“

(Fischer-Bücherei 358) ist ein würdiger Nachfolger, ihres Erstlingswerkes „Gael der Matrose“; die „Hundert Bücher“ der Fischer-Bücherei haben auch Heinrich von Kleists „Penthesilea“ und „Prinz Friedrich von Hom- b u rg“ (EC 24) aufgenommen, mit einem klugen Nachwort von Arthur Henkel, einer biographischen Notiz und knappen bibliographischen Hinweisen; sie haben damit die Reihe „Exempla classica“ um zwei wahrhaftig würdige, im besonderen Sinn zeitgemäße Werke bereichert.

Wieviel uns dieser Dichter des konfliktvollen Nationalismus und des zerspaltenen Ich noch heute zu sagen hat, verrät die neue Bergland-Klassikerausgabe, herausgegeben von Dr. Gerhard Stenzel, „Kleists Werke“ (1056 Seiten Text, Dünndruck, 23 Kunstdruckbilder, 98 S). In einem einzigen Band (die zweite Auflage der heute noch nicht überholten großen kritischen Ausgabe von Erich Schmidt umfaßt sieben Bände!) erscheinen die Dramen mit dem Guiskard-Fragment, die Erzählungen, Gedichte und Epigramme, Anekdoten und Fabeln, Schriften und Essays, aber auch eine tiefschürfende Lebens- und Werkanalyse aus der Feder des Herausgebers sowie eine Auswahl der Briefe und Dokumente und schließlich Nachweise und Literaturhinweise. Eine mustergültige,, fachkundige, rąumsparende

Klassikerausgabe, in der modernen Hausbibliothek schon heimisch — wie nur die stattlichen Reihen der Taschenbücher!

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