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Die hundert „Unsterblichen“

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Zu den kulturell verdienstvollsten, wahrscheinlich auch dauerndsten Leistungen der deutschsprachigen Taschenbuchausgaben zählen jene hundert „Unsterblichen“, die die Fischer-Bücherei unter dem Titel „Exempla classica“ (EC) gesammelt hat. In kaum mehr als vier Jahren konnte das imposante Programm, das sich in diesen Tagen dem Ende nähert und mit zwei Bänden der Goetheschen Gedichte gekrönt werden soll, termingemäß abgewickelt werden. Von der großartigen Spannung, die diese intelligente Auswahl der Weltliteratur auszeichnet, zeugt der kühne Bogen, der sich auch diesmal wieder in den jüngsten Ausgaben von Piatons „Phai-dros“ (EC 85) und Horaz' „Carmina“ (EC 86) über Hartmann von der Aues „Der arme Heinrich“ (EC 84, Mittelhochdeutsch und Neuhochdeutsch!), Schillers „Die Gedichte“ EC 89), Novalis' unvergängliches Preislied in Prosa und Versen auf die blaue Blume romantischer Sehnsucht „Heinrich von Ofterdingen“ (EC 88) bis zu W. M. Thackerays uns Heutigen schon etwas zu breiten „Geschichte des Henry Esmond“ (EC ' 77), George Eliots, recte Mary Ann Evans (1819 bis 1880) vielleicht auch nicht ganz unsterblicher Erzählung „Silas Marner“ (EC 51), Puschkins „Pique-Dame und andere Erzählungen“ (EC 80) und Coopers „Die Prärie“ (EC 87) reicht. Mit Ausnahme des Thacke-ray (4.80 DM), des Schiller (3.80 DM) und Cooper (4.80 DM) kosten die angeführten Bände nur 2.40 DM. — Die normale Fischer-Bücherei hat Tennessee Williams mit „Die Nacht des Leguan und fünf Einakter“ (Nr. 547, 2.60 DM) zum zehnten Male (!) und die Colette mit „Sido“ (Nr. 556, 2.60 DM) zum dritten Male zu Wort kommen lassen.

Auch ro ro ro kann man nicht Einseitigkeit vorwerfen. Der Dreifachband RK 140/42 (34.60 S) „Griechische Lyrik“ (Griechisch Und Deutsch!) enthält nicht nur die gesamte überlieferte griechische Lyrik von den Anfängen bis Pindar, sondern auch einen brillanten Essay, einen Quellennachweis, Anmerkungen und nicht weniger als 17 Seiten Bibliographie. An diesem Beispiel zeigt sich die ganze demokratische Wohltat solcher Ausgaben: Die Staigersche Ubersetzung von 1961 im Atlantis-Verlag kostet, Deutsch allein, fast das Fünffache! Ähnliches gilt für RK 144/46 (34.6.0 S): Horaz: „Episteln“, Lateinisch und Deutsch (C. M. Wieland). — Von der neueren Literatur sind des verstorbenen Wieners Rudolf Brunngraber „Opiumkrieg“ (ro ro ro 529; 15.90 S) und Frank Thieß' „Die Verdammten“ (519/20; 27.40 S) weiter Verbreitung würdig; ob der sanft verrückte Modestil Simone de Beauvoirs auch in einem so gewichtigen Thema wie der französischen Resistance: „Das Blut der anderen“ (Nr. 545; 15.90 S) die Jahre überdauern wird, ist fraglich.

Relativ spät hat sich der Münchner Taschenbuchverlag (dtv) in das Nachkriegswettrennen der Taschenbuchliteratur eingereiht, in kurzer Zeit aber mächtig Terrain aufgeholt, dtv 116 (2.50 DM): Reinhold Schneiders „Innozenz III.“ ist schon 1930 entstanden, aber erst 1960 im Nachlaß aufgetaucht — mit gutem Grund, denn der zeitlose Konflikt zwischen Kaiser und Papst, irdischer Welt und Reich Gottes, wird erst von uns Heutigen ganz unbefangen, aber nicht minder tief nachgelebt. Mit Henry de Montherlants „Die Aussätzigen“ (dtv 115; 2.50 DM) beendet dtv die Romantetralogie des großen Individualisten und Frauenhassers, die als ganze die bitter höhnende Uberschrift „Erbarmen mit den Frauen“ trägt und mindestens ein menschliches Dokument ist.

Noch nicht ganz in Schwung sind die Münchner Kindler-Taschenbücher, die als Band 2 Leonhard Franks Jungengeschichte und Liebeserklärung an seine Vaterstadt Würzburg, „Die Räuberbande“ (2.50 DM), bringen. Die überschaubaren Titel der Kindler-Bücherei bis Band 25 verraten noch keine bestimmte Richtung.

Die Österreich-Reihe des Bergland-Verlages, Wien, setzt mit Band 202 (15 S), Nestroys „Die schlimmen Buben in der Schule“, die verdienstvollen Einzelausgaben heimischer Klassiker fort. In das weitgespannte Programm dieser Austriaca fügt sich auch gut Band 206 (15 S), Alfred Neumanns „Das römische Museum der Stadt Wien“, das 1963 den 60. Geburtstag feiern konnte.

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