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Von Euripides bis Wildgans

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Das Werk Ferdinand Raimunds ist sachgemäß und liebevoll betreut. Schon ein Jahr nach seinem Tod, 1837, erschien Johann Nepomuk Vogls erste Gelamtausgabe; es folgten an wesentlichen die von Sauer-Glossy, Castles Hesse-Ausgabe, vor allem aber, seit 30 Jahren bis heute mustergültig, Castle-Brukners sechsbändige kritische, alle Briefe und Quellen umfassende Schroll-Ausgabe. Die beste jüngere ist zweifellos die neue Bergland-Ausgabe: Ferdinand Raimund, Dramatische Werke in zwei Bänden. Mit einer Einführung, Einzelvorworten und einem Nachwort. Herausgegeben von Gustav Pichler, Präsident der Raimund-Gesellschaft. Bergland-Verlag, 160, 736 Seiten mit mehr als 40 Bildbeigaben. Ganzleinen. Preis 190 S. — Die Ausgabe enthält in sauberer Textfassung und mit interessanten zeitgenössischen Illustrationen ein knappes, aber doch einiges Neues bringendes Vorwort, die acht Stücke Raimunds und zwei gewichtige Nachworte: „Raimund und die Musik“ und den hochinteressanten Hinweis des Mährisch-Ostrauer Mittelschullehrers Dr. Rudolf Prisching 1916 auf Raimunds ungeschriebene „Neunte“, das verschollene Fragment von „Eine Nacht auf dem Himalaja“, dessen erste Spuren in das Jahr 1831 führen — zwischen 1829, der Entstehung der „Unheilbringenden Krone“, und 1833, der Vollendung des „Verschwenders“, klafft bekanntlich in Raimunds Schaffen eine Lücke, die man sich nun durch Raimunds Beschäftigung mit dem sonderbaren Himalaja-Stoff erklären könnte. Dieser sehr interessierende Anhang läßt uns den abgeworfenen Ballast leicht verschmerzen, den frühere Ausgaben häufig mit sich geschleppt haben: Lyrik und Lokalgedichte, Theaterreden, Einlagen in fremde Stücke, ja selbst die fragwürdige „Selbstbiographie“ mit ihren falschen Geburts- und Altersangaben.

In seiner „Österreich-Reihe“ hat derselbe Bergland-Verlag als Nr. 94/95 Raimunds „Die unheilbringende Krone“ (kartoniert, Preis 1 S), als Nr. 121 „Der Diamant des Geisterkönigs“ (kartoniert, Preis 12 S) und als Nr. 127 „Moisasurj Zauberfluch“ (kartoniert, Preis 12 S) veröffentlicht, herausgegeben gleichfalls von Gustav Pichler, mit selbständigen, nicht aus der obigen Ausgabe stammenden Einleitungen und je einer bis Mai 1960 reichenden wertvollen Zeittafel. In gleicher Ausstattung erschien als Band 84/85 derselben Reihe Franz Grillparzers „Die Ahnfrau“ (Bühnenfassung, kartoniert, Preis 18 S), eingeleitet von A. Grünberg; sie paginiert nach Band VI (in Vorbereitung) der kritischen Grillparzer-Ausgabe von Reinhold Backmann, 1946, im Bergland-Verlag.

In diesen Tagen, da der knapp 90jährige Nestor unter Österreichs Dichtern, der Offizier, Kavalier und Romantiker Franz Karl Ginzkey, mit seiner Frau im Dom zu St. Stephan das Fest der diamantenen Hochzeit beging, ergibt sich auch die Gelegenheit, das achtunggebietende lyrische und erzählende Werk Ginzkeys, das sich in bisher mehr als 60 Einzelveröffentlichungen dokumentiert, in seiner ganzen Reife und Geschlossenheit zu überblicken. Im Verlag Kremayr und Scheriau, Wien, erschienen im Oktober: Franz Karl Ginzkey, Ausgewählte Werke in vier Bänden. 1. Band: Der Heimatsucher, Gedichte. 2. Band mit 18 Novellen. 3. und 4. Band mit fünf Romanen und den autobiographischen Skizzen „Die Reise nach Komakuku“. 548, 543, 564 und 524 Seiten. Preis 350 S, 58 DM. Dr. Kurt Eigl schrieb das Vorwort („Gestalt und Wesen“) und nahm im Einvernehmen mit dem Dichter klug und bedacht die Auswahl vor. Die Ernte ist eindrucksvoll. Im Lyrischen fehlt, außer den vier Kinderdichtungen, so gut wie nichts; in der Prosa scheinen die Fronterzählungen 1916, einige Novellen und die beiden Salzburger Essays entbehrlich; dagegen hätte man sich die Aufnahme der einzigen dramatischen Arbeit Ginzkeys, des bis heute immer wieder aufgeführten Märchenspiels aus dem Norwegischen der Barbara Ring, „Das verlorene Herz“, 1931, gewünscht. Eine ausführliche Würdigung von Leben und Werk Ginzkeys bringt die „Furche“ in der vorliegenden Ausgabe.

Auf gedrängtestem Raum erstaunlichen Reichtum repräsentiert, was der bekannte Wiener Literaturhistoriker und Schulmann Hans Vogelsang unter dem Titel „Gesang vom Menschen“ aus dem Werke Anton W i 1 d g a n s' für die Stiasny-Bücherei (Band 56, Stiasny-Verlag, Graz und Wien, 128 Seiten) ausgewählt hat: Lyrik, drei autobiographische Essays, Briefe, den 12. Kirbisch-Gesang, den traumhaft schönen Actus mysticus aus „Armut“ und Gedankensplitter aus dem Gesamtwerk. Der Herausgeber selbst steuert ein sachkundiges Vorwort, eine I.ebenstafel und eine sehr brauchbare Bibliographie bei.

In der Fischer-Bücherei erschien Arthur Schnitzle r: ..Liebelei“ und „Reigen“ (Band 361, Preis 2.20 DM). Wenn sie vielleicht auch nicht jene „Werke eines Moralisten“ sind, zu denen sie der Epilogus Richard Alewyn in einem übrigens brillant geschriebenen Essay rechnen will, so repräsentieren beide doch, miteinander nicht äußerlich, aber innerlich tief verwandt, die Klassik jener milden, müden Wiener Dämmerung, die unser heutiges hysterisches amerikanisches Theaterzeitalter wieder gierig sucht — die Aufführungszahlen, nicht nur des Burgtheaters, beweisen es überdeutlich.

Ohne Zaudern zählen wir Jonathan Swifts „Gullivers Reisen“, die gleichfalls die Fischer-Bücherei neu auflegt (Großband EC 15, Preis 3.30 DM), zum klassischen Literaturgut. Gulliver ist eine politische und sozialkritische Satire von Geist, Geschliffenheit und diplomatisch verschlüsseltem Witz, der auch heute noch besteht. Weiß Gott, wie wir sie so lange als Kindergeschichte haben verkennen können.

Dem jüngsten der drei attischen Tragiker, Eurl-pides, scheint unsere Zeit innerlich am nächsten zu stehen. Was erst kürzlich darüber an dieser Stell anläßlich der Arnim-Stoeßl-Ausgabe im Artemis-Verlag gesagt wurde, gilt auch für die Neuausgabe der Fischer-Bücherei (EC 14, Preis 2.20 DM): Euripides, „Die Bakchen“, „H y p p o-lytos“ (Übersetzung von Hans v. Arnim, Nachwort von Walter Jens). — Lesenswert, trotz kühner Unbewiesenheiten, auch die erste deutsche Übersetzung aus dem Englischen von Robert von Ranke-Graves' vielgenannter „Griechischer Mythologie“, die Rowohlts Deutsche Enzyklopädie (Nr. 113/114, Band I, Quellen und Deutung, Preis 4.40 DM) mit einem Vorwort zur deutschen Ausgabe, einer Einleitung und nicht weniger als 30 Götterstammtafeln vorlegt.

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