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Literatur und Wissen im Taschenbuch

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Neuerscheinungen der Fischer-Bücherei

Mit de ügioßen Sterben į -.dtr Prachtausgaben in, blauem Saffian oder Goldpreßleinehi, der Klassiker io. 32 und 56 ’Bä nden, ist unzweifelhaft ein gutes Stück bürgerlicher Bildungsfassade und Innenarchitektur verschwunden. So wie die moderne Klein- und Mittelarchitektur nicht mehr den raumfressenden gläsernen Prunk einstiger Bücherstellagen und Vitrinen verträgt, ist der heutige Leser auch hier neuen sachlichen Lebensstilen zugeneigt und legt weniger Wert auf feierliche Hüllen als auf möglichst rasch zu erreichende Sachen und Inhalte. Das mag bisweilen auf Kosten der Besinnlichkeit und Gründlichkeit gehen: unzweifelhaft ist nach wie vor der Hunger nach Wissen und Bildung vorhanden; und schließlich, Hand aufs Herz — gewiß standen die einstigen Prachtbände stattlich hinter Eiche und Glas, aber wurden die Dutzende Klassikerbände auch immer gelesen?

Dies müßte die Rechtfertigung und die Chance aller neuerer Experimente, wie Dünndruckausgaben, „Auswahlen“ und Taschenbuchreihen, sein: keines dieser Bücher wird aus Snobismus gekauft, sondern aus' echtem Bedürfnis. Und sie werden gelesen, studiert, nachgeschlagen — und nochmals gelesen.

Man kann alle diese und noch andere Tendenzen deutlich aus der deutschen Fischer-Bücherei ablesen, die im modernen Typus der Taschenbuch , reihen eine Art Führerstellung einnimmt. Sie ist inv letzten Jahr erstaunlich gewachsen, innerlich und äußerlich. Gewisse „Fettansätze“ sind auch in dieser Oekonomie unvermeidbar; sie müssen und werden sich abstoßen, soll der Typus seine ganze Ueber- legenheit ausspielen.

Die normale „Taschenbuchreihe“ - zu 1.90 DM greift klug und weltweit auf "deutsche, romanische und anglo-am'erikanische. Literatur, so auf Gertrud von Le Forts großem Aufriß aus dem mittelalterlichen Rom, „Der Papst aus dem Ghetto“ (Nr. 150), auf George Bemanos’ noch aus den Tiefen der Not und des Dunkels lichtspendende „Neue Geschichte der Mouchette" (Nr. 171), auf Andre Gides Frühnovelle „Isabelle" (Nr.. 137), Charles Morgans epikureische Weisheit in „Der Richter“ (Nr. 149) und William Saroyans, eines amerikanischen Raabe, „Menschliche Komödie“ (Nr. 153). In Christian Morgensterns „Gedichte" (Nr. 152) mißlingt zwar der. Versuch, die spröden ernsteren Gedichte volkstümlich zu machen, dafür leuchten die schrulligen Galgenlieder und überraschend auch die tiefsinnigen Aphorismen in aller Pracht. Carl Zuckmayers liebenswürdiger Spott im „Seelenbräu“ (Nr. 140) hat seit Jahren seinen festen Platz. Dankbar müssen wir für die breite Streuung zweier großartiger Bekenntnisbücher aus dem zweiten Weltkrieg sein: Erhart Kästners „Zeltbuch von Tumilad"

(Nr. 139)' aus dem nordafrikanischen Gefangenenleben und Peter Bamms ergreifendes Tagebuch eines Truppenarztes aus dem Rußlandfeldzug, ..Die unsichtbare Flagge“ (Nr. 160), verstehe: die Flagge der Humanität. Carl J. Burckhardts „Bilder aus der

Vetg pgenheit‘‘s (Nr. 122) enthalten die scharf- kojaturjeften historischen ( Essays ü r Maria -Theresia (mit sympathischen österreichischen Akzenten), Willibald Pirckheimer und „Die Belagerung von Rochelle". Mit einem gehaltvollen Vorwort hat der bekannte Altphilologe W. Schadewaldt seine „Sternsagen der Griechen“ (Nr. 129) einbegleitet. Nr. 141, ein „Pantheon-Buch“ (neue Reihe?), Petrarcas „Dichtungen, Briefe, Schriften“ wird Mühe haben, heute verstehende Leser zu finden.

Unter zwei „Großbänden“ (2.90 DM) finden sich Charles A. Lindberghs frisch-fröhlich erzählendes und naiv meditierendes, doch aber im Ganzen denkwürdiges Erlebnisbuch „Mein Flug über den Ozean“ (Nr. 125) und eine problematische, aus einer Rundfunkreihe zusammengestellte Sammlung von Hans Egon Gerlach und Otto Hermann: „Goethe erzählt sein Leben“ (Nr. 136).

„Bücher des Wissens“ nennt sich eine wertvolle Sonderreihe der Fischer-Bücherei (2.20 DM), die klassisches Wissensgut aus zwei Jahrtausenden abendländischen Geistes in knappen Auswahlen und mit Einführungen hervorragender Fachleute in breitere Kreise zu bringen versucht. Besonders die Einleitungen der Herausgeber sprengen bisweilen den engen Rahmen eines „Vorwortes“ und wachsen zu selbständigen Untersuchungen und bedeutenden Abhandlungen. Dies gilt besonders für Konrat Zieglers „Plutarch“ (Nr. 165), Franz Dirlmeiers „Aristoteles: Nikomachische Ethik“ (Nr. 151), Josef Piepers „Thomas von Aquin“ (Quaestiones und Kommentare, Nr. 130), Friedrich Heers „Meister Eckhart — Predigten und Schriften“ (Nr. 124) und Carlo Schmids „Macchiavelli“ (Nr. 133). Lin Yutang gab „Konfuzius" (Nr. 154) heraus, Heinrich Weinstock „Wilhelm von Humboldt“ (Nr. 158). Eine Einleitung von J. P. Mayėr und ein Vorwort Carl J. Burckhardts führen in Alexis de Tocquevilles immer aufregendere und hellseherische „Demokratie in Amerika“ ein — das Nachwort schreibt unsere Zeit... Sigmund Freuds „Totem und Tabu“ (Nr. 147) finden wir gerne hier, seit die „Vorlesungen" vergriffen sind.

In den „Büchern des Wissens" spiegelt sich am klarsten der neue Begriff des „Klassikers" von ehedem, in den fachmännischen Auswahlen der Texte und den fachkundigen Einführungen. Durch eine noch strengere Auswahl der Titel könnte die Reihe noch an Lebenskraft gewinnen.

Die letzte Abteilung der Fischer-Bücherei, die auf 30 (!) Bände berechnete neue Reihe „Das F i s c h e r - L e x i k o n“ (je 3.30 DM), kann wohl erst endgültig beurteilt werden, wenn mehr Bände als die bisherigen vorliegen. „Die nichtchristlichen Religionen“, herausgegeben von Prof. Dr. Helmuth von Glasenapp (Nr. 1), befriedigen in allen Teilen, Band 2 hingegen, „Staat und Politik“, herausgegeben von Emst Fraenkel und Karl Dietrich Bracher, enthält wohl eine ganze Reihe hervorragend bearbeiteter Stichworte, aber — keine Namentitel, ohne die ein modernes politisches Lexikon wohl kaum auskommen dürfte. Hier taucht eine ernste Problematik für das ganze Werk auf, die die sorgfältigen Register und Bibliographien am Schlüsse allein wohl nicht lösen werden.

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