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Die alte Welt ist immer jung

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Das achtunggebietende Werk der von Karl Hoenn begründeten „Bibliothek der alten Welt“ im Züricher Artemis-Verlag hat sich nun dem jüngsten der Attischen Tragiker zugewendet: Euripides. Die Tragödien und Fragmente. Bearbeitet und eingeleitet von Franz S t o e ß 1. Artemis-Verlag, Zürich 1958. Band I, 390 Seiten, 17.80sfr. — Im Vorwort bekennt sich der Wiener Stoeßl, schon durch seinen Aischylos-Band im gleichen Verlag hinreichend legitimiert, zu seinem großen Lehrer Hans von Arnim, dessen Uebersetzungen (Arnim hat 1930 31 in seiner großen Wiener Zeit 12 der 18 vollständig erhaltenen, im ganzen wohl etwa 80 Tragödien des Euripides veröffentlicht) von Alkestis, Medea, Hippolytos und Hekabe er mit geringfügigen Aenderungen übernimmt und durch eigene Ueber- tragungen der Herakliden und der Andromache ergänzt. Entgegen Arnims Blankvers kehrt Stoeßl wieder zum jambischen Trimeter zurück; seine Sprache ist geisttreu und hat den Glanz moderner Poesie. Durch philologische Intuition und Heranziehung aller Zitierungen sowie der Ereignisse der wildbewegten Zeit (etwa 48o bis 406 v. Chr.) in den „Einleitungen“, im biographischen Aufriß und der vielsagenden Zeittafel gelingen dem Herausgeber fast durchweg überzeugende neue Datierungen und Positionsbestimmungen 'des Gesamtwerkes. Sie weisen Alkestis als Satyrspiel in die Tetralogie des Jahres 438, dem noch die (nicht erhaltenen) Kreterinnen, Alkmeon und Psophis und der Telephos zugehören. Es folgt die Tetralogie 431 mit Medea (vollständig), Philoktet und Diktys (Fragment) sowie das nur mit dem Titel nachweisbare Satyrspiel „Die Schnitter“. Die drei folgenden erhaltenen Dramen, Die Herakliden, Andromache und Hippolytos, datiert Stoeßl 430 bis 428, Hekabe 425 bis 423. Mit dieser Neuausgabe rückt das fast zwei Jahrhunderte lang unverdient von Aischylos und Sophokles beschattete Werk des psychologischesten, uns Heutigen vielleicht am nächsten Stehenden der drei großen Tragiker erneut in das Blickfeld der Literatur, der Forschung — und der modernen Bühne, die davon mannigfache Anregungen empfangen mag.

Derselbe Artemis-Verlag hat in der Römischen Reihe zum 2000. Geburtstag Ovids eine prächtige Jubiläumsausgabe herausgebracht: Publius O v i d i u s Naso. Metamorphosen. Epos in 15 Büchern. Lateinisch und Deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Hermann Breitenbach. 1220 Seiten. — Der Text ist ungekürzt. Obwohl es dem Ueber-

setzer nach seinem eigenen Geständnis bisweilen „sauer wurde", Anstößiges aufzunehmen, glaubte er es doch dem geschlossenen Ganzen dieses Perpetuum carmen, in dessen naiver Mythik immerhin zwei Jahrtausende abendländischer Bildung in die Schule gegangen sind, schuldig zu sein, es ungekürzt vorzulegen — einem reifen, fach- und sachverständigen Leserpublikum, nicht in usum Delphini. Eine nicht zu knappe Einführung unterrichtet über das Leben Ovids und den wohl nie restlos zu klärenden „dunklen Punkt“ darin, ein 100 Seiten starker Anhang umfaßt Bemerkungen zur Gestaltung des lateinischen Textes, eine Uebersicht über Inhalt und Aufbau des Epos, ein Sach-, ein Eigennamenregister und eine Bibliographie.

In wohlfeilerem Kleide (flexible Taschenbücher, in Leinen kaschiert 1.90 DM, Doppelband 3.30 DM) präsentieren sich Rowohlts Klassiker der Literatur und der Wissenschaft (Rowohlt, Hamburg), schlicht RK mit Nummer zitiert.

RK Nr. 39 ist Platon gewidmet, dessen Sämtliche Werke, herausgegeben von Walter F. Otto, Ernesto G r a s s i und Gert P 1 a m b ö c k, damit schon bis Band IV (von VI) gediehen sind. Die Uebersetzung folgt im großen und ganzen Friedrich Schleiermacher, macht aber nicht über ängstlich vor Erneuerungen halt. Zitiert wird nach dem 400 Jahre alten Henrietta Stephanus in der heute gebräuchlichsten Ausgabe von Johannes Burnet, Oxford 1899 bis 1906. Der vorliegende Band enthält die dialektisch schwierigsten Dialoge: Phaidros. Parmenides, Theaitetos, Sophistes. Abschließend S. 245—247 eine Bibliographie zu den einzelnen Dialogen und zur gesamten Platonischen Philosophie.

Als RK Nr. 29 30 erschien Homer, Die Odyssee, übersetzt von Wolfgang Schade- waldt, dem würdigen Schüler Werner Jägers, dessen 70. Geburtstag die Arbeit gewidmet ist. Zur größten Ueberraschung erscheint das Werk — in Prosa! Wohl kann sich Schadewaldt auf Goethe, Klopstock und Hölderlin, auf moderne Engländer und Franzosen berufen und die pietistischen Geistentfremdungen durch den Klassiker der deutschen Versübersetzung Johann Heinrich Voß anprangem (was für Rudolf Alexander Schroeder schon wieder nicht gälte!). Letztlich aber entscheidet hier doch wohl nicht die graue Theorie, sondern die Praxis, das blühende Leben. Und daran scheint es uns nun doch bei allem Respekt vor dem sonst so tüchtigen Philologen Schadewaldt zu fehlen. Hier stehe (für viele) Schadewaldts Aufgesang: „Den Mann nenne mir, Muse, den vielgewandten, der gar viel umgetrieben wurde, nachdem er Trojas heilige Stadt zerstörte“ (sic.: nachdem — zerstörte!). Möge die Zeit dieser prosaischen Prosa ein gnädiger Richter sein. Der Kritiker vermag es nicht. Dr. Roman Herle

DALMATINISCHES TAGEBUCH. Glückliche Tage im Inselparadies der Adria. Von Richard Gerlach. Albert-Müller-Verlag, Rüschlikon-Zürich. 82 Seiten. Mit sechs Zeichnungen von Christian Beyer und 40 Aufnahmen auf Kunstdrucktafeln.

Dalmatien war einst eines der schönsten Länder Oesterreichs. Das heißt, juridisch gehörte es eigentlich zu den Ländern der Stephanskrone. aber da es sehr arm und ein Zuschußgebiet war (die Bezirkshauptmannschaft Gablonz zahlte mehr Steuern als das ganze Königreich Dalmatien), drückten die sonst so auf Wahrung ihrer Rechte besessenen Madjaren ihre Augen zu und überließen es der österreichischen Reichshälfte, dem armen Land mit seinen Hilfsmitteln beizustehen. Tatsächlich hatte Oesterreich vor dem ersten Weltkrieg in Dalmatien große Investitionen vorgenommen, an die sich die Bewohner des Landes noch nach dem Krieg, als sie schon längst Jugoslawen waren, mit Dankbarkeit erinnerten. Auch als Fremdenverkehrsland hatte Oesterreich versucht, Dalmatien zu propagieren, der Erfolg war allerdings nur mäßig, denn die Snobs aller Länder zogen es vor, an die französische und italienische Riviera, statt an die dalmatinische Küste zu reisen, wo ihnen nur Schönheiten der Natur und der Kunst, aber keine Spielkasinos, Bars usw. zur Verfügung standen. Als Fremdenverkehrsland wurde Dalmatien erst zwischen den beiden Weltkriegen entdeckt, eine Entwicklung, die nach dem zweiten Weltkrieg ihre Fortsetzung fand.

Richard Gerlach, bekannt durch seine Tierbücher („Die Fische“, „Die Gefiederten“, „Die Vierfüßler“) hat mit dem vorliegenden Buch allen jenen einen Leitfaden geschenkt, die dieses stille, stolze, melancholische und weltabgelegene Land entdecken wallen. Schöne Federzeichnungen ergänzen die Bilder, leider sind dagegen nicht alle Photos restlos gelungen. Bedauerlicherweise geht auch der Autor in keine» Weise auf die heutigen politischen, wirtschaftlichen und religiösen Zustände Dalmatiens ein. Besonders letzteres wäre sehr wichtig gewesen, denn Dalmatien mit seinen vielen Bischofssitzen und Klöstern ist ein urkatholisches Land und macht derzeit einen Leidensweg durch, den jeder Besucher des Landes bemerken muß und an dem er nicht achtlos vorübergehen dürfte.

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