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Aus der Tiefe ihrer Zeit

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WERKE. Von Johann N e s t r o y. Ausgewählt und mit einem Nachwort versehen von Oskar Maurus F o n t a n a. Winkler-Verlag, München. 962 Seiten. Preis 23,80 DM. - SÄMTLICHE WERKE. Von Ferdinand Raimund. Nach dem Text der von Fritz B r u k n e r und Eduard Castle besorgten Gesamtausgabe herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Friedrich Schreyvogl. Winkler-Veriag, München. 750 Seiten. Preis 19 DM.

Die „Dünndruck-Bibliothek der Weltliteratur“ hat mit der laufenden Miteinbeziehung klassisch gewordener österreichischer Autoren (neben den hier erwähnten Ausgaben in jüngerer Zeit auch die „Gesammelten Werke“ der Ebner-Eschenbach) in ihr zunehmend breiter gelagertes Repertoire anerkennenswerte Verdienste erworben. Die wohlgelungenen und wohlproportionierten Bände — gleich ob in geschmackvollem Ganzleinen oder in kostbarem Ganzleder — werden immer mehr unentbehrliches Fundament jeder modernen klassisch-belletristischen Bibliothek, nicht zuletzt deshalb, weil sie den heutigen beengten Wohn- und Bücherschrankgegebenheiten durchaus Rechnung tragen (in drei Zentimeter Rückenbreite hat man so den gesamten Raimund dastehen I). Die Ausstattung läßt außen und innen im Rahmen des Gebotenen und auch in Anbetracht des angemessenen Preises kaum zu wünschen übrig (so bleibt beim Vergleich der beiden vorliegenden Bände zum Beispiel die Frage offen, weshalb die Rückengestaltung mit verschiedenen Schriften erfolgte — Nestroys „Werke“ in einer Fraktur, alles andere in Antiqua, bei Raimund „Sämtliche Werke“ allerdings kursiv).

Es ist durchaus verständlich, daß man bei Nestroys 83 Werken im Rahmen dieser Weltliteratur-Reihe eine Auswahl treffen mußte. Über die Aufnahme beziehungsweise Nichtaufnahme dieses oder jenes Stückes ließe sich freilich stets streiten — alles in allem kann die Auswahl in jedem Fall als sehr brauchbar und von zahlreichen Gesichtspunkten vertretbar gelten. Die Hauptstücke fehlen in keiner Weise, vom „Lumpazivagabundus“ bis zu den „Früheren Verhältnissen“ wurde alles Wesentliche und international Anerkannte mitaufgenommen.

Der Anhang des Herausgebers ist mehr als ein bloßer äußerer Lebensabriß: werden darin doch sämtliche Stücke nicht nur erwähnt, sondern auch — wie die Person des Dichters selbst. — in knappen, doch präzisen Zügen charakterisiert. Die daran anschließenden „Worterklärungen“ (mit Quellenhinweisen auf die kompletten wesentlichen Ausgaben sowie entsprechende Dialektlexika) dürfen in einer wichen Ausgabe ebenfalls recht brauchbar empfunden werden, wenngleich sie sich notgedrungen nur auf das Allerwichtigste beschränken. (Gern hätten manche Leier

oder Zuschauer Nestroyscher Stücke wahrscheinlich auch eine Erklärung für „va-zierend“ oder „Bierversilberer“ gefunden, doch diese Dinge gehen teilweise ja schon übers Dialekthafte hinaus und würden den Gesamtraum des Ganzen gar zu leicht sprengen!). Sehr wertvoll ist schließlich das noch beigefügte kleine Kapitel „Zum Text der Ausgabe“, worin der Herausgeber detaillierten Bericht beziehungsweise Rechenschaft über die gebrachten Texte gibt (berechtigtes Lob der Rommel-Bruknerschen Gesamtausgabe, Rechtschreibung, Zeichensetzung, Unterscheidung der einzelnen Stücke nach Handschrift, Theatermanuskript, Druck beziehungsweise kritische Ausgabe). So hat man auch in dem kleinen beigegebenen Apparat dieses Bandes (auf einen Lesartenapparat mußte verständlicherweise verzichtet werden) einen guten Gesamtüberblick. Was die Dichter-Vita selbst angeht, so kann diese mühelos durch das jüngst erschienene Nestroy-Buch von Otto Forst de Battaglia ergänzt und erweitert werden.

Nicht minder berufen zu einer neuen Raimund-Ausgabe in dieser Sammlung dürfte Friedrich Schreyvogl gewesen sein. Infolge des weit geringeren Umfanges des Raimund'schen Werkes konnte er freilich noch „Textvarianten zu den Dramen“ sowie „Entwürfe und Einfälle“ und „Gedichte und Stammbuchblätter“ bringen. Das Nachwort „Ferdinand Raimund. Werk und Leben“ trägt — gegenüber der Nestroy-Vita Fontanas — mehr dem Persönlichen Rechnung (was ja auch durchaus berechtigt sein mag). Gewiß

werden auch hier die damaligen Theatersituationen und -praktiken gebührend berücksichtigt.

Ohne Widerspruch greifen so beide Bände organisch ineinander. Die gegenseitigen Beeinflussungen der beiden Großen werden bald von dieser, bald von jener Perspektive möglichst sach- und epochengetreu aufgezeigt. Ist „Raimund selbst ein klarer Begriff geworden, ein Prüfstein für alle späteren Theaterdichtungen. ..“, so „umspannte (Nestroys) Komikertum den ganzen großen Bogen vom alten Kasperl-spaß... bis zum neuen Operetten-Cancan der Epoche der industriellen Großbourgeoisie“ (Fontana). Und was hier weiter von Nestroy gesagt wird („ ... schrieb für das Theater und nicht für die Literatur“), kann in verwandtem Maße auch für Raimund gelten. Daher ist — gerade angesichts der Publikation dieser Bände — unbedingt zu wünschen, daß diese Grandiosen und Genialen der Komödie, des Theaters schlechthin, auch immer wieder — und noch mehr als bislang — gespielt werden, denn erst im Atmosphärischen der Bühne zeigt sich — unbeschadet verdienstvoller Buchausgaben — das Beste und Wertvollste solcher Dichtungen. Wie Fontana es ausdrückt: „die Allgewalt und Lichterfülltheit der Sprache mit ihrer Phantasie, mit ihrer Tiefe, ihrer Weite, ihrem Witz, ihrem Spiel, ihrer Abgründigkeit, ihrem Zweifel, ihrem Suchen, ihrer Weisheit“. Oder mit Schreyvogl fortzufahren: .....Theaterdichtungen, die aus

der Tiefe ihrer Zeit dringen und dennoch in die Breite wirken“.

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