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Das Dauernde — das Vergängliche

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Angesichts der überquellenden Fülle der Taschenbücher, die auf dem Fließband Hekatomben ausspeit, steht die Frage auf, ob denn bei all ihrem Verdienst, Unvergängliches in wohlfeilen Massenausgaben zu bewahren, in ihre Reihen nicht auch wieder Makulatur einsickert. Damit würde sich ein Zauberkreis schließen, denn nicht zuletzt sollte ja gerade das Entbehrliche der alten Klassikergesamtausgaben in Samt und Seide durch die strenge Auslese der Taschenbücher ausgeschieden werden!

Die „E x e m p 1 a C1 a s i c a“ der Fischer-Bücherei beispielsweise müßten eigentlich den rigorosesten Maßstäben standhalten, denn sie sollten ja so etwas wie die hundert Unsterblichen der Weltliteratur werden. Ob das nun noch heute für Corneilles „Polyeukt“ und „Rodogyne“ (EC 55), Emily Bromes Blaustrumpfroman des 19. Jahrhunderts, „Sturmhöhe“ (EC 56), und die wahrhaftig „Bösen Blumen“ Baudelaires (EC 63) gilt, muß bezweifelt werden. Nicht nur im Hirn der Philologen leben dagegen Homers unvergängliche Odyssee (EC 76), Vergils „Aeneis“ (EC 70) und im Abstand Pindars „Siegeslieder“ (EC 52) weiter. Hölderlins „Hyperion“ (EC 54) ist wegen seiner sprachlichen Glut und lodernden Gefühle würdig, die Zeiten zu überdauern. Gleiches gilt wohl auch für Tolstojs breit strömende „Romantragödie“ des russischen 19 Jahrhunderts, „Anna Karenina“ (EC 61, 1 und 2), und Gogols unheimliche „Petersburger Novellen“ (EC 65). Feiner historischer Staub liegt wohl

schon über Oliver Goldmiths „Pfarrer von Wakefield“ (EC 73), auch Calderons „Das Dorf Fuente Ovejuna“ und „Sein ist Schein“ (EC 74) scheinen uns für den Dichter nicht eben am repräsentativsten zu sein. Fort lebt hingegen die „Vagantendichtung“ (lateinisch und deutsch, EC 78) und nicht weniger Goldonis „Der Diener zweier Herzen“ und „Mirandolina“ (EC 75).

In der neuen und neuesten Romanliteratur muß wohl der unbestechliche Richter Zeit die Spreu vom Weizen sondern. Das gilt für eine ganze Reihe neuerer Nummern der eigentlichen Fischer-Bücherei, so unter anderen für den sizilianischen Bei ami, Vitaliano Bran-catis „Bell'Antonio“ (Fischer-Bücherei Nr. 301), für John Braines Roman eines Nachkriegskarrieristen in englischer Kleinstadtumwelt, „... und nähme doch Schaden an seiner Seele“ (375), und für Louis Bromfields realistischen New Yorker Weltstadtroman „24 Stunden“ (418): über Wright Morris' kalifornischer dolce vita. „Liebe unter Kannibalen“ (456), und Romain Garys Resistance-Erzählung, „Kleider ohne Leute“ (464), dürfte das Urteil (nicht bestanden) schon gefällt sein. Dagegen haben Kathryn Hulmes' „Geschichte einer Nonne“ (430), Werfeis „Jacobowski und der Oberst“ (465), Ger-hart Hauptmanns „Das Friedensfest“ und „Einsame Menschen“ (484), Frank Thieß' „Caruso in Sorrent“ (501), Werner Ber-gengruens „Der Starost“ (495), ja auch noch Erich Kästners spritzige Chansonsammlung, illustriert von Paul Flora (507),

„Die kleine Freiheit“, ihren Platz in der Weltliteratur.

Verhältnismäßig gut schneidet in dieser kritischen Betrachtung das Münchner Deutsche Taschenbuch, „d t v“ genannt, ab. Rainer Maria Rilkes „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“ (dtv 45), Paul Eippers „Tiere sehen dich an“ (50), G. B. Shaws „Mensch und Übermensch“ (85), Rene Schickeies reizender Roman aus den zwanziger Jahren, „Symphonie für Jazz“ (109), Cocteaus zwei bekannteste Dramen, „Der Doppeladler“ und der Monolog „Die geliebte Stimme“ (110). und Hans Carossas „Der Arzt Gion“ (40) haben die Feuerprobe längst bestanden. Ergreifende Dokumente aus Krieg und Nachkrieg, der Mitwelt ins Herz gebrannt, der Nachwelt zum Menetekel an dia Wand geschrieben, sind Käthe von Normanns „Tagebuch aus Pommern 1945/46“ (29), „Die Tragödie Schlesiens 1945/46* (Dokumente, herausgegeben von Johannes Kaps, dtv 62), und der aufwühlende Tatsachenbericht einer ernüchterten deutschen Kommunistin: Margarete Bubet-Neumanns „Als Gefangene bei Stalin und Hitler“ (44). Die Dokumente zur „Affäre Drey-fus“ (112) kann man als Beitrag zu einer frühen Krise der Demokratie noch gelten lassen. Ernst Penzoldts Roman, „Der arme Chatterton“ (52), ist literaturgeschichtlich von einigem Interesse. Die Pariser Romane, „Lady L.“ von Romain Gary (53) und „Uns aber liebt Paris“ von Robert Brasillach (58), dürften mit ihrer Zeit untergehen; das schmalbrüstige Schulgeschichtchen von Alexander Spoerl. „Memoiren eines mittelmäßigen Schülets“ (57). bekennt schon im Titel Farbe...

r o r o t o bietet unter den sehr brauchbaren doppelsprachigen Klassikerausgaben mit der Nummer RK 110 Moliires „Der eingebildete Kranke“ mit Nummer RK 130/131 einen Band Novalis, ferner mit Nr. 489 Sacha Guitrys verfilmten frechen „Roman eines Schwindlers“, an neueren Bestsellern einen echten, in glühenden Farben brennenden B. Traven: „Die weiße Rose“ (488), Graham Greenes „Kleines Herz in Not“ (534), Rumer Goddens Kinderkrimi (!) „Gefährliche Freundschaft“ (537). und R. A. Stemmles „Affäre Blum“ (486) — sein Film war besser! Ali 15. Colette-Band (!) erscheint mit Nummer 547 „Mädchenjahre“.

Einen glücklichen Griff hat die Herder-Bücherei mit einem klug ausgewählten und eingeleiteten Sören-Kierkegaard-Bändchen, „Der Einzelne und sein Gott“ (105), getan: es enthält neben der einzelne, Abraham, Hiob, Sokrates, Paulus, Christus noch „Zwei ethischreligiöse Abhandlungen.“ Zwei bedeutende Essays, Richard Härders zur Kultur und Sonne Griechenlands, die auch uns noch leuchtet, bringt Herders Nummer 120.

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